CSI-Ermittler haben den königlichen Kaplan Albert von Sponheim als Täter ausgeforscht. Die relativ plumpe Fälschung wird von dem italienischen Dichter und Gelehrten Francesco Petrarca entlarvt, dem zwei beigelegte Urkunden – eine vorgeblich von Caesar persönlich und die andere vom römischen Kaiser Nero – doch eher suspekt erscheinen. So dauerte es fast hundert Jahre, ehe der habsburgische Kaiser Friedrich III. die gefälschte Urkunde doch noch als echt anerkennt. Ein Habsburger kratzt dem anderen kein Auge aus, und »echt« ist eben, was machtpolitisch durchgesetzt werden kann.
1193
»Wertvoller noch denn Gold und Edelgestein«
24 000 Kilo Silber für den englischen König
Der Pilger hat eine weite Reise hinter sich. Drei Tage vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1192 macht ein Engländer mit seinen Begleitern Rast im sogenannten »Jägerhaus«, einem Nebengebäude eines größeren Meierhofs vor dem mittelalterlichen Wien. Der Weiler, nahe einem Arm der Donau, die die Ebene vor Wien durchströmt, wird von der Bevölkerung hier »Erpurch« genannt. Das Gut gehört dem Babenberger Herzog Leopold V., der hier seine Jagdhunde mit eigens für sie gebackenem Brot füttern lässt. Es ist ein unfreundlicher Tag. Entlang des großen Flusses hält sich feucht-kalter Nebel. Der Reisende aus dem Heiligen Land will für sich und seine Knappen eine geheizte Stube und Labung. In seinem dicken Lederbeutel klingen Münzen. Ein Kreuzfahrer erregt Aufsehen. Der noble Pilger schickt einen Weggefährten in die nahe Stadt. Die Jäger, Bauern und Knechte haben noch nie byzantinische Goldmünzen gesehen. Sein deutsch sprechender Begleiter soll in Wien das wertvolle Goldstück in kleinere Silbermünzen wechseln und Lebensmittel einkaufen. Dieser Handel wird teure Folgen haben.
Die Ankunft eines offenbar reichen ausländischen Ritters, der aus dem Morgenland mit einem Goldschatz zurückkehrt, spricht sich herum. Auch der Herzog in seiner Burg erfährt von dem geheimnisvollen Reisenden – wenn er ihn nicht schon über Wochen bespitzeln hat lassen. Er lässt Soldaten in die Vorstadt marschieren. An einem Dienstag, den 22. Dezember 1192, wird Englands König Richard Löwenherz aus dem Geschlecht der Plantagenets gefangen genommen. Zeitgenössische Berichte über die Festnahme sind nicht überliefert. Richard wird sich den österreichischen Soldaten wohl sofort zu erkennen gegeben haben. Er wird höflich behandelt. Im Inneren eines Hausflurs in der Wiener Erdbergstraße erinnert eine Marmortafel die Hausbewohner an diese Sternstunde Österreichs. Sternstunde? Wir werden sehen!
Ein König genießt im Mittelalter fast heiligen Respekt. Der vermeintliche Pilger wird in die Stadt und direkt in die Herzogsresidenz gebracht. König Richard und Herzog Leopold sind alte Bekannte. Freunde sind sie nicht.
Die beiden Fürsten haben im dritten Kreuzzug miteinander gegen Sultan Saladin im »Heiligen Land« gekämpft und nach monatelanger Belagerung die Küstenstadt Akkon erobert. Dieser Sieg im Namen des Kreuzes ist die Wurzel des Konflikts. Nach der Erstürmung von Akkon pflanzten die Kreuzfahrer ihre Banner auf den Turm der Zitadelle. Damit markierten sie sichtbar ihren Sieg und ihren Anspruch auf die eroberte Stadt. Neben der englischen Fahne König Richards wehte das französische Banner König Philipps II. August. Herzog Leopold V., der seit dem Tod von Kaiser Friedrich I. Barbarossa und seines Nachfolgers Friedrich von Schwaben das Häuflein deutscher Ritter kommandierte, ließ sein eigenes Banner, einen schwarzen Panther auf silbernem Grund, auf einem der Mauertürme von Akkon befestigen. Damit erhob der Babenberger Anspruch auf seinen (und des Kaisers) Anteil am Sieg über die Muselmanen und die gewaltige Beute. Vor der Übergabe der Festung hatten die Belagerer für das Leben der muslimischen Bewohner ein hohes Lösegeld erpresst.
König Richard war über Leopolds Forderung »not amused«. Er ließ das Wappen des Babenbergers entfernen. Aus seiner Sicht verständlich: Die wenigen deutschen Kreuzritter, die es nach dem Tod von Kaiser Friedrich Barbarossa nach Palästina geschafft hatten, hatten nur einen bescheidenen Beitrag zur Eroberung Akkons geleistet. Außerdem empfand Englands König den Anspruch eines eher unbedeutenden Herzogs auf ein Drittel der Kriegsbeute als Anmaßung. Europäische Machtpolitik erwies sich allemal stärker als »christliche Werte«.
Dass der Engländer Österreichs Banner tatsächlich in den Burggraben werfen ließ, wie die Überlieferung besagt, ist eher unwahrscheinlich. Als Begründung für das Kidnapping des englischen Königs sollte diese Episode später eine große propagandistische Bedeutung erlangen. Leopold V. musste in Akkon zurückstecken. Er und die deutschen Ritter machten sich aus dem Staub Palästinas und kehrten nach Hause zurück.
Machtpolitische Gegensätze aus dem Abendland wurden im Morgenland nahtlos weiter ausgetragen. Auch zwischen dem König von England und seinem Waffengefährten König Philipp II. von Frankreich war die Rivalität dort wieder voll ausgebrochen. Die beiden Intimfeinde stritten mit voller Brutalität um den Titel eines »Königs von Jerusalem«, als Symbol für die Über- beziehungsweise Unterordnung des einen oder anderen. Richard und Philipp fochten in der Normandie und in Aquitanien einen blutigen Kleinkrieg um englische beziehungsweise französische Besitzungen aus. Englands König war auch Herzog der Normandie und von Aquitanien und als solcher Lehensmann des französischen Königs Philipp. Philipp hatte die durchaus lebensgefährliche Kreuzzugsfahrt in erster Linie deshalb unternommen, damit Richard Löwenherz im Morgenland nicht unbeobachtet morden und brandschatzen konnte. Und auch im Heiligen Römischen Reich war es nach dem Tod des Staufers Friedrich Barbarossa wieder zu dynastischen Rivalitäten zwischen den mächtigen Clans der Welfen und der Staufen um die Vorherrschaft gekommen. Europas politisches Kräftegleichgewicht war Ende des 12. Jahrhunderts wieder einmal in einem höchst labilen Zustand.
Richard Löwenherz und seine Truppe kämpfen auch nach der Eroberung der Küstenstadt Akkon weiter, bauen zerstörte Kreuzritterburgen auf, sichern Wege und Nachschubrouten, und sie bedrängen Saladin, der sich mit seiner noch immer intakten Armee nach Jerusalem zurückzieht. Die Kreuzritter müssen erkennen: Ihre Kräfte reichen zur Eroberung Jerusalems nicht aus.
Der englische König verhandelt mit seinem muslimischen Widerpart und schließt einen Waffenstillstand für drei Jahre. Christliche Pilger sollen ungehinderten Zugang zu den heiligen Stätten in Jerusalem haben. Mit diesem – halben – Erfolg endet der dritte Kreuzzug. Richard I. Löwenherz wird in England gebraucht. Nach Jahren der Abwesenheit muss er seine Autorität wiederherstellen.
Richard hat es eilig. Im Oktober 1192 besteigt er ein Schiff und segelt über Zypern nach Norden. Er will auf schnellstem Weg nach England. Seine Route soll ihn zunächst über die Adria zu seinen Verwandten nach Sachsen führen. Das Unheil kündigt sich an. Das Meer ist stürmisch. Knapp vor dem Ziel, an der Adriaküste vor Aquileia, geht Richards Schiff zu Bruch. Der König muss im Winter den beschwerlichen Landweg quer durch das Herrschaftsgebiet seines Rivalen Herzog Leopold V. nehmen.
Das Netz ist schon ausgelegt, als Richard von Oberitalien aus gegen Norden zieht. Er ahnt nicht, dass er Opfer einer großangelegten europäischen Erpressungsaffäre werden soll. Im Mittelalter ist man nicht sehr zimperlich.
Der englische König reist als einfacher Pilger und Kreuzritter mit kleinem Gefolge. Er weiß, dass er sich in Feindesland bewegt. So kommt er bis vor die Tore Wiens – bis nach Erdberg. Die Gefangennahme des Helden von Akkon durch den österreichischen Herzog löst ein politisches Erdbeben in der mittelalterlichen Welt aus. Von London über Paris, von der Normandie über das römisch-deutsche Reich, nach Wien, Zypern und ins Heilige Land laufen die Fäden dieser unerhörten Geiselnahme.
Herzog Leopold beginnt ein gewagtes Spiel. Die »Affäre Löwenherz« wird sich über zwei Jahre ziehen und in die romantische Sagenwelt eingehen. Legenden werden die Wahrheit verschleiern und den europäischen Konflikt überdecken.
Zunächst ist die von Leopold befohlene Gefangennahme ein eklatanter Rechtsbruch. Pilger stehen unter dem Schutz der katholischen Kirche und genießen »freies Geleit«. Ein Angriff wird mit dem Kirchenbann geahndet. König Richard ist kein gewöhnlicher Pilger, er hat im Heiligen Land für die christliche Sache (und um unermessliche Beute) gestritten.
Die Verhaftung eines Königs kann kein Alleingang eines gekränkten und vergleichsweise eher unbedeutenden Herzogs gewesen sein. Leopold V. hätte nie ohne Wissen und Auftrag seines »Chefs« und Lehensherrn,