aus Brighton hierhergezogen. Der Grund ist Sallys Grandpa, der den Laden nicht mehr führen kann. Es gab wohl irgendeinen schlimmen Vorfall, seit dem er so verwirrt ist. Sally hatte Louis wohl nach dem Tod seiner Mutter, also Sallys Schwester, und seines Vaters vor etwa zwei Jahren bei sich aufgenommen.«
Ich stocke. »Seine Eltern sind beide tot?«
»Ja, beide, Unfall oder so.«
Ich nehme noch einen Schluck. Das ist hart.
»Na ja, Louis ist wohl, als er ganz neu hier war, zufällig an Nathan geraten, und es gab eine unschöne Schlägerei, nach der Louis sogar zu einer kleinen Jugendstrafe verurteilt wurde. Anscheinend wurde das im Schnellverfahren durchgeboxt, keine Ahnung. Wahrscheinlich will Nathans Dad ihn deswegen nicht hier haben.«
Ich muss an Sallys Worte denken, dass Louis eigentlich ein gutes Herz hat. Er hat wohl echt was mitgemacht.
»Schon heftig, oder?«, drängt sich Jill in meine Gedanken. »Dass Louis deswegen sogar eine Strafe bekommen hat. Dann war es nicht nur eine harmlose Prügelei, das kannst du mir aber glauben.«
Ich zucke die Schultern. »Ich denke, das kann man nicht so einfach beurteilen. Wir kennen ja nur die eine Seite der Medaille. Und sagtest du nicht, Nathans Familie hat Einfluss?«
»Na ja, wobei Louis schon wie jemand wirkt, der eher auf Konflikte aus ist, oder?«
»Vielleicht hat er einfach nur viel Mist erlebt. Es ist schwer, wenn man jemanden verliert, den man liebt. Ich weiß, wovon ich rede, ich leide auch immer noch wegen Dad und er hat gleich beide Eltern verloren«, gebe ich zu bedenken.
»Ja, tut mir leid, Amy«, sagt sie bedrückt. »Ich weiß … Vielleicht hast du recht.« Ihr Blick wandert zu Thomas hinüber, der sich gerade mit Lilly unterhält. »Oh Mann, warum muss diese Ziege sich ausgerechnet heute an Thomas ranschmeißen? Und dann noch mit ihren Riesenbrüsten. Das war mein Plan – natürlich ohne die Brüste.« Sie grinst, und ich muss ebenfalls lachen. »Können wir sie nicht irgendwie da weglocken?«
Beschwichtigend streiche ich Jill über den Arm. »Die sucht sich schon noch ein neues Opfer. Du kennst doch Lilly. Und falls Thomas wirklich auf sie steht, dann ist er sowieso ein absoluter Idiot und hat es nicht anders verdient.«
»Du hast recht. Selber schuld.«
Ein Beat dröhnt durch den Raum, der sofort ins Ohr und in die Beine geht. Beschwingt von dem Cocktail will ich nur eins: tanzen. Und Jill scheint es auch so zu gehen. Sie sieht mich an und nimmt den letzten Schluck aus ihrem Glas. »Wahnsinn, was für ein Mix! Trink aus, und dann nichts wie los!«
Kaum habe auch ich mein Glas geleert, greift sie nach meiner Hand und zieht mich auf die Tanzfläche, wo jetzt Hip Hop gespielt wird. »Ich liebe diesen Song«, ruft Jill mir ins Ohr.
Jill lacht ausgelassen, während uns die Klänge der Musik umhüllen und die warme, mit Schweiß getränkte Luft uns einnimmt. Nun bin ich doch froh, hier zu sein. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so leichtfällt, abzuschalten und nur Spaß zu haben. Wie leicht sich alles gerade anfühlt. Einfach mal an nichts denken, nicht an die merkwürdigen Bilder in meinem Kopf, nicht an Louis, nicht an die Zeichnung in seinem Buch oder an was auch immer.
Noch immer lachend zwinkert Jill mir zu, während wir uns im Takt des Beats bewegen. Meine Augen wandern durch die Menge, gleiten über die Köpfe und Gesichter hinweg, und ich stocke. Denn eines der Gesichter kommt mir mehr als bekannt vor. Es gehört zu Louis, den ich am Rand der Tanzfläche an eine Wand gelehnt entdecke. Er trägt ein schwarzes Shirt, die Jeans sitzt leicht auf seinen Hüften. Als unsere Augen sich für die Dauer eines Wimpernschlags treffen, spüre ich ein heftiges Pochen, das sich durch meinen Körper schiebt und sich mit dem Bass der Musik vermischt. Schnell sehe ich wieder weg.
»Der DJ ist ja der Wahnsinn!«, ruft Jill neben mir.
Mein Blick wandert weiter zum DJ-Pult, das über der Tanzfläche platziert ist. Die Lichter blenden mich kurz, sodass sie mir erst die Sicht nehmen, doch dann erkenne ich den DJ und traue meinen Augen kaum. Denn da oben steht kein Geringerer als Nathan. Er trägt Kopfhörer, scheint völlig in der Musik versunken zu sein. Eine Haarsträhne fällt ihm in die Stirn.
Ich schlucke und deute in Richtung Mischpult. »Das gibt’s nicht!«
»Was ist?«
»Schau mal da oben, da ist Nathan. Er ist einer der DJs!«
Jill reißt die Augen weit auf. »Tatsächlich. Wow, das ist zu krass! Da haben wir also das Geheimnis um die Karten gelüftet: Er legt hier auf. Ich drehe durch! Das ist ja megascharf!«, kreischt sie ein wenig zu schrill, was mir schon fast peinlich ist.
Als hätte Nathan sie gehört, dreht er genau in diesem Moment den Kopf in unsere Richtung. Ob er mich erkannt hat? Tatsächlich! Er hebt die Hand, winkt uns zu, und ich winke zurück.
»Er hat uns gesehen!« Jill, die jetzt ganz aus dem Häuschen ist, greift nach meiner Hand, um mich herumzuwirbeln.
Und so tanzen wir weiter, während Nathan mir immer wieder Blicke zuwirft.
Ein neues Lied wird aufgelegt und ich fühle mich total frei. Ich drehe mich im Kreis, und zucke zusammen.
Denn vor mir steht Louis – mal wieder! –, seine wasserblauen Augen auf mich gerichtet. Sein Shirt schmiegt sich unübersehbar eng um seinen Oberkörper, und mein Herzschlag beschleunigt sich unwillkürlich. Sag mal, muss der denn immer im Weg herumstehen?
Ich will mich abwenden, als ich von irgendwoher einen weiteren Schubs bekomme und nach vorn gegen Louis’ Brust gedrückt werde. Na toll.
Seine Brust fühlt sich hart und trotzdem weich an, und ein Kribbeln erfasst meinen gesamten Körper, als ich den Stoff seines Shirts mal wieder berühre. Sofort hüllt mich dieser Duft nach Zedernholz ein. Er kommt mir so vertraut vor, dass es mir unmöglich erscheint, dass ich ihn erst in den letzten Tagen zum ersten Mal gesehen habe. Oder ist es der Cocktail, der mir bereits zu Kopf steigt?
Ich muss mich zusammenreißen, darf mich nicht so an ihn lehnen. Ich bin ihm so nah, dass ich seinen Herzschlag fühlen kann.
Gerade als ich von ihm abrücken will, spüre ich seine Hände unerwartet an meiner Taille. Wie schon gestern im Laden umfassen sie mich und ziehen mich ganz kurz ein wenig enger zu ihm heran, gegen seine Hüften. Ein kribbelnder Strahl Wärme fährt in meinen Bauch, als er mich an sich presst.
Doch ehe ich mir weiter Gedanken darüber machen kann, was hier gerade passiert, schiebt er mich schon von sich. »Als ob du nicht meine Nähe suchst.« Seine raue Stimme lässt mich erschauern, während seine Augen intensiv auf mir liegen.
»Vielleicht suchst du ja meine Nähe?«, erwidere ich, als ich mich ein wenig gefangen habe. »Du stehst jedenfalls verdächtig oft im Weg herum.«
»Und du fällst verdächtig oft gegen mich.«
Seine Brust hebt und senkt sich, und für einen Moment sieht es so aus, als würde er leicht lächeln, doch dann schiebt er sich an mir vorbei, während ich zurückbleibe und nicht weiß, wohin mit all meinen Gedanken und Gefühlen. Die Musik dröhnt, aber ich bin irgendwo ganz anders.
Ich sehe ihm nach, wie er sich einen Weg durch die Menge bahnt und die Blicke der Mädchen auf sich zieht. Ein Stich bohrt sich erbarmungslos in meine Brust, als er vor einer Blondine stehen bleibt. Es ist keine Geringere als Lilly, die wohl das Lager gewechselt hat. Leider zu Louis. Sie lächelt ihn an, und die beiden beginnen, sich zu unterhalten. Zu gern würde ich wissen, worum es dabei geht.
»Was war das denn bitte?«, fragt Jill, die neben mich getreten ist.
Es gelingt mir nicht, zu antworten, denn ich bin noch immer zu perplex über das, was da gerade geschehen ist.
»Du darfst die beiden nicht so anstarren«, raunt sie mir zu. »Los, lass uns zu Nathan rübergehen.« Ehe ich etwas entgegnen kann, greift sie nach meiner Hand und zieht mich in Richtung des Mischpults.
Doch mir bleibt keine Verschnaufpause. Meine Wangen werden spürbar rot, als Nathan mich mit seinem