Ludwig Tieck

William Lovell


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heut nicht mehr sehn werde. Antworte mir noch heut, wenigstens morgen früh, wenn Du mich nicht selbst besuchen solltest.

      O Balder, könnte doch meine Seele ohne Worte zu der Deinigen reden – und so alles, alles Dir ganz glühend hingeben, was in meinem Busen brennt, und mich mit Martern und Seligkeiten quält.

      Ja, Freund, itzt fühl ich es, wie sehr Rosa recht behält, wenn er sagt: Der Busen des fühlenden Menschen hat für tausend Empfindungen Raum, warum will der Mensch seiner eigenen Wonne zu enge Schranken setzen? Des Toren, der da schwört, daß er nie wieder lieben wolle! Kann er seine Seele zurücklassen?

      Du weißt von Amalien. Soll ich Dir sagen, daß ich ihr treulos bin? Treulos? das Wort hat keinen Sinn, sie ist meinem Herzen so unentbehrlich wie je. Aber kann ich denn diesem nämlichen Herzen widerstehn, welches mich zur Blainville reißt. Soll ich blind sein, und ihre Schönheit nicht sehen? Welche Macht ist es, die uns zueinander führt?

      Es war ein schöner Abend, ich war mit ihr im Garten des Grafen Melun, wir gingen lange einsam auf und ab. Balder, sie ist das edelste weibliche Geschöpf, das ich bis itzt gekannt habe! so viel Natur und Herzensgüte! Ich saß im stummen Entzücken in einer dämmernden Laube neben ihr; die Blumen dufteten Liebe, die Vögel sangen der Göttin Lieder, sie wandelte im Hauche des Zephirs durch den Garten und gaukelte in den Lindenblüten: mir war's, als könnt ich unter den goldenen Schimmern des Firmaments den rosengekränzten Engel sehn, der den tausendfachen Segen über die Natur ausgießt; wie sich die ganze lebende und leblose Natur kindlich zu ihm drängt, um zu empfangen und sich zu freuen – o es war eine der wonnevollsten Stunden meines Lebens.

      Ich war hundertmal im Begriffe, ihr meine Empfindungen zu gestehn, sie in einer blinden Begeisterung an mein Herz zu drücken, mich kühn zu ihrer Hoheit emporzureißen – aber Amaliens Andenken hielt mich grausam ernst zurück. – Aber ich will, ich muß ihr gestehn, was ich empfinde, ohne Mitteilung zersprengt dies Gefühl meinen Busen.

      Begeh ich dadurch eine Sünde an Amalien? – Antworte mir hierauf, ich glaub es nicht, ich liebe sie, ich werde sie lieben; aber soll mir diese Liebe ein Gesetz sein, gegen jede Vortrefflichkeit unempfindlich zu sein? – Liebe erhöht die Empfindungen, veredelt sie, sonst würd ich wünschen, nie geliebt zu haben. –

      17

      Balder an William Lovell

      Paris.

      Ich möchte Dir so gern nicht antworten – da komm ich mit hundert schwermütigen Träumen, mit tausend lästigen Gefühlen aus der nüchternen Welt nach Hause – und finde nun noch Dein Billet; – ich will noch einige Zeit anwenden, Dir zu antworten, besuchen mag ich Dich in meiner itzigen Stimmung nicht, wir würden nur streiten und morgen hab ich eine Menge lästiger Geschäfte: kurz, ich will Dir schreiben, nur laß mich nachher nicht öfter darüber sprechen, denn wir werden nie einig werden.

      Die ganze Welt erscheint mir oft als ein nichtswürdiges, fades Marionettenspiel, der Haufe täuscht sich beim anscheinenden Leben und freut sich; sieht man aber den Draht, der die hölzernen Figuren in Bewegung setzt, so wird man oft so betrübt, daß man über die Menge, die hintergangen wird und sich gern hintergehen läßt, weinen möchte. Wir adeln aus einem törichten Stolze alle unsre Gefühle, wir bewundern die Seele und den erhabenen Geist unsrer Empfindungen und wollen durchaus nicht hinter den Vorhang sehn, wo uns ein flüchtiger Blick das verächtliche Spiel der Maschinen enträtseln würde. – Ich sehe in Deiner neuen Liebe nichts, als Sinnlichkeit, Deine Phantasie bedarf beständig eines reizenden Spiels und Du wirst es auch allenthalben sehr bald finden; jenes hohe, einzige Gefühl der Liebe, das sich weder beschreiben noch zum zweiten Male empfinden läßt, hat Deine irdische Brust nie besucht, bei Dir stirbt die Liebe mit der Gegenwart der Geliebten. – Warum willst Du das hohe Wort entweihen?

      Ich erinnere mich lebhaft aus den wenigen goldenen Tagen meines Lebens, wie meine ganze Seele nur ein einziges Gefühl der Liebe ward, wie jeder andre Gedanke, jede andre Empfindung für mich in der Welt abgestorben war; in die finstern Gewölbe eines romantischen Haines war ich so tief verirrt, daß nur noch Dämmerung mich umschwebte, daß kein Ton der übrigen Welt an mein Ohr gelangte. Die ganze Natur wies auf meine Liebe hin, aus jedem Klange sprang mir der Geliebten holder Gruß entgegen. Sie starb – und wie Meteore gingen alle meine Seligkeiten auf ewig unter, sie versanken wie hinter einem finstern fernen Walde, kein Schimmer aus jener Zeit hat mir seitdem zurückgeleuchtet.

      Und auch nie wird ein Strahl zu mir zurückkehren! Ich sitze auf dem Grabmale meiner Freuden und mag selbst kein Almosen aus der Hand des Vorübergehenden nehmen, mein Elend ist mein Trost. –

      Ich fürchte, William, Du verstehst mich nicht, unser Gefühl widerspricht sich hier. Aber wenn Amalie Dich liebt, so ist sie durch Deine Liebe elend, denn Du wirst ihr dann nie zurückgeben, was sie Dir im vollen Maße ihrer Empfindungen schenkt. Sie seufzt um Dich, und Du vergissest sie, sie leidet, und Dich bewillkommnen neue Freuden – taufe Deinen Sinnenrausch nicht mit dem Namen Liebe, Du beleidigst diese hohe Gottheit: denn ist nicht Liebe eben dadurch Liebe, daß sie gänzlich unsern Busen füllt? Unsre Seele ist zu eng, um zwei Wesen mit demselben starken Gefühl zu umfangen, und wer es kann, der ist an Herzensgefühl arm geworden.

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