Verena Themsen

Elfenzeit 4: Eislava


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weil sie es auf digitalen Fotografien gesehen hatten.

      »Und mit deinen Augen stimmt etwas nicht«, unterbrach Mats Rians Gedankengänge. »Ich vermute, du hast einen Zauber darüber gelegt, damit sie dich nicht verraten. Aber sei unbesorgt deswegen, ich werde es nicht weitertragen.« Mats wandte sich zum Dorf. »Gehen wir zurück. Meine alten diesweltlichen Knochen brauchen langsam wieder etwas Kaminfeuerwärme. Magst du mir erzählen, was euch hierher treibt? Zur hier üblichen Familie zählt ihr nicht, da bin ich sicher. Ihr müsst von weiter weg sein.«

      »Wir sind von den Sidhe Crain«, erklärte Rian.

      Mats nickte. »Sidhe, das klingt keltisch, Richtung Britische Inseln und Nordfrankreich, soweit man die Regionen eurer Welt überhaupt mit unseren Ländern in Verbindung bringen kann.«

      »Unsere Welt ist eurer durchaus ähnlich. Wenn wir von irgendwo aus einfach nur ein Tor zu euch öffnen, ohne ein bestimmtes Ziel vorzugeben, kommen wir im entsprechenden Gebiet hier heraus.«

      »Darf ich fragen, wo euer Ziel liegt?«

      Rian zögerte. »Ich glaube, es ist besser, wenn du nicht zu viel weißt«, antwortete sie. »Wir werden sicher verfolgt, und wenn unser Gegner auf die Idee kommt, du könntest wissen, wo wir hingehen …« Sie dachte erneut an das Gebot ihres Vaters, keine Sterblichen zu Schaden kommen zu lassen. Immer wieder war der Getreue unvermutet in ihrer Nähe aufgetaucht, und dieser scherte sich nicht um das Gebot – er entführte sogar die Seelen der Menschen und brachte sie seiner Königin. Das konnte Mats blühen, nachdem der Getreue ihm alle Informationen entrissen hatte, die ihm dienlich waren. Und wenn nicht er selbst, so konnten seine Helfer ihnen auf den Fersen sein, die nicht minder mörderisch waren. Rian schüttelte es innerlich.

      »So, so.« Mats zog an seiner Pfeife. »So ganz hilflos sind wir Menschen aber nicht. Möglicherweise kann ich etwas für dich tun.«

      »Diese Gefahr ist anders«, sagte Rian bestimmt. »Aber du kannst mir auf trotzdem helfen. Erzähl mir mehr von den Völkern, auf die wir nordwärts treffen werden.«

      »Auf dem Land werdet ihr von den Menschen offen aufgenommen, und es wird immer wieder welche geben, die euch erkennen, so wie ich. Was die Andersweltlichen betrifft …« Er deutete in die Richtung, in der sie zuvor die Hügel gesehen hatte. »Ihr werdet überall auf Trolle stoßen. Im Süden sind sie gesellig, leben in Gruppen oder großen Familien zusammen, aber im Norden, in Lappland und drüben in Norwegen, sind sie zunehmend unleidiger. Da trifft man sie fast nur noch einzeln, vielleicht mal zu zweit oder zu dritt, wenn sie jemanden zum Streiten brauchen. Freundlich sind sie aber alle nicht.«

      Mats schmunzelte. »Manche treiben eher harmlose Scherze oder helfen einem sogar einmal gegen einen Preis, während die meisten bösartig und gefährlich sind. Am besten geht man ihnen aus dem Weg, und wenn es sich nicht vermeiden lässt, hält man in der einen Hand Geschenke bereit, um sie zu bestechen, und in der anderen eine durchgeladene Schrotflinte, um sie eine Weile aufzuhalten, bis sie sich wieder zusammengeflickt haben. Ein Flammenwerfer wäre natürlich noch besser, aber den gibt es nicht frei im Handel.«

      »Aber Schrotflinten?«

      Mats grinste. »Wer sollte sich hier draußen darum kümmern? Meine Knarre stammt ungefähr aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, und ich gehe nie ohne sie in die Hügel. Angeblich gibt es dort alte Gräber und wo es alte Gräber gibt, ist oft alte Magie am Werk. Da ich ein Mann bin, der an seinem Leben und seinem Verstand hängt, versuche ich, so etwas zu vermeiden.«

      »Und die Trolle.«

      Mats nickte. »Und die Trolle. Wobei man mit denen besser verhandeln kann als mit einem Draugr. Das sind Tote, die ihren Tod verpasst haben. Man sagt, sie hätten beachtliche magische Kräfte, aber zum Glück sind sie nicht die schnellsten – weder im Laufen noch im Denken. Trotzdem würde ich mich nicht mit einem anlegen wollen. Sie sollen sehr stark sein, nahezu unverwundbar, und sie verbreiten Leichengift. Sich von ihren Krallen verletzen zu lassen ist eine schlechte Idee. Mein Großvater hat erzählt, dass zu Zeiten seines Großvaters hier einer umging. Daher kamen die Gerüchte, dass es in den Hügeln ein Grab gäbe. Bisher hat sich niemand ernsthaft darum gekümmert, es zu finden.«

      Rian fröstelte. Der wandelnde Tote erinnerte sie an den verirrten Schatten, den sie berührt hatte. Ein Draugr musste sich ähnlich fühlen wie dieser Geist – haltlos, verloren, immer auf der Suche nach Wärme und Leben, um es aufzusaugen. Vielleicht waren es ja sogar Annuyn-Schatten, die diese Körper belebten? Mats hatte gesagt, die Grenzen zwischen der Welt der Sterblichen und der Anderswelt seien hier schon immer dünner gewesen. Vielleicht galt das auch für Annuyn? Vielleicht war das, was sie erlebt hatte, gar nicht auf ein neues Aufweichen der Trennlinien zurückzuführen?

      Aber es war ein Übergang von Annuyn nach Earrach, nicht in die Menschenwelt, stellte sie für sich fest.

      Sie war erleichtert, als Mats die Tür zum Röda Thor aufstieß und ihnen Wärme, Licht und gedämpftes Stimmengewirr entgegenschlugen. Erstaunt blieb sie stehen. »Wo ist David?«

      Birte nahm eine Hand vom Lenkrad und zeigte nach vorn.

      »Da ist mein Haus, auf halber Höhe des Hügels.«

      David spähte durch die Dunkelheit und erkannte ein großes zweistöckiges Haus, das von schlanken Bäumen flankiert wurde. Daneben glaubte er, ein kleineres Gebäude erkennen zu können. Birte bog auf eine mit hellem Kies bestreute Auffahrt ab, die zwischen Ziersträuchern den Hügel hinauf führte.

      »Es ist ein altes Herrenhaus«, erklärte sie dabei. »Wobei ›Herrenhaus‹ hier im Zusammenhang mit dem Umfeld zu sehen ist – das hier war immer eine dünn besiedelte Gegend, in der man sich hauptsächlich von der Fischerei, dem Holzabbau und ein wenig Landwirtschaft ernährte. Entsprechend bescheiden lebten die Herren, im Vergleich zu anderen.«

      »Es ist trotzdem nicht gerade klein, scheint mir.«

      Birte seufzte, hielt vor der Eingangstür und stellte den Motor ab. »Es schluckt Unsummen an Heizkosten«, sagte sie. »Und wenn ich mir nicht eine Haushälterin und alle paar Wochen einen Gärtner leisten könnte, wäre es unmöglich, das alles hier in Schuss zu halten. Die Vorbesitzer haben ein Vermögen in die Modernisierung gesteckt und sind daran bankrott gegangen. Mein Glück, denn ich konnte es vergleichsweise günstig ersteigern.« Sie öffnete die Fahrertür und stieg aus. David folgte ihr.

      Drei Stufen führten zur Eingangstür hinauf. Während er sie hochstieg, hielt David den Blick auf Birte gerichtet, die vor der Tür in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel kramte. Der taillierte Mantel aus dünnem hellem Leder betonte jede Rundung ihrer schlanken Figur. Sie hatte den Kragen gegen die Kälte hochgestellt, sodass der weiche Schwung ihres Nackens verborgen war. Die langen dunkelblonden Haare hatte sie mit einem dunklen Samtband und einigen perlenbesetzten Haarnadeln hochgesteckt. Die hohen Bögen ihrer Augenbrauen verliehen ihr einen leicht fragenden Ausdruck, der durchaus arrogant hätte wirken können, wären nicht die warmen goldbraunen Augen darunter gewesen. Die gerade Nase und der ebenmäßige Mund mit den vollen roten Lippen erinnerten David an eine griechische Statue. Alles an ihr hatte diese perfekte, marmorne Schönheit. Doch er spürte, dass mehr darunter lag, und je länger er sich mit ihr im Gasthaus unterhalten hatte, umso mehr war das Verlangen in ihm gestiegen, dieses verborgene Feuer hervorzukitzeln.

      Birte hatte inzwischen aufgeschlossen, stieß nun die Tür auf und ging voran. Scheppernd landete ihr Schlüsselbund auf einem Sideboard, noch ehe sie das Licht anschaltete, Kristallleuchter an den Wänden. Ihr Licht wurde von einem Spiegel zurückgeworfen, der über dem Sideboard hing und teilweise von einem schwarzen Seidentuch verhängt war. David trat hinter Birte, bewusst den Blick auf den Spiegel vermeidend, und half ihr aus dem Mantel. Leicht beugte er sich dabei vor und ließ seinen Atem über ihren Hals streifen, während seine Fingerspitzen ihre Schulter entlangstrichen und dabei ein dünnes Schimmern hinterließen. Unwillkürlich beugte sie den Kopf etwas zur Seite, als wolle sie ihm mehr Haut bieten.

      »Aaah«, seufzte sie schließlich und rollte die Schultern, als David mit dem Mantel in der Hand von ihr wegtrat. »Endlich zu Hause in der Wärme.« Sie drehte den Kopf zu ihm, um ihm ein Lächeln zu schenken, und ließ dann den Blick an ihm abwärts gleiten.