Susan Anne Mason

Ein Wagnis aus Liebe


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nichts, sich das Unmögliche zu wünschen, Gin. Lass uns einfach froh darüber sein, dass wir Christian haben. Und mit ihm können wir versuchen, die Dinge wiedergutzumachen. Wir werden unser Bestes geben, damit er eine glückliche Kindheit hat.“

      „Darüber wollte ich sowieso noch mit dir reden“, entgegnete Virginia, als sie den Kleinen wieder an sich nahm.

      „Worüber genau?“

      „Ich habe über meine Pläne für den Sommer nachgedacht und …“, sie holte tief Luft, bevor sie weitersprach. „Und entschieden, meine Reise abzusagen.“ Ein wenig nervös wagte sie es kaum, ihren Bruder anzusehen. Nach einem flüchtigen Blick zu ihm, wandte sie sich schnell wieder dem Baby zu, lockerte eine Haarsträhne, nach der es gerade griff, und setzte sich auf den Schaukelstuhl.

      Andrew folgte ihr und suchte auf Virginias Gesicht nach einem Hinweis, der ihren plötzlichen Meinungswechsel erklären konnte. Hatte es wirklich mit Christian zu tun? Oder verbarg sie etwas ganz anderes vor ihm?

      „Du hast Basil versprochen, ihn und seine Familie nach Europa zu begleiten. Sie werden sehr enttäuscht sein, wenn du dich jetzt umentscheidest.“

      „Aber ich werde doch hier gebraucht. Ich kann Christian nicht auch noch verlassen, wo er sich gerade an mich gewöhnt. Das wäre einfach zu grausam.“

      Grausam war wirklich kein passendes Attribut für Virginia. Andrew kannte kaum eine fürsorglichere junge Frau als seine Schwester.

      „Kinder stellen sich schnell auf neue Situationen ein“, entgegnete Andrew beschwichtigend. „Und ein Kindermädchen steht ganz oben auf meiner Liste. Sobald wir jemand Passendes gefunden haben, könnt ihr euch gemeinsam um ihn kümmern und Christian kann sich ganz langsam umgewöhnen, bevor du tatsächlich fährst.“

      Tränen standen in Virginias Augen und betonten die kleinen goldenen Flecken darin. „Ich kann ihn nicht einfach zurücklassen. Er hat sich schon längst in mein Herz gestohlen. Wenn Basil doch nur in Betracht ziehen würde …“

      „Ginny“, unterbrach Andrew sie und beugte sich zu ihr herunter. „Ich weiß, wie sehr du Christian liebst. Aber du kannst nicht einfach dein Leben für ihn aufgeben.“

      „Warum denn nicht?“, fragte sie herausfordernd. „Hast du nicht genau dasselbe vor?“

      „Nein, habe ich nicht. Ich kümmere mich um Hilfe, und falls ich heiraten sollte …“ Warum brachte ihn das Thema Ehe jedes Mal ins Zögern? „Wenn ich heirate“, sagte er nun mit kräftigerer Stimme, „werden meine Frau und ich die Rolle seiner Eltern übernehmen. So kann Christian mit ein und demselben Kindermädchen aufwachsen.“ Er gab sich Mühe, ein Lächeln aufzusetzen. „Das wird das Beste für ihn sein. Hab nur Geduld.“

      Virginia stützte ihr Kinn auf Christians Kopf ab. „Ich hoffe, du hast recht. Auch wenn ich mir zurzeit nicht vorstellen kann, dass es für mich etwas Besseres geben kann als Christian“, gestand sie und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Der schwermütige Ausdruck darin versetzte Andrews Herz einen Stich.

      „Geht es hier wirklich um Christian?“, fragte er besorgt. „Oder eher um Basil und dich?“ Dass seine Schwester über die Verbindung mit Basil nicht so erfreut war wie ihr Vater, hatte Andrew bereits bemerkt. Und doch bezweifelte er, dass Virginia sich jemals gegen ihren Vater stellen würde. Nicht nach dem Desaster, das Frank damit ausgelöst hatte.

      Bedrückt schaute sie zu Boden. „Womöglich ist es beides.“

      „Das solltest du besser klären, bevor du ihm dein Jawort gibst, Ginny. Vorausgesetzt, dass er überhaupt den Mut findet, dich endlich zu fragen“, sagte er mit einem Grinsen. „Aber jetzt entschuldige mich bitte. Ich muss mich darum kümmern, dass unsere Annonce für ein Kindermädchen noch eine Woche länger in der Zeitung erscheint.“ Und damit stand er auf, gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn und ging zur Tür.

      „Drew?“

      „Ja?“

      „Lass dir ruhig noch etwas Zeit mit dem Kindermädchen. Bis zu meiner Abreise sind es noch acht Wochen. Davon möchte ich den Kleinen so lange wie möglich für mich haben.“

      Ihre Bitte, untermalt von dem harmonischen Bild, das die beiden auf dem Schaukelstuhl abgaben, berührte Andrew. Eines Tages wird sie sicherlich eine wundervolle Mutter sein, dachte er. Bedauerlich, dass Basil nicht merkte, wie viel es Virginia bedeuten würde, Christian großzuziehen. Und das wäre nicht nur für das Baby das Beste, sondern auch für Andrew: Damit hätten seine Debatten mit Celia auch ein Ende gefunden.

      „Keine Sorge. Dir wird noch genug Zeit mit ihm bleiben. Ein Kindermädchen zu finden, das Mutters Ansprüchen gerecht wird, ist schwerer als gedacht“, erklärte Andrew mit einem Zwinkern und zog die Tür hinter sich zu.

      Auf dem Weg die Treppe hinunter betete er, dass Gott ihm das richtige Kindermädchen schicken würde. Eine Frau, die dem Kleinen all die Liebe und Fürsorge schenken würde, die er verdiente.

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      Nach einem kurzen Halt bei der Zeitung fuhr Andrew mit seinem Wagen in Richtung Easton Towers Hotel. Wie sehr er diese Stadt liebte. Das Zusammenspiel aus Alt und Neu war wie eine Quelle der Inspiration. Als er an der Universität vorbeifuhr, überkam ihn die Nostalgie: Selbst mehrere Jahre nach seinem Abschluss fehlte ihm die Zeit auf dem Campus und das kameradschaftliche Miteinander. Doch mit Kriegseintritt war diese unbeschwerte Zeit jäh beendet worden. Woher hätte Andrew auch wissen sollen, dass sich sein Leben damit vollständig verändern würde?

      Wenige Minuten später stellte er den Wagen vor dem Hotel ab und ging mit leicht geschwellter Brust in die Lobby. Die Easton Towers waren der Inbegriff von Eleganz und Oscar Eastons ganzer Stolz. Manchmal kam es Andrew sogar vor, als bedeutete seinem Vater das Hotel mehr als die eigene Familie. Nichtsdestoweniger musste auch Andrew zugeben, dass ihnen damit eine außerordentliche Unternehmung gelungen war.

      Auf dem Weg zum Aufzug, der ihn bis in den zehnten Stock zu den Büroräumen brachte, begrüßte er das Empfangspersonal mit einem Nicken. Oben angekommen klopfte er an der Tür seines Vaters und wartete auf eine Reaktion, bevor er das opulente Zimmer betrat.

      „Guten Tag, Vater.“

      „Andrew, wie gut, dass du gerade kommst“, entgegnete ihm sein Vater, als er den Blick vom Schreibtisch hob. „Mir ist gar nicht aufgefallen, dass du heute Vormittag nicht hier warst. Ist alles in Ordnung?“

      Vom freundlichen Ton dieser Worte ließ Andrew sich nicht hinters Licht führen. Die verborgene Kritik darin – Warum warst du nicht an deinem Schreibtisch?– nahm er deutlich wahr.

      „Ich habe heute Morgen von zu Hause aus gearbeitet. Ein Umgebungswechsel fördert die Produktivität“, antwortete er betont locker und ging die Fensterfront entlang, die einen wunderschönen Blick auf den Stadtkern eröffnete. Wenn er weit geradeaus schaute, konnte er beinahe erkennen, wie die Sonnenstrahlen auf dem Ontariosee glitzerten. Wie lange war es her, dass er dort zum letzten Mal am Strand gelegen hatte? Oder mit dem Boot über das Wasser gefahren war? Jetzt, wo das gute Wetter endlich da war, sollte er solchen Freizeitaktivitäten mehr Zeit einräumen.

      Als Andrew sich umdrehte, bemerkte er das Stirnrunzeln seines Vaters. Durch die Deckenleuchte glänzten die einzelnen silbernen Strähnen in seinem sonst dunklen Haar. Zweifelsohne eine Folge der jüngsten Ereignisse.

      „Lass das nicht zur Gewohnheit werden. Du wirst hier gebraucht.“

      Einen Moment später zog er eine Augenbraue hoch, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, und sah dabei genauso aus wie Frank. Mit seinem dunklen Haar war Andrews großer Bruder ihrem Vater zum Verwechseln ähnlich gewesen. Andrew hingegen hatte äußerlich mehr von seiner Mutter. Vielleicht war das auch der Grund, warum sein Vater immer schon Frank bevorzugt hatte – er war sein perfektes Spiegelbild gewesen, das Oscar Eastons Selbstbewusstsein stärkte. Insbesondere dann, wenn er mit seinem Charme selbst den letzten Idioten um den Finger wickelte.

      Sein Vater lehnte sich zurück. „Gibt