G.F. Barner

G.F. Barner 1 – Western


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Den Oberkörper nach vorn geneigt, als würde er ihm zu schwer, kam Bill Seward auf seinen Bruder zu.

      »Bill«, sagte Bat besorgt. »Bill, du kannst dich kaum auf den Beinen halten, soll ich dich stützen? Bill.«

      Bill sah ihn an … In den tiefliegenden Augen nichts als Düsternis und Müdigkeit.

      »Ich brauche niemand, lass mich allein«, kam es hohl und dumpf aus seinem Mund. »Allein.«

      Als er nicht nach rechts in sein Zimmer abbog, sondern die Treppe nahm und nach oben stakste – langsam, Stufe für Stufe nehmend, die zitternden Hände am Geländer wie Krallen, blieb Bat unten stehen. Bat dachte an die beiden Zimmer oben, in denen Anthony einmal gelebt hatte. Der Alte ging hin – und Bat rührte sich nicht. Oben drehte sich ein Schlüssel in einem Türschloss, dann knarrte die Tür misstönig, sie fiel wieder zu.

      Er sieht nach, dachte Bat und fror leicht, jetzt sieht er nach, ich weiß es. Es lässt ihm keine Ruhe. Als ich ihn einmal darauf ansprach, was er oben machte, sagte er, er müsste Staub wischen.

      Seit zwanzig Jahren hat kein Fremder die Zimmer oben betreten, nur er. Einmal musste ich ihn holen und konnte für Sekunden in das eine Zimmer sehen. Es stand alles noch so wie damals, als Anthony noch lebte und ich mal zu Besuch hier war. Er hat nichts angerührt, nichts umgestellt, sondern alles so gelassen, wie es war.

      Oben polterte etwas, es war im anderen Zimmer, in dem Anthony geschlafen hatte. Dort hatten sie ihn damals gefunden, auf dem Bett und sterbend.

      Der Schrank, dachte Bat, als das Knarren durch das Haus drang, jetzt ist er an Anthonys Kleiderschrank. Etwas klapperte, danach kam ein Schurren.

      Er sucht, dachte Bat Seward, er sucht die Karten.

      Oben kauerte Bill Seward auf den Knien vor der Truhe. Er stierte auf die Blutspuren, die immer noch zu sehen waren. Blut, eingetrocknet, längst dunkelbraun, fast schwarz. An der Truhe waren welche, am Bettende. Auch am Schrank, an den sich Tony noch gelehnt hatte, ehe er auf das Bett gefallen war.

      Nichts war verändert, alles so geblieben. Selbst auf der Bettdecke war noch Blut zu erkennen. Er hatte es so sehen wollen – jeden Tag, wenn er heraufkam, um nichts zu vergessen, niemals! Umgebracht – ermordet – sein einziger Sohn. Hier oben hatte Bill Seward es geschworen – nicht einmal, hundertfach –, dass er die Margleys dafür umbringen würde.

      Bill Sewards Hände zitterten, als er sich erhob, den Deckel der Truhe zudrücken musste, weil die Scharniere eingerostet waren.

      Das Knarren ertönte erneut. Es war jenes Knarren, das Bat unten für ein Schranktürknarren gehalten hatte. Der Alte schwankte hager und dürr nun endlich zum Schrank. Blut, dachte er, als er die Wischspuren an der Tür neben dem Schloss sah, sein Blut, Tonys Blut.

      Ihn grauste etwas. Er hatte die Tür nie geöffnet. Vor den Spuren hatte ihn die Scheu gepackt. Jetzt griff er nach dem Schlüssel, wollte ihn umdrehen, aber der Schrank war nicht abgeschlossen. Der Alte zog, die Tür ging auf. Unten an der Leiste war etwas.

      Sein Atem ging plötzlich flatternd und keuchend. Einen Moment griff er sich an den Hals.

      Er hat was in den Schrank gelegt, dachte er, er konnte nichts anderes mehr denken, nur diese wenigen Worte. Der Wunsch war da, die Tür wieder zu schließen und nie mehr in den Schrank zu sehen. Aber dann meldete sich dieser nagende, bohrende Zweifel wieder. Gewissheit haben, oder den Schrank schließen? Plötzlich beugte er sich vor, seine Hände fuhren in den Schrank hinein. Papier lag unten, eine alte Zeitung war ausgebreitet worden. Das Papier war verrutscht.

      »Da«, lallte der Alte, und seine Knochenfinger zerrten das Papier fort. »Da, da …«

      Mehr konnte er nicht sagen. Er schloss die Augen, als er die Karten fühlte, er wollte sie nicht sehen, als er sie aufhob und sich zurückbeugte, sein Rücken gegen das Bettende fiel. Nicht hinsehen, nichts mehr sehen, nichts wissen.

      In seinen Ohren rauschte es plötzlich, sein Pulsschlag hämmerte wie irr los.

      Nein, dachte Bill Seward, es ist nicht wahr, es sind keine Karten, mit denen man pokern kann. Vielleicht Bridgekarten – ja, ja, Bridgekarten werden es nur sein. Oder?

      Er öffnete die Augen, kauerte, den Rücken gekrümmt, den Atem rasselnd und würgend am Boden. Da waren sie, acht Karten, Asse und Damen. Licht, dachte er, Licht, die Rückseite sehen. Wenn sie gezinkt sind, dann …

      Er kroch los, stieß an die Schranktür, die zuschlug. Licht fiel aus dem Fenster auf die Karten. Seine Linke tastete nach dem Kneifer, aber er bekam ihn kaum auf die Nase, so flatterten seine Hände. Dann sah er es und stieß einen dumpfen, grässlichen Laut aus. Kleine Punkte wie jene anderen in den Schrägfeldern der Rückseiten, nur anders geordnet.

      »Falschspieler«, röchelte der Alte. »Er war ein Falschspieler.«

      Verbrennen, schoss es ihm durch den Kopf, die Karten verbrennen. Niemand darf es jemals erfahren.

      Seine Hand fuhr in die Tasche. Er nahm die Streichhölzer, kroch zur Waschschüssel. In der Waschschüssel konnte er die Karten verbrennen.

      Als er die Schüssel vom Ständer gehoben und am Boden stehen hatte, wollte er ein Streichholz anreißen. Zwei-, dreimal versuchte er es, aber die Streichhölzer brachen ab.

      Das vierte Streichholz brannte. Er stierte in die Flammen, hob die Karten ihr entgegen. Dann wurde sie jäh größer, loderte empor und griff nach ihm. Er schrie einmal, als die Flamme ihn erreichte. Sein Körper schlug zuckend um, und seine Stiefel stießen gegen das Bettgestell. Er wollte noch etwas sagen, aber es drang nur ein dünner, pfeifender Laut aus seinem Mund. Seine Finger krampften sich zusammen. Die Karten wurden zusammengepresst.

      »Bill!«, schrie Bat Seward und stürmte nach dem dröhnenden, schweren Fall oben die Treppe empor. »Bill!«

      Schreiend riss Bat die Tür auf und sah ihn liegen. Er bewegte sich nicht mehr. Sein Unterarm lag über dem Rand der Schüssel, in der das Streichholz erloschen war. In der Hand hielt er die Karten.

      Bat Seward blieb stehen und stierte auf seinen Bruder hinab. »Bill?«, fragte er dann sehr leise und zaudernd. »Bill …?«

      Bill war tot, und Bat der Erbe …

      So war das also, dachte Bat verstört, und seine sonstige Gleichmütigkeit überfiel ihn wieder, Tony war ein Kartenhai. Und Bill ein verdammter Narr.

      *

      Der Alte trat aus der Hütte, als Cameron etwa hundert Schritt entfernt war. Sein auf die Reiter gerichtetes Gewehr sank langsam herab. Dann stützte er sich auf die Mündung der Waffe. Cameron ritt durch die fast schnurgerade in die Kakteen gehauene Gasse auf die Bretterhütte zu. Der Rauch zog nun dünner als vorher aus dem Seitenschornstein, einem Blechrohr. Die Hütte war weiß gestrichen, eine Art Veranda wurde von einem weit nach unten gezogenen Dach überschattet.

      Barry Carmeron warf einen Blick auf die an der Schnur hängenden Spannbretter und Schlangenhäute. Der zottige Bart des Alten öffnete sich jetzt, und sein meckerndes Lachen schrillte Cameron in den Ohren.

      »Hähä, die Armee«, kicherte der Alte. »Willkommen, Sir, nur herauf und in den Schatten, Sir – Mister Cameron.«

      »Sie kennen mich?«, fragte Cameron verwundert. »Hallo, mein Freund, wann haben wir uns gesehen?«

      »Lange her – sehr lange, ja, ja«, sagte der Alte heftig nickend. »Bin Gropie Williams, Mister Cameron. War mal beinahe euer Nachbar, ja, ja.«

      »Gropie Williams, alle guten Geister«, sagte Cameron. »Mann, Sie leben hier mitten in der Wüste? Williams, haben Sie Wasser?«

      »Alles da, hihi«, kicherte Gropie. »Hinter dem Haus, neben dem Corral für meine Tiere. Ein Brunnen, Sir, immer gutes Wasser, Sir, sehr gutes Wasser, aber es macht etwas Arbeit, es hochzuziehen.«

      »Sergeant Jennings«, brummte Cameron, »lassen Sie sich den Brunnen zeigen und tränken Sie die Pferde. ­Absitzen und Kaffee kochen … Williams, was hat Sie hierher verschlagen, Mann?«

      Gropie legte