Klaus Barski

Sweet Florida Keys


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Mutter kann nicht so viel Geld auftreiben», jammerte ich. «Bitte lassen Sie mich laufen. Das war mein erstes Mal. Ich schwöre, ich mach’s nie wieder.»

      «Nee, Freundchen! Bist erwischt worden. Gib mir die Telefonnummer deiner Eltern.»

      Mutter kam später mit ihrem Fahrrad rüber. Mit Tränen in den Augen zahlte sie die hundert Mark. Sie entschuldigte sich unentwegt: «Wissen Sie, der Vater ist tot. Da fehlt dem Jungen die strenge Hand.»

      Der Chef steckte den Hunderter lässig in die Hosentasche und sagte: «Das ist eine verlockende Welt, in der wir leben. Manch hoffnungsvoller Bursche kommt schnell auf die schiefe Bahn. Reynolds junior! Laß es dir eine Lehre sein.»

      Mutter und ich dankten untertänig für seine Milde.

      Auf der Straße sagte Mutter nichts. Als ich das Fahrrad neben ihr herschob, wäre ich vor Scham und Reue am liebsten im Erdboden versunken.

      Mitte der Woche, in der Schule, wurde ich zum Rektor gerufen.

      «Ist es wahr, Reynolds? Hat man dich beim Eintrittsgeld-Betrug erwischt?», fragte er mit strenger Miene.

      Ich stotterte etwas wie «ein Versehen, schon längst ordnungsgemäß bezahlt» und daß es mir leid tue.

      Da explodierte er.

      «Unsere Lehranstalt ist die angesehenste in Birkum, Reynolds. Alle Schüler habe die Pflicht, sich draußen in angemessener Weise zu verhalten. Was du da verbrochen hast, ist Pflichtverletzung gröbster Art. Wär’ die Polizei dabei mit reingezogen, würdest du von der Schule fliegen. Aber du hast Glück gehabt, es gibt diesmal nur den schärfsten Verweis. Und jetzt raus!»

      Mein Herz klopfte, und ich stammelte eine letzte Entschuldigung. Dann rannte ich hinaus. Mein einziger Trost war, daß meine Mutter von diesem Verweis nichts erfahren würde.

      Jeder Mieter hatte seinen eigenen, abgeteilten Verschlag auf dem Dachboden des Mietshauses. Oft ging ich nach Schulschluß in unseren und stöberte in den alten Sachen herum. Eines Tages fand ich hinter einer altmodischen Wäschekommode eine tarnfarbene, unverschlossene Holzkiste, die ich sofort neugierig öffnete.

      Sie war bis zum Rand mit Büchern, hauptsächlich Kunstbüchern gefüllt … mit Museumskatalogen vom Louvre bis zur Alten Pinakothek, Nachschlagewerken von Benezit und Thieme-Becker sowie deutschen und amerikanischen Auktionskatalogen. Dominierend waren Bildbände über Barock- und Renaissancemaler. Hauptsächlich über Lucas Cranach dem Älteren.

      Ich war überrascht. Zum ersten Mal wurde ich mit ein paar Fragmenten aus dem Leben meines Vaters konfrontiert. Sein Name stand auf dem Deckel der Kiste, und die Bücher waren wohl seine. Mir fiel auf, daß sich in unserer Wohnung keine Erinnerungen an ihn befanden. Mutter hatte nach der Scheidung alle vernichtet.

      Der rote Leineneinband mit dem Titel «Lucas Cranach/ Des Meisters Gemälde» fiel mir sofort auf, weil ein mit einem Gummiband zusammengehaltenes Fotobündel drin steckte.

      Ich schaute die schwarzweiße Fotoserie durch. Sie zeigte nur ein Motiv: das mit einem geschnitzten Rahmen versehene Ölgemälde eines Sünders in der Hölle. Er wurde im Feuer stehend von Schlangen gefressen. Die Photos waren aus verschiedenen Perspektiven mit veränderten Belichtungszeiten aufgenommen worden. Das optimalste Foto steckte ich in die Hosentasche.

      Als ich die anderen in die aufgeschlagenen Buchseiten zurücklegte, bemerkte ich etwas Interessantes. Auf Seite 142 war ein dreiteiliger Flügelaltar von Cranach abgebildet.

      Der linke Flügel war mit Vaters Foto identisch. Eine Gruppe fliegender Engel über dem «Sünder» setzte sich im Mittelteil, einer Kreuzigungsdarstellung, bis hinein in den rechten Altarflügel fort. Im rechten Flügel dominierte eine von einem Schleier bedeckte, zierliche nackte Sünderin, ebenfalls von Schlangen gemartert. Darunter stand: «Jesus, vergib uns Sündern», Um 1520. Wien, Galerie Schonborn.

      In den nächsten Seiten verklemmt entdeckte ich eine vergilbte Abbildung aus einem Auktionskatalog der Galerie. In der Winter-1912-Ausgabe wurde der komplette Altar zur Auktion angeboten.

      Ich legte das Buch zurück und verschloß die Kiste sorgfältig. Das rote Buch mit den Fotos ging mir nicht mehr aus dem Sinn.

      An einem freien Samstag ging ich mit einem alten Zinkkessel und einer Blechdose Stichlinge fangen. Aufgrund des trockenen Wetters war die Aue kein Fluß mehr, sondern eine lange Addition einzelner Wasserpfützen. Darin schwammen silbrige, fingergroße Stichlinge mit hübschen blaugrauen Rücken.

      Ich krempelte meine Ärmel auf, ging in die Knie und versuchte die Stichlinge mit der Dose in meinen Eimer zu schaufeln. Im Nu fing ich ein rundes Dutzend und gab ihnen reichlich Frischwasser nach.

      Auf einmal hörte ich ein Geräusch hinter mir und spürte etwas Feuchtes, lebendig Warmes an meinem Unterschenkel. Vor Schreck ließ ich die Dose fallen und drehte mich um.

      Hinter mir stand Meta Wertheim. An einer Leine hielt sie einen dunkelbraunen Dackel, der mich mit seiner feuchten Schnauze beschnupperte. Sie lachte mich aus.

      «He, Peter! Du bist aber schreckhaft», sagte sie.

      Ich schaute von unten zu ihr hoch. Ihre wunderschönen Beine entlang, über die Knie, die Oberschenkel. So prall, so weich … Dann kam das kurze gelbe Sommerkleidchen. Die vollen Rundungen ihres Pos, die schlanke Taille und die kleinen runden Brüste. Auf ihren glatten Schultern saßen lustige Schleifen, die das Kleid festhielten. Ihre blonden Haare waren zu einem kunstvollen Knoten zusammengesteckt. Und ihre blauen Augen mit den langen Wimpern blitzten.

      Sie lächelte mich an. Das gab süße Grübchen in ihren Wangen.

      Ich stammelte «Kein Wunder … Bei diesen tollen Aussichten» und stand auf.

      «Wozu fängst du die kleinen Fische? Die kann man doch nicht essen», sagte sie und schaute interessiert in meinen Eimer hinein.

      «Zu Hause hab’ ich ein Aquarium, und da machen sie sich ganz gut. Allerdings sterben sie ziemlich schnell weg. Deswegen muß ich immer frischen Nachschub holen», sagte ich und streichelte ihren Dackel, der freundlich mit dem Schwanz wedelte und mir die Hand leckte.

      «Ich bin gerne hier am Fluß», sagte Meta. Sie wies auf eine Gruppe alter Eichen, die mit ihren nackten Wurzeln nahe am Uferrand standen, und fuhr fort: «Die Bäume und diesen Teil der Aue kann ich von meinem Zimmer sehen. Eine sehr schöne Aussicht.»

      «Du hast recht, die Aue-Allee ist traumhaft. Das kann man von der Birkumstraße nicht gerade sagen.»

      «Die Birkumstraße hat aber auch Vorteile. Der Edeka-Markt ist nahe, und dein Schulweg ist nur halb so weit wie meiner», sagte sie freundlich.

      «Gehst du oft hier spazieren?»

      «Jeden Nachmittag. Wenn das Wetter gut ist. Mein Dackel Bruno braucht seinen Auslauf. Ich gehe immer am rechten Ufer lang. Bis zur alten Scheune am Waldrand. Hast du Lust, mitzukommen?»

      Und wie gerne ich wollte! Ich versteckte meinen Eimer im Gebüsch und folgte ihr. Fieberhaft überlegte ich, was ich Starkes sagen könnte, um ihre Interesse zu gewinnen. Es war eine einmalige Chance. Ich durfte keine Fehler machen. Auf die nächste halbe Stunde kam es an.

      Meta summte bekannte Schlager, als sie unten im ausgetrockneten Bach von Stein zu Stein hüpfte.

      «Kennst du diese Melodie?» fragte sie plötzlich.

      Ich schüttelte den Kopf.

      «Das ist mein Lieblingslied: ‹Du schwarzer Zigeuner›, von Vico Torriani. Ich mag alles von Vico.» Sie nahm Bruno die Leine ab.

      Ich haßte Vico-Torriani-Lieder und Schlager überhaupt. Damals stand ich nur auf Jazz. Trotzdem nickte ich ihr zu und sagte: «Torriani hat eine gute Stimme.»

      «Ich schmelze dahin, wenn ich ihn singen höre», schwärmte sie und schloß verzückt die Augen.

      «Wie findest du seine Texte?» fragte ich. «Sind sie nicht ein bißchen kitschig?»

      «Ja. Aber sie gehen mir unter die Haut.»

      «Das