Theater« veröffentlicht (Berl., 2 Bde.). Dann gab er die hinterlassenen Schriften Heinrichs v. Kleist (Berl. 1821) heraus, denen die »Gesammelten Werke« desselben Dichters (das. 1826, 3 Bde.) folgten, ferner Schnabels Roman »Die Insel Felsenburg« (Bresl. 1827) und die »Gesammelten Schriften« von J. M. R. Lenz (Berl. 1828, 3 Bde.). Aus seiner dramaturgisch-kritischen Tätigkeit erwuchsen die wertvollen »Dramaturgischen Blätter« (Bresl. 1825–26, 2 Bde.; Bd. 3, Leipz. 1852; vollständige Ausg., das. 1852, 2 Tle.). 1837 verlor T. seine Frau, seine Tochter Dorothea starb 21. Febr. 1841. In demselben Jahre wurde er vom König Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berufen, wo er, durch Kränklichkeit zumeist an das Haus gefesselt, ein zwar ehrenvolles und sorgenfreies, aber im ganzen sehr resigniertes Alter verlebte. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Romantiker« (Bd. 17). Seine »Schriften« erschienen in 20 Bänden (Berl. 1828–46), seine »Kritischen Schriften« in 2 Bänden (Leipz. 1848), »Gesammelte Novellen« in 12 Bänden (Berl. 1852–54), »Nachgelassene Schriften« in 2 Bänden (Leipz. 1855). »Ausgewählte Werke« Tiecks gaben Welti (Stuttg. 1886–1888, 8 Bde.), Klee (mit Biographie, Einleitungen und Anmerkungen, Leipz. 1892, 3 Bde.) und Witkowski (mit Einleitung, das. 1903, 4 Bde.) heraus. Aus Tiecks Nachlaß, der sich in der Berliner Bibliothek befindet, veröffentlichte Bolte mehrere Übersetzungen englischer Dramen, unter andern »Mucedorus« (Berl. 1893). Die Ungleichheit von Tiecks Leistungen ist z. T. auf sein improvisatorisches Arbeiten zurückzuführen, das ihn selten zu reiner Ausgestaltung seiner geist-, phantasie- und lebensvollen Entwürfe gelangen ließ; die Gesamtheit seiner Schriften verrät deutlich die Weite und Größe seines Talents. R. Köpke, der T. in den letzten Berliner Jahren nahe stand, veröffentlichte eine ausführliche Biographie u. d. T.: »Ludwig T., Erinnerungen aus dem Leben etc.« (Leipz. 1855, 2 Bde.). Vgl. außerdem H. v. Friesen, Ludwig T., Erinnerungen (hauptsächlich aus der Dresdener Zeit, Wien 1871, 2 Bde.); »Briefe an Ludwig T.« (hrsg. von K. v. Holtei, Bresl. 1864, 4 Bde.); Ad. Stern, Ludwig T. in Dresden (in dem Werk »Zur Literatur der Gegenwart«, Leipz. 1880); Steiner, Ludwig T. und die Volksbücher (Berl. 1893); Garnier, Zur Entwicklungsgeschichte der Novellendichtung Tiecks (Gieß. 1899); Mießner, L. Tiecks Lyrik (Berl. 1902); Ederheimer, Jak. Böhmes Einfluß auf T. und Novalis (Heidelb. 1904); Koldewey, Wackenroder und sein Einfluß auf T. (Leipz. 1904); Günther, Romantische Kritik und Satire bei Ludwig T. (das. 1907). – Tiecks Schwester Sophie T., geb. 1775 in Berlin, verheiratete sich 1799 mit Aug. Ferd. Bernhardi (s. d.), von dem sie 1805 wieder geschieden wurde, lebte dann in Süddeutschland und mit ihren Brüdern, dem Dichter und dem Bildhauer, längere Zeit in Rom, später in Wien, München und Dresden. 1810 schloß sie eine zweite Ehe mit einem Esthländer, v. Knorring, dem sie in dessen Heimat folgte, und starb dort 1836. Sie hat außer Gedichten, z. B. dem Epos »Flore und Blanchefleur« (hrsg. von A. W. v. Schlegel, Berl. 1822), auch Schauspiele und einige Romane, wie »Evremont« (hrsg. von Ludw. T., das. 1836), geschrieben.
William Lovell
Erstes Buch
1
Karl Wilmont an seinen Freund Mortimer in London
Bondly in Yorkshire, am 17. Mai –
Wie kömmt es denn in aller Welt, daß Du nicht schreibst? Hundert Mutmaßungen sind mir schon durch den Kopf geflogen, aber auch nicht eine hat eine bleibende Stelle finden können. Bald halt ich Dich für tot, bald für verreist, bald glaub ich Dich irgendwodurch erzürnt zu haben, bald Deine Briefe auf der Post verloren. Doch, wie gesagt, von allem kann ich nichts glauben. – Oder bist Du etwa auch ein Überläufer geworden, und hast zur schwarzen Fahne der traurigen, langweiligen Ernsthaftigkeit geschworen? – Es sollte mir leid um Dich tun; aber wenn Du mir nicht launige Briefe schreiben willst, so schicke mir wenigstens ernsthafte: doch, wie gesagt, ich will es nicht von Dir hoffen, denn Du bist wie dazu geboren, aus Deinem ganzen Leben einen Scherz zu machen, und in der Laune, wie in Deinem Elemente zu leben. Ich habe noch bei niemand diese glückliche Mischung des Temperaments gefunden, die ihn mit vollen Segeln über die tanzenden Wellen hinführt, indes ihm die zeitlichen Sorgen schwer, unbeholfen und mit zerrissenem Tauwerk nachrudern, ohne ihn jemals einzuholen. – Ich schreibe Dir diesen Brief als eine Bittschrift, oder als eine Kriegserklärung, antworte mir freundschaftlich oder ergrimmt – nur schreib! – Sei traurig, wehmütig, großherzig, kriegerisch, lustig, ernsthaft; lobe, tadle verachte, schimpfe mich – nur schreib!
Nach dieser pathetischen Anrufung bleibt mir nun nichts weiter übrig, als meinen eigentlichen Brief anzufangen, der Dir also vors erste sagen mag, daß ich hier in dem angenehmen Bondly noch gesund und wohl bin, daß ich an Dich denke, daß ich Dich zu sehn wünsche, daß London nicht Bondly und Bondly nicht London ist, und daß, wenn ich diesen Brief in dieser Manier zu schreiben fortfahre, Du ihn schwerlich zu Ende lesen wirst.
Nicht wahr, Du siehst mir das langweilige Leben hier auf dem Lande schon an? – So abgetrieben war mein Witz nicht, als ich in euren lustigen Gesellschaften in London war, wo Wein, Gesang, Tanz und Küsse von den reizendsten Lippen uns begeisterten, wo unsre Laune mit sechs muntern Pferden über die ebne Chaussee des Leichtsinns und der Vergessenheit aller Wichtigkeiten und Armseligkeiten dieses Lebens dahinrollte – nun, wir werden uns wiedersehn! – Hier komm ich mir vor wie eine Schnecke, die nur immer furchtsam mit halbem Leibe ihre Behausung verläßt, und langsam und schwerfällig von einem Grashalme zum andern kriecht; – zwar ist die Gegend sehr schön, der Garten angenehm, auch veranstaltet uns der Himmel manchen prächtigen Sonnenuntergang- aber was ist eine Gegend, sei sie noch so schön, ohne Freunde, die unsre Freuden mit genießen? nichts als ein Rahm ohne Gemälde: wir sehen nur die Veranlassung, die uns vergnügen könnte. So leb ich hier einen Tag fort, wie den andern, zuweilen bekommen wir Besuche und erwidern sie – und so leben wir im ganzen nicht unangenehm. Wenn nur das ewige Einerlei nicht wäre!
Mein beständiger Gesellschafter ist William Lovell, der lebhafte, muntre Jüngling, den Du im vorigen Jahre einigemal in London sahst, er ist zum Besuche seines Busenfreundes Eduard Burton hier. William ist ein vortrefflicher junger Mann, der mir noch viel teurer sein würde, wenn er nur einmal erst neben mir festen Fuß fassen wollte; aber er gedeiht in keinem Boden. Kein Adler steht mit dem Äther und allen himmlischen Lüften in so gutem Vernehmen, als er; oft fliegt er mir so weit aus den Augen, daß ich ganz im Ernste an den armen Ikarus denke – mit einem Wort: er ist ein Schwärmer. – Wenn ein solches Wesen einst fühlt, wie die Kraft seiner Fittige erlahmt, wie die Luft unter ihm nachgibt, der er sich vertraute – so läßt er sich blindlings herunterfallen, seine Flügel werden zerknickt, und er muß nachher in Ewigkeit kriechen.
Es mag an feuchten Abenden, besonders für einen Mann im Amte, recht angenehm sein, einen weiten warmen Mantel zu tragen – aber wenn man ihn nie ablegen sollte, wenn man ihn zum Schlafrocke und zum Jagdkleide brauchen müßte, so möcht ich dafür lieber beständig in meinem schlichten Fracke gehn. Der Trank der Hippokrene mag ein ganz gutes Wasser sein, aber sich damit den Magen zu erkälten und ein Fieber zu bekommen, kann doch so etwas besonders Angenehmes nicht sein. Es gibt aber Leute, die sich für die entgegengesetzte Meinung totschießen ließen; und unter diesen steht William wahrhaftig nicht im letzten Gliede. Wir haben sehr oft unsre kleinen Disputen darüber, und was das schlimmste ist, so werd ich jedesmal aus dem Felde geschlagen; aber ganz natürlich, denn wenn ich etwa nur Lust habe, mit leichter Reiterei zu scharmutzieren, so schießt er mir mit Vierundzwanzigpfündern unter meine besten Truppen: wenn sich zuweilen nur ein paar Husaren von witzigen Einfällen an ihn machen wollen, so schleppt er mit einem Male einen ganzen Train schwerer Allgemeinsätze herbei, als: Lachen sei nicht der Zweck des Lebens, unaufhörliche Lustigkeit setze einen Mangel aller feinern Empfindung voraus, u.s.w. Oder er zieht sich unter die Kanonen seiner Festung, seufzt und antwortet gar nicht.
Du wirst gewiß fragen: was den unbefangenen, leichtherzigen William zu einem so schwermütigen Träumer gemacht habe? – Ich will Dir die Ursache entdecken, ob er gleich gegen sich selbst geheim damit tut – er ist verliebt! – Liebe, die den Menschen froher, glücklicher machen, die seinen Ellenbogen einen Zentner Kraft zusetzen sollte, um alle Sorgen aus dem Wege auf die Seite zu stoßen: – die Liebe – o Himmel! was hat die Liebe nicht schon in der Welt Böses getan?