Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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mein Lie­ber, ist die Kö­ni­gin al­ler Tode. Ge­bie­tet sie nicht über den Schlag­an­fall? Der Schlag­an­fall ist ein Pis­to­len­schuß, der nicht fehl­geht. Or­gi­en ver­schaf­fen uns leib­li­che Won­nen in Fül­le; sind sie nicht Opi­um in klei­nen Do­sen? Wenn wir un­mä­ßig trin­ken, for­dert die Aus­schwei­fung den Wein auf Tod und Le­ben in die Schran­ken. Schmeckt das Faß Mal­va­sier des Duc de Cla­rence41 nicht bes­ser als der Schlamm der Sei­ne? Wenn wir no­bel un­ter den Tisch rol­len, ist das nicht so et­was wie eine pe­ri­odi­sche Gas­ver­gif­tung? Wenn die Pa­trouil­le uns auf­liest und wir in den Wach­stu­ben auf den kal­ten Prit­schen lie­gen, ge­nie­ßen wir da nicht die Freu­den der Morgue,42 ohne die­se häß­lich auf­ge­trie­be­nen Bäu­che und blau-grü­nen Fle­cken, da­für aber im vol­len Be­wußt­sein der Lage? Oh‹, fuhr er fort, ›solch lan­ger Selbst­mord ist et­was an­de­res als der Tod ei­nes bank­rot­ten Krä­mers! Die Kauf­leu­te ha­ben un­se­ren Fluß ge­schän­det; sie stür­zen sich ins Was­ser, um ihre Gläu­bi­ger zu rüh­ren. An dei­ner Stel­le wür­de ich ver­su­chen, mit Ele­ganz zu ster­ben. Willst du eine neue To­des­art schaf­fen, in­dem du sol­cher­art das Le­ben her­aus­for­derst, bin ich dein Se­kun­dant. Ich lang­wei­le mich, ich bin ent­täuscht. Die El­säs­se­rin, die man mir zur Frau vor­ge­schla­gen hat, hat sechs Ze­hen am lin­ken Fuß: ich kann mit kei­ner Frau le­ben, die sechs Ze­hen hat! Das sprä­che sich her­um, und ich wäre lä­cher­lich. Sie hat nur 18 000 Fran­cs Ren­te! zu­we­nig Geld und zu­viel Ze­hen! Zum Teu­fel! Füh­ren wir ein tol­les Le­ben, viel­leicht pa­cken wir per Zu­fall das Glück beim Schop­fe!‹ Ras­ti­gnac riß mich mit. Die­ser Plan war zu ver­füh­re­risch, er ent­zün­de­te aufs neue zu vie­le Hoff­nun­gen, kurz, er hat­te eine zu poe­ti­sche Far­be, als daß ein Dich­ter ihm hät­te wi­der­ste­hen kön­nen. – ›Und das Geld?‹ frag­te ich. – ›Hast du nicht 450 Fran­cs?‹ – ›Ja, aber ich habe Schul­den bei mei­nem Schnei­der, bei mei­ner Wir­tin.‹ – ›Du be­zahlst dei­nen Schnei­der? Aus dir wird nie et­was wer­den, nicht ein­mal ein Mi­nis­ter.‹ – ›A­ber was kön­nen wir mit 20 Louis­dors an­fan­gen?‹ – ›Spie­len ge­hen.‹ Mich über­lief ein Schau­der. ›Oh!‹ rief er, als er mei­ne Scheu be­merk­te, ›du willst dich auf mein Sys­tem des wüs­ten Le­bens, wie ich es nen­ne, wer­fen und fürch­test dich vor ei­nem grü­nen Tuch!‹ – ›Hö­re‹, ant­wor­te­te ich ihm, ›ich habe mei­nem Va­ter ver­spro­chen, nie den Fuß in ein Spiel­haus zu set­zen. Nicht nur, daß das Ver­spre­chen mir hei­lig ist, ich ver­spü­re auch eine un­über­wind­li­che Ab­nei­gung, wenn ich an ei­ner Spiel­höl­le vor­bei­kom­me; nimm mei­ne 100 Ta­ler und geh al­lein hin! Wäh­rend du un­ser Ver­mö­gen ris­kierst, wer­de ich mei­ne An­ge­le­gen­hei­ten in Ord­nung brin­gen und dann in dei­ner Woh­nung auf dich war­ten.‹ So also, mein Lie­ber, rann­te ich in mein Ver­der­ben. Ein jun­ger Mann braucht nur auf eine Frau zu tref­fen, die ihn nicht liebt oder die ihn zu sehr liebt, und schon ist sein gan­zes Le­ben aus den Fu­gen. Das Glück ver­zehrt un­se­re Kräf­te, wie das Un­glück un­se­re Tu­gen­den ver­nich­tet. Als ich ins Ho­tel Saint-Quen­tin zu­rück­ge­kehrt war, be­trach­te­te ich lan­ge die Kam­mer, in der ich das keu­sche Le­ben ei­nes Ge­lehr­ten ge­führt hat­te, ein Le­ben, das viel­leicht lang und eh­ren­voll ge­wor­den wäre und das ich nicht für ein Le­ben der Lei­den­schaft hät­te ver­las­sen sol­len, das mich in den Ab­grund riß. Pau­li­ne kam und fand mich düs­ter da­ho­ckend. – ›Was ist Ih­nen denn?‹ frag­te sie. Ich stand mit erns­ter Mie­ne auf, zähl­te ihr das Geld hin, das ich ih­rer Mut­ter schul­dig war, und füg­te mei­ne Mie­te für ein hal­b­es Jahr hin­zu. Sie sah mich er­schro­cken an. ›Ich ver­las­se Sie, lie­be Pau­li­ne.‹ – ›Ich ahn­te es!‹ rief sie. – ›Hö­ren Sie, mein Kind, ich möch­te nicht völ­lig dar­auf ver­zich­ten, wie­der hier­her­zu­kom­men. Re­ser­vie­ren Sie mir mei­ne Zel­le ein hal­b­es Jahr lang. Bin ich am 15. No­vem­ber nicht zu­rück, so tre­ten Sie mei­ne Erb­schaft an. Die­ses ver­sie­gel­te Ma­nu­skript – da­mit wies ich ihr einen Pa­cken Pa­pie­re – ist die Ab­schrift mei­nes großen Wer­kes über den Wil­len; über­ge­ben Sie es der Kö­nig­li­chen Biblio­thek. Mit al­lem an­de­ren, was ich hier las­se, kön­nen Sie ma­chen, was Sie wol­len.‹ Sie warf mir Bli­cke zu, die mich schwer ins Herz tra­fen. Pau­li­ne stand da wie das leib­haf­ti­ge Ge­wis­sen.