dreißiger Jahren nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Also bitte, nur keine Reporter, keine Fotografen, keine Zeitungsmeldungen.
Und dann das: Nicht nur das Neue Wiener Journal, auch Der Wiener Tag und Das Neuigkeits-Welt-Blatt berichteten von der sensationellen Hochzeit.
Paula Wessely war zu diesem Zeitpunkt vor allem durch ihren Film Maskerade eine Berühmtheit und Attila Hörbiger als Jedermann der Salzburger Festspiele. Beide zählten zum renommierten Ensemble Max Reinhardts, doch während man sie bereits »die Wessely« nannte, konnte man zu ihm nicht gut »der Hörbiger« sagen, weil das die ohnehin vorhandene Verwechslungsgefahr mit seinem berühmten Bruder Paul noch vergrößert hätte.
»Wir hatten uns Jahre davor zum ersten Mal in Prag getroffen, wo wir beide engagiert waren«, erinnerte sich die Wessely 1992 in einem langen und ausführlichen Gespräch, in dem sie mir aus ihrem Leben erzählte. Das Stück, in dem sie und Attila Hörbiger damals gemeinsam auf der Bühne standen, hieß Die neuen Herren, Premiere 12. September 1926. »Wir hatten eine Liebesszene, ich lief auf ihn zu und rannte ihn fast um. Von einer Beziehung keine Rede, ich wusste nicht viel mehr von ihm, als dass er sportbegeistert war, irgendwas mit Fußball. Erst in Wien haben wir uns dann näher kennen gelernt.«
Sie hatte ihm auf Anhieb gefallen, schon damals beim ersten Treffen in Prag. Paula Wessely war keine klassische Schönheit, aber eine beeindruckende junge Frau, die sofort sein Interesse fand. Und auch er, der athletisch gebaute, selbstbewusste Bühnenheld, war ihr gleich sympathisch gewesen. Aber Liebe auf den ersten Blick war’s nicht, Gott behüte: ein verheirateter Mann! Er schwor zwar, dass die Ehe mit seiner Frau Consuelo nur auf dem Papier bestünde, aber das sagen sie ja alle.
CHRISTIANE HÖRBIGER: »Meine Eltern waren durch eine wirklich große Liebe verbunden, die so lange sie lebten anhielt. Und das trotz mancher Krise, die sie gemeinsam durchleiden mussten. Politische Krisen waren darunter und ein Krieg, große private Turbulenzen und drei Töchter, mit denen es vielleicht auch nicht immer ganz leicht war. Darüber hinaus hatten sie aber auch eine ganz natürliche Konkurrenz zu überwinden, wie dies bei einem Schauspielerpaar unvermeidlich ist. Das und noch viel mehr hat diese Liebe ausgehalten und meine Eltern alles in allem glücklich gemacht.«
Vom Kennenlernen bis zur Hochzeit sollten neun Jahre vergehen. Neun Jahre, die ihre Liebe auf eine harte Probe stellten. Scheidungen im heutigen Sinn waren in Österreichs Erster Republik für Katholiken nicht möglich, die Ehe galt als unauflöslich – es sei denn, sie wurde von der Kirche annulliert. Doch die Chancen dafür waren gering.
Nicht nur, dass er verheiratet war, hatte auch Paula Wessely einen Verehrer, und der scheute keine Mühen, sie regelmäßig in Prag zu besuchen. Sein Name war Siegfried Breuer, auch er sah gut aus und schien einen viel versprechenden Weg vor sich zu haben. Er und Paula hatten gleichzeitig an der Wiener Schauspielakademie studiert und sich später bei gemeinsamen Engagements wieder getroffen, irgendwann war aus jugendlichem Flirt Verliebtheit geworden. Dieser Siegfried Breuer, der eine beachtliche Filmkarriere machen sollte, war der Sohn des berühmten Hofopernsängers Hans Breuer, wodurch er schon seit seiner Kindheit eine enge Beziehung zum Theater hatte. Siegfried bemühte sich sehr um Paula, doch eines Tages kam es zu einer Begebenheit, die ihr missfiel.
MARESA HÖRBIGER: »Ich weiß aus den Erzählungen meiner Mutter, dass sie einmal mit dem Siegfried Breuer nach einer Vorstellung in ein elegantes Restaurant zum Essen ging, was in der damaligen Zeit, jung wie sie waren, etwas Besonderes war. Als der Ober die Rechnung brachte, wurde sie ihr von Siegfried unterm Tisch zugeschoben, meine Mutter sollte zahlen! Sie war schrecklich enttäuscht, weil es damals selbstverständlich war, dass der Herr die Dame einlädt. Sie hat ihn dann kaum noch gesehen und seine Reisen von Wien nach Prag wurden seltener, bis sich ihre Wege trennten.«
Die Wessely wird ihrem Verehrer wohl keine Träne nachgeweint haben, musste sie doch später erfahren, dass Siegfried Breuer insgesamt fünfmal verheiratet war – unter anderem mit den Schauspielerinnen Eva-Maria Meinecke und Maria Andergast.
Paula Wessely war neunzehn, als sie und Attila Hörbiger einander zum ersten Mal begegneten. Am 20. Jänner 1907 als zweite Tochter des Ehepaares Anna und Carl Wessely in Wien zur Welt gekommen, schien sich eine Laufbahn als Schauspielerin – noch dazu als die bedeutendste ihrer Zeit – vorerst nicht abzuzeichnen. Ihr Vater war bürgerlicher Fleischhauermeister auf der Sechshauser Straße im fünfzehnten Bezirk, die Mutter half im Geschäft mit. Sämtliche Vorfahren des Ehepaares waren Handwerker, ein Großvater Schuster, der andere Müller. Väterlicherseits stammte die Familie aus Pirnitz in Mähren, wo sie noch »Vesely« hieß, mütterlicherseits aus Großweikersdorf bei Tulln in Niederösterreich.
Studiert man den Stammbaum etwas genauer, findet sich dennoch ein Ast, der zum Theater führt, ein ziemlich kräftiger sogar. Carl, der Fleischhauer, hatte eine ältere Schwester, die zu ihrer Zeit als große Schauspielerin gefeiert wurde: Josephine Wessely war mit 18 Jahren Mitglied des Hofburgtheaters geworden und hatte dort eine glänzende Karriere gemacht. Auch sie wurde schon »die Wessely« genannt. Doch Josephine war, als Paula zur Welt kam, seit zwei Jahrzehnten tot. Sie starb 1887, nur 27 Jahre alt, während eines Gastspiels in Karlsbad, angeblich »an gebrochenem Herzen«, weil sie die Liaison mit einem verheirateten Grafen nicht verkraftet hatte. Der Wiener Theaterklatsch munkelte hingegen von den Folgen eines missglückten Schwangerschaftsabbruchs.
»Ich hörte und las in meiner Jugend viel von der ›Tant Josephin‹ und vom Burgtheater«, erzählte Paula Wessely. »Ich hätte nie gedacht, dass ich hier eines Tages selbst auftreten würde.« Als es dann doch soweit war, stand über all die Jahre ein Bildnis der berühmten Tante auf Paulas Schminktisch.
Josephine Wessely wird als beeindruckende Persönlichkeit beschrieben, die sowohl die Sentimentale als auch den kecken Backfisch im Lustspiel verkörpern konnte. Die gebürtige Wienerin war nach ihren Lehrjahren in Leipzig zurück in ihre Heimatstadt und hier gleich ans Burgtheater gekommen. »Endlich wieder ein Gemüt, beinahe ein Temperament«, rief ihr Direktor Franz von Dingelstedt zu, der von ihrem Können so überwältigt war, dass er seinem Leipziger Kollegen August Förster in einem Brief überschwänglich mitteilte: »Ihnen gebührt als Förderer dieses echten, schönen, seltenen Talentes der Dank und die Erkenntlichkeit des Burgtheaters, dem sie ihren Besitz nicht nur gegönnt, sondern zugewendet haben.« Josephine Wessely wurde als Luise, als Klärchen, als Emilia Galotti bejubelt. Und sie glänzte als Gretchen neben den ihr ebenbürtigen »Theatergöttern« Adolf von Sonnenthal und Josef Lewinsky. Kritik und Publikum waren gleichermaßen hingerissen vom »harmonischsten Gretchen, das wir je besessen haben«.
Ähnliches wird man ein halbes Jahrhundert später über das Gretchen ihrer Nichte Paula lesen können. In der Familie hieß es, dass diese das Gesicht und die Art zu sprechen von der Mutter geerbt hatte, die so berühmte Klangfarbe ihrer Stimme jedoch von der legendären Tante.
Während Josephine die bislang einzige Berühmtheit in der Familie Wessely gewesen war, gab es bei den Hörbigers zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Personen, die das Zeug hatten, in die Geschichte einzugehen. Da war einmal Attilas um zwei Jahre älterer Bruder Paul, ein junger Schauspieler, der 1926, gerade als Paula und Attila einander in Prag kennen lernten, von Max Reinhardt nach Berlin geholt wurde. Aber auch Pauls und Attilas Vater war ein weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannter Mann: Hanns Hörbiger, mit einem langen Bart und den Titeln Professor und Ingenieur versehen, hatte sich durch zahlreiche Erfindungen und Patente einen Namen gemacht, viel mehr aber noch durch die von ihm entwickelte Welteislehre. Er war 1860 in Atzgersdorf bei Wien als Spross einer alten Tiroler Familie zur Welt gekommen, deren einst im Familienbesitz befindlicher Hörbighof in der Wildschönau es heute noch gibt. Hanns Hörbiger hatte in seiner Jugend mit ansehen müssen, wie schwer es seiner Mutter Amalia fiel, allein für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Sein aus Frankreich stammender Vater war ein Orgelschnitzer namens Leeb gewesen, der nach Wien gekommen war, um der Kirchenorgel von Alt-Lerchenfeld den letzten Schliff zu geben. Das Instrument selbst stammte aus der Hand des angesehenen Orgelbauers Alois Hörbiger. Im Verlauf der Zusammenarbeit lernte Herr Leeb Alois Hörbigers Tochter Amalia kennen und lieben. Als sie ein Kind von ihm erwartete, war Herr Leeb freilich schon über alle Berge. Er hat vermutlich nie davon erfahren, dass er einen Sohn hatte.
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