nicht oft genug sagen, dass das Gelingen eines Dienstes am Menschen nie nur die Sache perfekten Managements sein kann, sondern eben wiederum einer gewissen menschlich-gelösten Atmosphäre bei den Beherbergern und ihren Mitarbeitern. Man kann die Atmosphäre der Herzlichkeit nicht herbeischauspielern. Sie muss von innen kommen, wie die Pflege der Pelargonien.
Aber die kleinen Fenster, die sich hinter den farbigen Buschen verstecken, lassen mich noch nicht aus. Sie sagen nicht nur ein herzliches Grüß Gott, sie pfeifen sozusagen in charmant-unbekümmerter Weise noch eine andere Parole übers Land. Sie können zwar nicht Englisch, sondern nur Zillertalerisch, Stubaierisch oder Defreggerisch, aber die Parole, die sie verkünden, ist nun einmal in Englisch über die Welt gezogen und hinein in die anthropologische und politische Literatur gewandert, und so schreib ich sie in dieser Sprache nieder: Small is beautiful.
Diese Erkenntnis ist kein spätromantisches Seelenrülpserchen. Das Humanum stirbt heute nicht so sehr an der Verkümmerung, sondern an den Wucherungen. Das Leben wird von Karzinomen der Maßlosigkeit befallen: dem Traum vom grenzenlosen Wachstum, den Zusammenballungen gewaltiger Wirtschaftsmächte, der Megalomanie der Pläne, der Einebnung gewachsener Besonderheiten, der Degeneration der Abendlandsidee zum Supermarktkonzept. Bei aller Notwendigkeit gewisser Zusammenschlüsse und ihrer friedenserhaltenden Bedeutung bleibt doch das Grundgesetz, dass funktionierendes menschliches Leben und Zusammenleben eine geheime Verbindung zu überschaubaren Größenordnungen hat. Und deshalb hat die fröhliche Hymne der kleinen Fenster vom Glück des Begrenztseins ihre Aktualität: Klein ist schön. Die Rangordnung der Staaten der Welt nach Lebensqualität sagt übrigens in nüchterner Form genau dasselbe. Wenn die Bürotürme und Schaltzentralen derer, die in allem das Sagen haben wollen, noch so imposant in den Himmel wachsen und die Mammutkonzerte der Macht intonieren, das Lied „Tirol isch lei oans, isch a Landl, a kloans“ müsste sich dagegen behaupten, und zwar nicht aus folkloristischer Sentimentalität, sondern aus der nüchternen Erkenntnis humaner Lebensgesetze.
Die kleinen Blumenfenster sind wirklich mehr als ein Fotomotiv, wir brauchen sie als Botschaft.
Erker der Wachheit
Seit eh und je waren Fenster auch Ausdruck des Bedürfnisses, das Leben einzufangen, die Isolation zu überwinden, an der Außenwelt teilzunehmen und aus der allzu engen Behausung auszubrechen. Darum haben sich in die Straßen unserer Städte die Erker vorgeschoben, und es ist eigentlich großartig, was für hübsche Formen diese kleinen Vorburgen der Neugier im Lauf der Zeit entwickelt haben: köstliche Mischungen aus Offenheit und Zurückhaltung, Nähe und Distanz, Informationsbedürfnis und Eigenleben. Was der Erker für die Lebendigkeit eines Straßenbildes bedeutet, das erfasst jeder, der von der Herzog-Friedrich-Straße in Innsbruck in irgendeine Vorstadtavenue neueren Datums mit Laufmeter-Architektur überwechselt.
Der Erker steht für jenes Phänomen, mit dem aller geistiger Aufstieg des Menschen beginnt: der Neugierde und dem Staunen für die lebendige Offenheit zum Sein hin – wie wir es als immer neues Wunder beim allmählichen geistigen Erwachen jedes Kindes erleben. Eigentlich müsste es das Ziel jeder Bildung sein, den jungen Menschen in diesen Erker des Interessiertseins, der Wachheit und des Wissenwollens zu führen. Es kann nicht darum gehen, nur Daten zu vermitteln. Und immer wieder – das darf man einem alten Lehrer glauben – bleiben wir bei unserem Bildungsstreben in den langweiligen, dunklen Wendeltreppen abfragbaren Wissens stehen und kommen mit den Betreuten nicht zum Erker. Und dabei gibt es kein schöneres Erlebnis, als festzustellen, wie ein junger Mensch von sich aus das Interesse, das geistige Engagiertsein, die Freude am Schauen, Forschen und Weiten des Horizontes gewinnt. Sicher braucht es auch ein mühsam zu erwerbendes Wissen. Aber die höchste Fähigkeit, die zu vermitteln wäre, bestünde darin, den Bogen des Geistes zu spannen. Das haben Österreichs Rektoren der Universitäten schon vor vielen Jahren gesagt. Stattdessen dreht man aber alle Hähne der so genannten Allgemeinbildung voll auf, und wie beim schlampigen Biereinschenken im Wirtshaus ist dann mehr Schaum als Flüssigkeit im Krug, und wenn der junge Mensch dann am Schluss das anschaut, was am Ende bleibt, kommt er drauf, dass das gar nicht sein Bier ist …
Tirol braucht die Erker schöpferischer Neugierde und jene Art von Pädagogen, die ihre Zöglinge motivierend bis in diese Erker führen. Darum wünsche ich mir in allen Bildungsstraßen des Landes, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene viele, viele Erker, die aus den Fassaden der Plattheit herausragen. Und ganz besonders wünsche ich mir dies für jene Straßen, die zur Universität führen. Fenster dieser Art sind für das Geistesleben eines Landes unabdingbar.
Gläserne Wände
Diese Art von Fenstern hat uns das moderne Bauen gebracht: gläserne Fronten, die das Dasein durchsichtiger machen. Noch nie konnte die Baukunst so viel Licht einfangen, so viel Blick auf Landschaft freimachen, so viele Durchblicke auf Straße und Alltag gewähren und so viel Durchsichtigkeit nach innen erlauben. Man kann das in den Foyers von Banken bewundern, in Geschäftshallen, in den Fluchten von Chefetagen … Gläserne Wände sind nicht so sehr beim Werk des kleinen Häuslbauers zu finden.
Tirol braucht auch die gläsernen Wände.
Ich meine damit die Durchsichtigkeit des Öffentlichen. Die Glaswände zwischen Verantwortungsträgern und dem Mann auf der Straße, die Transparenz demokratischer Vorgänge, die Verbindung von Verantwortung und Realität. Bis in die Kirche herein kann diese Blickverbindung verloren gehen.
Manchmal vielleicht einfach durch die Neigung zur Exklusivität der Mächtigen, zum Unter-sich-Sein im Stockwerk der Erhabenheit, zum Spiel mit Plänen, die nicht mehr an den Sorgen der kleinen Leute gemessen werden.
Es gibt auch noch andere Gefahren, die die gläsernen Wände mit dem Blick auf die Wirklichkeit durch undurchsichtige Mauern ersetzen. Es gibt Formen eines überzogenen Lebensstils, die eine echte Anteilnahme am Leben des einfachen Menschen verunmöglichen. Wer gewöhnt ist, für einen Abend so viel auszugeben, wie eine Rentnerin für zwei Monate verbrauchen darf, der sieht sie in Wirklichkeit nicht mehr – weder die Rentnerin noch die Frau des kleinen Beamten, die sich mit einem Kinderwagen und zwei weiteren Knirpsen durch die Geschäfte quält, noch den Strafentlassenen, der kein Zimmer findet. Die gläsernen Wände sind einfach notwendig für das soziale Feeling, für die Sensibilität in Richtung der sozial Schwachen. Darum braucht Tirol überall gläserne Wände, wo Verantwortung sitzt.
Und umgekehrt braucht es in einer funktionierenden Demokratie auch den Durchblick auf die Vorgänge rund um das öffentliche Wohl von außen her. Das Wort des alten Cato, der einmal gesagt haben soll, dass der „Homo politicus“ in gläsernen Häusern logieren können müsste, gilt immer noch für jedes funktionierende Gemeinwesen. Und wenn es, anders als irgendwo in unserem Land, seit einem Menschenalter keinen großen Skandal dunkler Geschäfte von Verantwortungsträgern gegeben hat, dann unterstreicht das nur die Bedeutung der gläsernen Wände. Sie gehören zur unabdingbaren Architektur einer modernen Demokratie in unserem Land.
Gardinen und Vorhänge
Auch sie gehören zum Fenster. Wenn die Gardinen und Vorhänge meines Zimmers einmal zufällig in der Wäsche sind, fühle ich mich ausgesprochen unbehaust, obwohl ich den Blick auf Stadtturm und Serles liebe. Das Fenster ist nicht nur das Tor zum Draußen, manchmal muss es auch der Schutz vor dem Draußen sein. Und das ist kein Widerspruch zur eben erhobenen Forderung nach der gläsernen Durchsichtigkeit im öffentlichen Bereich. Das Bedürfnis nach Wahrung von Privatsphäre, Nische, Geborgenheit und Beheimatung gehört auch zu den Sehnsüchten einer an sich fensterfreudigen Welt.
Es ist schon eine Reihe von Jahren her, dass ein Buch mit dem Titel „Verlust der Intimität“ erschienen ist. Namhafte Wissenschaftler haben auf die Bedeutung der „Gardinen“ im Dasein hingewiesen, die vom Datenschutz bis zur Entwicklung eines gesunden Schamgefühls reichen. Wer diese Gardinen der Intimität in der Waschmaschine eines pseudoaufklärerischen Gehabes, einer hemmungslosen Enthüllungsmanie oder eines fehlgesteuerten Sensationsjournalismus zerkochen und zerfasern lässt, hat dem Humanum einen Bärendienst geleistet. So wie das blanke Fenster gehört auch die bergende Gardine zu einem menschenwürdigen