Leonhard F. Seidl

Fronten


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auf ihrer Nase. Sie wagte nicht, sie abzuwischen. Wagte nicht, zu Fabio hochzusehen. Wartete darauf, hereingebeten zu werden. Stattdessen sagte Fabios Papa. »Wenn er wieder gesund ist, könnt ihr ja mal zusammen spielen.«

      Zusammen spielen?, dachte Roja.

      Ein dumpfer Knall ließ sie zusammenzucken. Sie schauten nach oben, zu Fabios Fenster. Sein Gesicht war verschwunden. Der Vogel hatte einen Fleck hinterlassen, an Roja vorbei stürzte er zu Boden. In ihrem Hals steckte ein Stein.

      Zu Hause zog sie sich zurück in das Zimmer, das sie gemeinsam mit Serhat bewohnte. Mutter steckte den Kopf herein und fragte, ob sie noch etwas essen mochte.

      Roja schüttelte den Kopf und sagte: »Ich muss noch Hausaufgaben machen«, woraufhin ihre Mutter die Tür schloss.

      Sie ließ sich auf das Bett fallen, umklammerte das Kissen, zog ihre Knie an, und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, starrte sie von Serhats Seite Muhammad Ali in Shorts und Kämpferpose an. Neben ihr lief eine Spinne über die Raufasertapete. Roja beobachtete die dürren Beine, wie sie sich über die weißen Hügel bewegten. Hob die Hand. Und erschlug sie. Die zermatschte Spinne hinterließ einen bläulichen Fleck auf der weißen Wand. Der Stein in ihrem Hals zersprang. Tränen rollten aus ihren Augen. Sie wischte sich übers Gesicht.

      Es klopfte. Mutter kam herein, gab ihr einen Abschiedskuss, ging putzen; ohne Kopftuch. Erschrocken sah ihr Roja hinterher.

      Da war Rojas Stein im Hals zurück. Ich muss Fabio sehen!

      Wütend schnappte sie sich Mutters Kopftuch, das auf der Holzkommode lag. Dann schlüpfte sie in ihre Schuhe, in ihre Jacke. Hetzte durch die Dämmerung zu Fabio.

      In Fabios Zimmer brannte noch Licht, genau wie in der Küche darunter. In der Küche war niemand zu sehen. Roja sammelte Kieselsteine und warf sie an Fabios Fenster. Nichts geschah.

      Sie suchte den Boden nach einem größeren Stein ab. Stattdessen fand sie den toten Spatz, der heute Nachmittag gegen das Fenster geflogen war. Neben dem toten Vogel lag ein kantiger Stein. Roja hob ihn auf. Nahm Anlauf. Und warf. Fabio stand vor ihr. Es klirrte, die Fensterscheibe zerbarst. Erstaunt starrte er sie an. »Roja?« Dann jagte sie davon.

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