Falles mit weniger als dem allernötigsten begnügen ohne die gute Laune zu verlieren.
Wissenschaft im Sinne der P wird nicht betrieben, es wäre aber schade, wenn jeder einzelne die Reise nicht zu Beobachtungen auf seinem Berufsgebiet oder einem ihm vertrauten Spezialgebiet benutzen würde […]
Ziel ist einzig und allein die Ersteigung der über 6000 Meter hohen Gipfel der Nanga Parbat Gruppe.“
Abschließend empfahl Paul Bauer den Expeditionsteilnehmern, sich über das Zielgebiet zu informieren: „Das Studium der Literatur ist sehr wichtig und jeder sollte sich über die Verhältnisse ins Bild setzen und zwar so rasch als möglich, [es] ist dabei aber mit einer gewissen Vorsicht vorzugehen, denn der Plan muss unbedingt geheim gehalten werden. Vorsicht beim Ausleihen der Bücher!
W i rm ü s s e nd i eS a c h eu n b e d i n g tg e h e i m h a l t e n.“4
Unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit engagierte sich Paul Bauer für die Umsetzung seiner Expeditionspläne. Am Mittwoch, den 6. März 1929 trafen sich der Zweite Vorsitzende des DuÖAV, Prof. Raimund von Klebelsberg, und der Münchner Geheimrat Dr. Gustav Müller in Innsbruck. Müller war ein enger Vertrauter Paul Bauers und gehörte wie dieser sowohl der Alpenvereinssektion Hochland als auch dem AAVM an. Anhand eines laut Klebelsberg von Bauer gefertigten „einigermaßen ausführlichen“ Elaborats stellte Müller den Plan einer Expedition in das Gebiet des Kangchenjunga in Sikkim vor, die im Juli und im August desselben Jahres am Berg tätig sein würde. In einem handschriftlichen Vermerk notierte der Geograf Klebelsberg seine erheblichen Bedenken bezüglich eines solchen Unternehmens mitten in der Monsunzeit.5
Ein Rundschreiben, das Klebelsberg am 8. März 1929 an sechs internationale Fachleute für das Expeditionswesen verschicken ließ, informiert über Bauers Vorhaben:
„[…] Eine erstklassige Münchner Bergsteigergruppe plant für Juli und August 1929 den Versuch einer Ersteigung des Kangchenjunga und benachbarter Gipfel in Sikkim. An der Spitze der Gruppe steht Notar Dr. Bauer aus München, der sich mit seiner Mannschaft im vorigen Jahr im Kaukasus sehr bewährt hat und einer der Teilnehmer wäre cand. Phil. Karl Wien aus München, der bei der Besteigung des Pic Kaufmann [früherer Name des Pik Lenin] mit war. Die Unternehmung ist grössten Teils auf eigene Kosten und auf Rechnung anderer Geldgeber vorgesehen, der Deutsche und Oesterreichische Alpenverein hätte die Möglichkeit, mit einem verhältnismäßig geringen Zuschuss (15000 RM) die Unternehmung zu der seinigen zu machen. Diesfalls würde rasche Beratung und Beschlussfassung erforderlich.“6
Wie waren Paul Bauer und seine Gefährten wohl auf den Gedanken gekommen, statt des damals als relativ einfach eingeschätzten 8125 Meter hohen Nanga Parbat den 8586 Meter hohen und viel schwierigeren Kangchenjunga zum Ziel ihrer Himalaya-Wünsche zu machen?
Es fällt auf, dass der aus Breslau stammende und alpin hochversierte Günter Oskar Dyhrenfurth, Professor für Geologie in Breslau, im November 1928 den zum Ersten Vorsitzenden des DuÖAV gewählten Münchner Baudirektor Richard Rehlen, den Altvorsitzenden des DuÖAV Reinhold von Sydow und den dem Leser bereits bekannten Bremer Ministerialrat, ab 1929 Dritter Vorsitzender des DuÖAV Philipp Borchers von seinem Plan unterrichtet hatte, in der Vormonsunzeit des Jahres 1930 eine internationale Expedition ins Kangchenjunga-Gebiet zu unternehmen. Am 16. Januar hatte Dyhrenfurth einen entsprechenden Förderungsantrag beim Hauptausschuss des Verbandes eingereicht.7 Die vom Hauptausschuss behandelten Themen unterlagen im Normalfall keiner Geheimhaltung; so ist es durchaus möglich, dass Paul Bauer von den Absichten Dyhrenfurths erfahren hatte. Der hätte sich wohl nie träumen lassen, dass plötzlich ein Konkurrent auf den Plan treten würde, der alles daransetzte, der internationalen Expedition mit einem Unternehmen zuvorzukommen, dessen Mitglieder bereit waren, alles zu geben, um durch die Besteigung des ersten Achttausenders das Ansehen Deutschlands in der Welt zu fördern.
Der Grund für die Entscheidung, nicht mehr den Nanga Parbat, sondern den höheren und schwierigeren Kangchenjunga anzugehen, könnte einfach im sportlichen Ehrgeiz gelegen haben. Aber für Paul Bauer hatte das Unternehmen „[…] eine weit über das Bergsteigerische hinausgehende allgemein menschliche und politische Bedeutung, letztere nicht nur für das Ansehen der Deutschen im Osten: Der Kampf um die Gipfel des Himalaja fügt sich ein in die Reihe der Taten, die das Recht und die Fähigkeiten der weißen Rasse, die fernen Erdteile zu beherrschen, dem Nachdenklichen beweisen und den naiven Völkern ad oculos demonstrieren.“8
Dazu kam, dass es unter Münchner Bergsteigern schon lange üblich war, sich gegenseitig die Projekte abzuluchsen. So hatte der AAVMler Leonhard Heis seinen Vereinskameraden Adolf Schulze und Ludwig Distel 1904 die 1400 Meter hohe Nordwand des Hochwanners vor der Nase weggeschnappt, und Schulze hatte wenige Monate später Distel, Leuchs und Pfann den Uschba im Kaukasus stibitzt. Was diesen Aspekt des alpinen Spiels anging, waren die Männer vom AAVM wahre Meister. Und die Konkurrenz trug dazu bei, dass sie zur Hochform auflaufen konnten.
Wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt, erwartete Paul Bauer von den Mitgliedern einer von ihm geleiteten Expedition die fast vollkommene Unterordnung unter seinen Willen: „[…] Die Expedition ist in erster Linie auf dem Prinzip des unbedingten, fast militärischen Gehorsams aufgebaut, dem sich jeder Teilnehmer aus freien Stücken, ohne jeden stillen Vorbehalt, und freudig unterwirft. […]“9 Heinz Tillmann, im Rundschreiben Nr. 1 noch auf der Mitgliederliste10, hatte sich aus diesem Grund gegen die Teilnahme an der Expedition entschieden.11
In dem auf den 19. März 1929 datierten zehnseitigen Antrag an den Hauptausschuss des DuÖAV um Unterstützung der von ihm geplanten Expedition trug Paul Bauer sein Anliegen ohne Umschweife vor: „Für das Jahr 1929 plane ich eine bergsteigerische Expedition nach Sikkim und suche, um diese Expedition in einem erfolgversprechenden Umfange zu ermöglichen, um einen Zuschuss seitens des Deutsch- und Oesterreichischen Alpenvereins nach.“12
Es folgen Ausführungen über die Zeiteinteilung und die Reisekosten. In einem vierseitigen Abschnitt über die Reisezeit begründet Bauer seine Entscheidung, vor allem im August und September in der Hochregion aktiv werden zu wollen, mit ausführlichen Hinweisen auf von englischen Alpinisten in dieser Jahreszeit durchgeführten Unternehmungen. Bauers Zielsetzung ist klar und er ist von den Erfolgschancen überzeugt:
„Von den Achttausendern des Himalaja ist noch keiner bestiegen, auch die Siebentausender sind meines Wissens noch jungfräulich. […] Wir verfügen z. Zt. über eine hervorragende Jungmannschaft, die im besten Alter, im besten Training, mit Angriffsgeist geladen und reich an Erfahrungen ist. In der allernächsten Zeit werden wir, wenn wir nicht einen Schritt zurück machen wollen, an die Probleme des Himalaja herangehen müssen. […] Unsere jungen brauchbaren Leute können in 2–3 Jahren schon in alle Winde zerstreut und beruflich unabkömmlich sein. […] Wir sind auf Grund unserer Entwicklung geradezu dazu verpflichtet, diesen Versuch zu wagen. Das Ziel wird natürlich nicht der Versuch, sondern einzig und allein der Gipfel sein.“13
Paul Bauer schloss seinen Antrag mit der Bitte um eine Bezuschussung der Expedition mit 18.000 bis 20.000 Reichsmark.14
Doch seine Antragstellung stand unter keinem günstigen Stern. Am 25. März erging von der Innsbrucker Alpenvereinskanzlei ein Schreiben an den Münchner Geheimrat Gustav Müller, das die Ablehnung von Bauers Gesuch in Aussicht stellte. Begründet wurde dies mit der einhelligen Auffassung der zur Beratung eingeschalteten Fachleute, die von dem renommierten britischen Alpinisten George Ingle Finch auf den Punkt gebracht wurde: „Wirklich ernsthafte Unternehmungen in der Kangchenjungagruppe sind ca. April, Mai und anfangs Juni möglich. Während dem Monsun (zwischen 10. Juni bis gegen Ende September) ist das Wetter viel zu unsicher und die Lawinengefahr außerordentlich groß.“15
Ein Brief des höchst angesehenen Alpenvereins-Altvorsitzenden von Sydow vom 4. April 1929, der an alle Hauptausschuss-Mitglieder verschickt wurde, trug dazu bei, die Position Bauers noch weiter zu schwächen. Darin heißt es: „Für 1929 ist die Sache abgetan. Gott sei Dank, denn sie ist überhaupt noch nicht genügend geklärt, weder bergsteigerisch, noch vereinspolitisch. In ersterer Hinsicht