Susan Anne Mason

Ein Wagnis aus Liebe


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vermutete, dass das Baby Schuldgefühle in ihm aufkommen ließ: darüber, wie er seinen Sohn verleugnet hatte, und vor allem darüber, wie forsch er dessen Frau gegenübergetreten war.

      Für Andrew hingegen war Christian ein Geschenk des Himmels. Er hoffte, dass er die klaffende Lücke füllte, die Franks Tod hinterlassen hatte, und die Eastons als Familie wieder mehr zusammenbringen würde.

      „Bisher haben wir noch niemanden gefunden. Mutters Ansprüche schüchtern die Kandidatinnen ganz schön ein. Aber heute Morgen habe ich die Ausschreibung ein wenig umformuliert und auf dem Weg hierher zur Zeitung gebracht.“

      „Gut“, erwiderte Oscar nun etwas weniger kritisch. „Sobald der Junge gut umsorgt ist, kann auch ich wieder beruhigt sein. Ich möchte nicht, dass er deiner Mutter zu viel Arbeit bereitet oder gar einen gesundheitlichen Rückschlag bedeutet.“

      Andrew verkniff sich ein Seufzen – wenn sein Vater doch bloß erkannte, dass genau das Gegenteil der Fall war. Der kleine Christian bewahrte seine Großmutter davor, in ihrer Trauer über Franks Tod zu versinken.

      „Jetzt aber haben wir Wichtigeres zu besprechen“, unterbrach Oscar Andrews Gedanken, als er plötzlich aufstand und seine Weste zurechtrückte.

      „Und das wäre?“, fragte Andrew nichts ahnend.

      „Cecilias Geburtstag. Die Abendgesellschaft bei den Carmichaels morgen.“

      „Was ist damit?“

      „Ich hoffe, dass du daran teilnehmen wirst. Du musst schließlich deine Absichten verteidigen. Glaube mir, es gibt genügend andere Männer, die gern an deine Stelle treten würden.“

      Andrew unterdrückte das Verlangen, mit den Augen zu rollen. „Ich werde dort sein, keine Sorge. Celia hat mir schon gesagt, wann ich kommen soll.“

      „Wunderbar.“ Zufriedenheit lag in Oscars Stimme, als er weitersprach: „Es freut mich sehr, dass du und Harrisons Tochter so gut miteinander auskommt. Sicherlich werdet ihr bald eure Verlobung bekannt geben?“

      Wütend ballte Andrew seine Hände zu einer Faust, löste sie aber gleich wieder. „Ganz im Gegenteil. Ich gehe das langsam an, Vater.“

      „Die Zeit rennt, Andrew. Wenn du nicht aufpasst, kommt dir noch jemand zuvor. Eine Schönheit wie Cecilia, die zudem auch noch klug ist, ist selten.“

      „Das weiß ich. Trotzdem möchte ich mir wirklich sicher sein, bevor ich mich auf etwas so Ernstes einlasse wie eine Ehe.“

      Oscar schenkte sich gerade auf der Anrichte eine Tasse Kaffee ein, hielt dann aber inne. „Sicher sein worüber?“

      „Dass sie nicht immer noch in Frank verliebt ist.“ Andrew merkte, wie bei diesem Gedanken Eifersucht in ihm hochkam. Würde er sich je damit abfinden können, dass Celia sich einst für Frank entschieden hatte? Wenn er damals nicht der koketten Engländerin begegnet wäre, hätte er ihre Verlobung auch nicht aufgehoben und Celia wäre jetzt Franks Ehefrau. Das konnte Andrew nicht so einfach vergessen. Überdies machte ihn ihr plötzliches Interesse stutzig. Früher hatte sie ihn kaum beachtet.

      Jetzt trat sein Vater neben ihn und legte die Hand auf Andrews Schulter. „Das ist deine Chance, Andrew, dich noch ein letztes Mal für deinen Bruder einzusetzen. Wenn du Cecilia heiratest, stellst du damit die gute Beziehung zwischen den Eastons und den Carmichaels wieder her.“ Und mit leicht zusammengekniffenen Augen ergänzte er: „Du warst immer schon ein Mann von Integrität. Mehr noch als dein Bruder, wie sich herausgestellt hat.“

      Dieses Kompliment hörte Andrew gern. Und doch fühlte es sich nicht richtig an, hatte einen sauren Beigeschmack. Warum musste Frank erst sterben, damit ihr Vater Andrew lobte? „Ich weiß, was auf dem Spiel steht, Vater. Aber ich werde nichts überstürzen.“

      Für mehrere Augenblicke betrachtete der Vater seinen Sohn stillschweigend. „Ich glaube, es ist an der Zeit, dich über einen Plan zu informieren, über den Harrison und ich in Verhandlung stehen“, sagte er schließlich. Er zeigte in Richtung der zwei Sessel, die an einem Tisch standen, und die beiden setzten sich. „Was ich dir jetzt erzähle, muss allerdings unter uns bleiben“, begann er und nahm sich eine Zigarre aus der Box. „Harrison denkt darüber nach, sich mit uns zusammenzuschließen, um eine Hotelkette zu eröffnen. Mit dem Geld seiner Entwicklungsfirma im Rücken hätten wir alles, was wir bräuchten, um mehrere neue und sogar noch größere Hotels aufzumachen. Wir haben uns bereits ein paar infrage kommende Objekte in Ottawa und Winnipeg angesehen. Vielleicht können wir sogar bis nach Vancouver gehen.“

      Andrew strich sich besorgt mit der Hand durch den Bart. „Ist das wirklich der richtige Zeitpunkt für solch eine Veränderung? Die Wirtschaft ist durch den Krieg immer noch geschwächt. Leute gehen nicht auf Reisen, wenn sie kaum genug Geld zum Überleben haben. Ich halte das für ein sehr waghalsiges Vorhaben.“

      „Vielleicht. Vielleicht zeugt es aber auch von zwei Männern mit einer Vision, die einen mutigen Schritt wagen und sich die Unsicherheit der anderen zu eigen machen“, erwiderte er selbstbewusst und zündete genussvoll die Zigarre an, mit der er kleine Rauchkringel formte. „Wenn alles funktioniert, brauche ich jemanden, der die Hotels an den neuen Standorten betreut. Wer wäre dafür besser geeignet als du? Dir kann ich blind vertrauen, du hast immer schon an meiner Seite gearbeitet und das Unternehmen kennst du in- und auswendig.“

      Überrascht rutschte Andrew auf dem Sessel herum und konnte kaum glauben, was sein Vater soeben gesagt hatte.

      „Und wenn du Cecilia heiratest, wäre das das Sahnehäubchen auf der Torte. Das würde die beiden Familien noch viel enger und anhaltender miteinander verbinden. Und Harrisons Beteiligung garantieren.“

      Sofort lief es Andrew eiskalt den Rücken herunter. „Willst du meine Ehe wirklich als Schmiergeld nutzen? Das klingt ja gerade so, als soll ich damit bloß dein Unternehmen voranbringen.“

      „Natürlich nicht. Ich zeige dir nur die Fakten auf. Eure Ehe wäre beiden Familien zum Vorteil“, sagte er und schwieg einen Moment. „Denk darüber nach, Andrew. Eine wunderschöne Frau. Ein eigenes Hotel. Was wünscht man sich mehr?“

      Plötzlich wirkte Andrews Traum, das, worauf er lange und hart hingearbeitet hatte, zum Greifen nahe. Es ging ihm nicht nur um den Respekt seines Vaters – eine mächtige Beförderung, die neue Herausforderungen und mehr Verantwortung mit sich brachte, stand im Raum.

      Aber konnte er Toronto dafür wirklich verlasen? In eine Stadt ziehen, die eine Tagesreise weit von seiner Familie und seiner Heimat entfernt lag?

      „Darüber muss ich mir Gedanken machen.“

      „Sicher. Aber denk nicht zu lange nach, mein Sohn. Wie ich schon sagte: Die Zeit rennt.“ Mit seinem stählernen Blick verlieh er den Worten mehr Nachdruck, als jedes ausgesprochene Ultimatum es je vermocht hätte.

      Wenn Andrew das Angebot seines Vaters ausschlug, ließe er damit nicht nur ihn, sondern auch das Unternehmen im Stich. Eigentlich hätte Frank diese Position zugestanden, nun aber lag es an Andrew, in seine Fußstapfen zu treten. Die Rolle des pflichtbewussten Sohnes zu übernehmen und Celia zu heiraten. Eine Kluft zu überwinden, die Frank einst zwischen die zwei mächtigsten Familien Torontos geschlagen hatte.

      In Andrews Hand lag der Schlüssel zu alledem, wonach sein Vater immer schon strebte. Und doch nagte an Andrew der Zweifel: War er bereit, sich dem Wunsch seines Vaters zu unterwerfen? Was, wenn er damit womöglich sein eigenes Glück aufs Spiel setzte?

      Kapitel 3

Liebe Grace, 30. April 1914

      ich habe ganz wundervolle Neuigkeiten: Seit Kurzem arbeite ich in einem großen Hotel, nicht allzu weit weg von der Pension. Bei gutem Wetter kann ich zu Fuß gehen und sonst fährt eine Straßenbahn bis fast genau vor die Tür. Durch meine Erfahrungen als Schreibkraft hat man mich in einem der Büros der Hotelverwaltung angestellt. Mr Easton senior ist ein sehr strenger Arbeitgeber, aber glücklicherweise ist sein