man, ohne zu wissen wie, ein chef d'oeuvre des größten tragischen Genies gesehn. – Oh, Sophokles! und göttlicher Shakespeare! – Wenn man den Busen mit euren Empfindungen gefüllt, von eurem Geiste angeweht diese Marionettenschauspiele betrachtet!
Und dann die frostigen, langweiligen Lustspiele! wo ein sogenannter witziger Einfall das ganze Parterre wie mit einem elektrischen Schlage trifft, wo nicht Menschen, sondern ausgehöhlte Bilder auftreten, in welche sich der Dichter mit seinem Witze verkriecht! – Ein schales, leeres Wortgeschwätz, alles ein Wesen, alles eine wiederkehrende, alltägliche Idee; doch ist für diese Possen das Schellengeklingel ihrer Reime etwas angemessener. –
In der großen, weltberühmten Pariser Oper bin ich eingeschlafen. – Arme und Füße eines Giganten an den Körper eines Zwerges gesetzt, machen doch wirklich ein vortreffliches Ganzes aus! Musiker, Maler, Tänzer, Dichter arbeiten sich außer Atem, um ein armseliges Ungeheuer zustande zu bringen, das nicht einmal das Verdienst der Unterhaltung hat.
Doch hinweg von diesen Kleinigkeiten! Seit ich Frankreich kennenlerne, fang ich an, mein Vaterland um so höher zu achten – dort wohnen Freundschaft und Liebe, dort schämen sich die Menschen nicht, ein Herz zu haben und ihre Gefühle zu bekennen – oh, Amalie! unaufhörlich denk ich an dich! – An diesen Namen knüpfen sich tausend süße und bittre, schwermütige und frohe Empfindungen: diese Hoffnung ist eine Sonne, die meine neblichten Tage vergoldet, in Amaliens Busen liegt der Schatz, der mich einst glücklich machen muß. –
Ich habe indes schon manche schönere Gestalt gesehn, als Amalie ist, aber ich habe immer selbst in meinem Herzen darüber triumphiert, wie sie in meiner Phantasie über alle übrigen hinwegragt. Sie gehört nicht zu jenen Schönheiten, die das Auge augenblicklich fesseln und die Seele kalt und erstorben lassen. So ist die Nichte eines Grafen Melun hier, vielleicht das reizendste weibliche Geschöpf, das ich je gesehen habe, aber das Imponierende ihrer feurigen Lebhaftigkeit ist sehr von jener holdseligen Herrschaft verschieden, die aus Amaliens Augen über die Seele gebietet. – Alle Vergleichungen, die meine Gedanken vornehmen, dienen nur, sie mit neuen unwiderstehlichern Reizen als Siegerin in meine Arme zu führen. –
Dein ewiger Freund.
3
Willy an seinen Bruder Thomas
Paris.
Da ich Dir nun einmal schreibe, so weiß ich doch wahrhaftig nicht, wo ich anfangen soll, so voll ist mir der Kopf von merkwürdigen Schreibereien, und ich möchte die Feder in beide Hände nehmen, um Dich nur recht viel erfahren zu lassen. – Daß der Herr William ein guter Mann ist, das wirst Du Dir wohl schon mit Deinem bißchen Verstande zusammenreimen können, aber daß er so gut mit mir umgeht, wie ein Vater mit seinem Kinde, das die Pocken hat, das wirst Du vielleicht nimmermehr glauben wollen.
Hast Du wohl schon ein ordentliches Puppenspiel mit lebendigen Personen gesehn? Solche sind hier viele und man hat besondre Häuser dazu für die Leute gebaut, die es auch mit ansehn wollen. Man sollte nicht glauben, daß so viele Leute eine solche Neugier in sich hätten. Es ist immer sehr hell bei solchen Gelegenheiten, von den vielen Lichtern nämlich, Thomas, mußt Du verstehn, die ringsum in dem ganzen Hause brennen, denn sonst würden die Leute, die es gern sehn wollen, wenig sehn, und bei Tage müssen sich doch wohl die Komödiantentruppen schämen, ihre Sachen vorzuspielen, ich wenigstens würde auch ebenfalls am Abende nicht mitspielen, und wenn sie mir selbst die vornehmste Rolle geben wollten. – Eine Art von Stücken gibt es, wo man immer weinen muß, ich habe es aber, bei aller Mühe, noch nicht dahin bringen können; die vornehmen Damen sind darin mehr geübt, aber der gute Herr William nimmt mich manchmal doch wieder mit: er hat auch noch kein einziges Mal darin geweint: ich denke, es macht, weil wir hier nur Fremde sind. –
In einem andern großen Hause lachen die Leute immer aus vollem Halse: es ist doch wirklich viel, daß das die Komödiantenleute nicht übelnehmen. Ich kann hier den jungen Italiener nicht leiden, der meinen Herrn manchmal besucht, er hat ein paarmal angefangen zu lachen, als ich mit meinem Herrn William eine ernsthafte Rede anfing; das Auslachen kann ich gar nicht leiden, Thomas, Du weißt noch, daß wir uns schon in einigen der ehemaligen Jugendjahre tüchtig ausschlugen, weil Du mich etlichemal hattest auslachen wollen, doch, das ist itzt vorbei, und ich hab es Dir vergeben. –
Wie ich Dir sagen wollte, so gefällt mir das Ding am besten, was sie hierzulande die Oper nennen, da braucht man nicht zu tun, als wenn man es verstünde, denn da wird einem jeden alles weitläuftig vorgesungen, und es ist ein recht vernünftiger Gedanke, daß wenn sie überdrüssig sind zu singen, so springen sie etliche Sätze herum. Die Musik ist Dir immer unter sehr viel Instrumente abgeteilt, damit der Lärm desto größer wird und die Komödiantensänger nicht die Herzhaftigkeit verlieren, denn das ist nicht ein geringer Spaß, wenn auf etliche darunter geschossen wird, oder manchmal werden sie auch ordentlich gestochen und sterben. – Herrlich sind dabei die Bilder, welche Häuser, oder Gärten, oder so etwas vorstellen, man möchte manchmal hineingehn, so natürlich scheint es in der Ferne auszusehn. Neulich war eine große Prügelei hier, ich glaube, es war eine Schlacht, die der berühmte Alexander machte. Sie war gut.
In Paris gibt es auch sehr viel arme Leute; Thomas, ich denke doch immer, daß die armen Franzosen auch meine Brüder sind, wenn ich auch im Grunde ein Engländer bin, ich habe manchem schon etwas von meinem Überflusse gegeben, und die bedanken sich dann immer so sehr, als wenn ich wunder was! getan hätte. – Wozu doch der liebe Gott wohl die so ganz armen Menschen in der Welt geschaffen haben mag? – Wenn ich erst einem etwas gebe, so kommen gleich eine Menge um mich herum, die mich so mit barmherzigen Augen ansehn, daß ich es gar nicht lassen kann, ihnen auch was zu geben; der eine drückt mir dann die Hand, der andre sieht nach dem Himmel, der dritte weint – oh, da hab ich oft mitgeweint und mich nicht dazu gezwungen, es kamen mir die Tränen ganz unverhofft – ach, es sind recht gute Leute, wenn sie nur ihr gehöriges Brot in der Welt hätten.
Die vornehmen Leute fahren hier in der Stadt sehr geschwinde, viel zu geschwinde, wie ein Jagdpferd. Es werden auch manchmal Leute übergefahren, und da machen sie sich nicht viel daraus, sie fahren über die Menschen ganz geruhig weg. – Thomas, auch darüber hab ich neulich geweint, wie sie so einen armen alten Mann überfuhren, der eben seinen kleinen Kindern Brot eingekauft hatte: es war gerade ein Fest, und er hatte sich weiß Brot gekauft, um sich doch auch eine Freude zu machen, und nun fuhren sie ihn gerade so unbarmherzig über, daß er schon am Abende starb. – Es ist nicht recht, Thomas, ich könnte nicht wieder recht ruhig schlafen, aber das ist hier nicht anders. Wir beide haben noch niemand übergefahren, denn wir sind immer zu Fuße gegangen, außer seit ich mit meinem Herrn auf Reisen bin. Übrigens bleibe mein Bruder, so wie ich bin
Dein guter Bruder Willy.
4
Thomas an seinen Bruder Willy
Bondly.
Ich habe Deinen Brief bekommen, Willy, und es freut mich, daß Du auch immer noch in der großen weiten Welt an Deinen Bruder denkst, das ist sehr brav von Dir. – Ich habe schon von solchem närrischen Zeuge und auch von solchen Greueltaten gehört, wie Du mir da schreiben willst, es ist in der Welt einmal nicht anders. Ich weiß nicht, ob Du schon davon gehört hast daß ich itzt in Bondly wohne und in Diensten beim alten Lord Burton bin. Die Lady Buttler ist gestorben und da bin ich nun hierhergekommen. – Der alte Lord ist bei weitem nicht der Mann, der er sein könnte, wenn er ein recht guter Christ wäre – nun, Du wirst ihn ja kennen, aber der junge Herr ist auch ein desto lieberer Herr, wenn der erst einmal die Herrschaft kriegen wird, da werden sich die Untertanen recht freuen, zu denen ich doch itzt auch gehöre. Ich wünschte wohl, daß ich's noch erlebte, und daß Du, Willy, mich dann in Bondly besuchtest, oder gar hierbliebest, der junge Herr Burton nähme Dich gewiß gleich in Dienste, dann wollten wir unsre letzten Tage noch recht vergnügt zusammenleben. – Grüße doch Deinen Herrn von mir und