Verena Themsen

Elfenzeit 4: Eislava


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während eine Felsstufe förmlich auf ihn zuzuschießen schien. Im letzten Moment zog er die Krallen ein und bremste seine Schlitterfahrt mit der bloßen ledrigen Haut seiner Pfoten und seines Bauchs. Mit dem letzten Schwung seiner Gleitfahrt rollte er herum, sodass nur sein Kugelkörper gegen die Stufe prallte.

      Innerlich aufseufzend blieb Ainfar einen Moment liegen, ehe er sich wieder auseinanderrollte, sein Fell glatt strich und parallel zur Stufe den Fels hinauf rannte, bis diese niedrig genug war, um hinauf zu springen.

      Die nächsten Stauden und Büsche umging Ainfar weiträumig mit hastigen Sprungtripplern und wäre dabei beinahe zu nah an ein weiteres Feld Steinblumen geraten, die sich schon förmlich die Lippen nach ihm zu lecken schienen und mit Macht ihren lockenden Gesang ausstrahlten. Irgendetwas zappelte in einem Kokon aus Fäden … ein anderes Tier, das weniger aufmerksam gewesen war als er, oder vielleicht sogar ein kleines Elfenwesen. Es war nicht ungewöhnlich, dass immer mal wieder Bewohner der Zitadelle verschwanden, und vielleicht gingen sie nicht alle auf das Konto des Getreuen, irgendwelcher Strafaktionen der Königin oder der internen Intrigen. Vielleicht wurden manche nur zu neuer Nahrung für die hungrigen Pflanzen der Gärten.

      Schaudernd wechselte Ainfar den Kurs und hetzte eine andere Felsfläche hinauf. Er wollte auf den Überhang gelangen, unter dem die Höhlung war, in der sich die Königin mit ihrer Dienerin aufhielt. Vielleicht konnte er sich dort am Rand irgendwo in eine Nische drücken, die es ihm erlaubte, das darunter geführte Gespräch mitzuhören. Schon von hier aus konnte er sie sprechen hören, vereinzelte Worte nur, aber manche davon verstand er. Er beschleungite. Wer wusste schon, wie lange die Königin noch bleiben würde?

      Den Fehler in seinem Plan entdeckte Ainfar in dem Moment, da er den Überhang entlang zu rennen begann. Er war überzogen von den silbrig schimmernden Wurzeln der Ranken, die den Vorhang bildeten. Und den Grund dafür, warum diese Ranken nirgendwo Anzeichen trugen, dass sie von Tieren angenagt worden wären, bemerkte Ainfar schnell.

      Nichts in diesem Garten war von so reiner Schönheit, wie es wirkte.

      Das Schimmern der Wurzeln rührte von unzähligen feinen Häkchen her, die die Oberflächen überzogen. Und diese wiederum bedeckten den gesamten Fels in einem feinen Geflecht. Ainfar hatte bereit drei lange Sätze in das Flechtwerk hinein hinter sich, ehe er bemerkte, was geschah.

      Dort, wo seine Pfoten auf die Wurzeln aufsetzten, begann er, das Gefühl zu verlieren. Doch der Schwung trug ihn weiter, und es war ohnehin zu spät, um noch umzukehren. Gehetzt starrte er nach vorn, wo an der Felskante die Wurzeln in Ranken übergingen.

      »Sag den Wachen, dass er zu mir zu bringen ist, sobald er wieder auftaucht«, hörte er leise die Stimme Bandorchus unter sich. »Umgehend.«

      Eine Gestalt trat unter dem Fels hervor, eine schon unglaublich schlanke Frau mit einem Schlangenkopf. In wiegendem Gang entfernte sie sich in Richtung des Bogengangs, ohne den Kampf des kleinen pelzigen Wesens über sich zu bemerken.

      Ainfar gab sein Letztes. Er dachte nicht mehr darüber nach, was er tat; er wusste nur, dass er nicht hierbleiben durfte. Unter ihm hatten die Wurzeln zu pulsieren begonnen, wogten erwartungsvoll unter ihrem nächsten Opfer, und er vermutete, dass die scheinbaren Blüten an den Ranken vielleicht doch eher das waren, wonach sie aussahen: Blutstropfen.

      Die Kante kam näher, während die Betäubung sich weiter ausbreitete. Zugleich wurde ihm schwindlig – vermutlich ein Effekt des Giftes, das die Wurzeln absonderten. Ein leiser Winsellaut entwich aus dem schmalen Mund unter seiner schwarzen Stupsnase.

      Nur noch drei Sprünge bis zur Kante, zwei … was auch immer geschehen würde, es konnte nicht schlimmer sein, als bei lebendigem Leib von einer Pflanze verdaut zu werden. Eins …

      Er sprang, streckte die tauben Händchen aus und versuchte, die Ranken zu fassen zu bekommen, um den Sturz zu dämpfen. Doch alles verschwamm vor seinen Augen, und selbst als seine Fingerchen sich um etwas schlossen, konnte er sich nicht halten. Taumelnd stürzte er durch den Blätterfall abwärts, riss Stängel ab und verfing sich kurzzeitig in Ranken, nur um doch weiter zu fallen, wenn er gerade Hoffnung schöpfte. Schließlich durchfuhr ihn ein letzter dumpfer Schmerz, als er mit dem Rücken auf dem moosbewachsenen Felsboden aufschlug. Erneut stieß er einen Klagelaut aus und schloss dann die Augen.

      Plötzlich fühlte er sich von dürren Zweigen gepackt und hochgehoben. In panischer Angst, dass nun auch die Ranken zum Leben erwacht sein könnten, riss Ainfar wieder die Augen auf und schlug mit seinen Pfoten wild um sich.

      »Schhhht, Kleiner«, hörte er eine knarrende Stimme sagen. »Es ist doch gut … bist du aber ein süßes Felldings …« Die Finger legten ihn auf etwas ab, das sich anfühlte, als sei es mit furchiger Borke bedeckt. Und dann streichelten sie ihn am Bauch. Ainfar quiekte auf und rollte sich herum, um die empfindlichste Hautpartie seines Körpers zu schützen. Ein knorriges Lachen erklang, und nun strichen die Finger über sein Rückenfell.

      Langsam wurde Ainfars Herzschlag ruhiger, und das klare Denken setzte wieder ein.

      Ich sitze auf der Hand der Dryade, erkannte er. Sie hat mich gesehen und aufgehoben.

      »Was hast du da, Melemida?«

      Die Stimme Bandorchus, ganz dicht. Ainfar erstarrte, und sein kleiner Körper zitterte noch mehr.

      »Nur ein flauschiges Silberhörnchen, Herrin. Es muss in die Ranken geraten sein, als es sein Arboratium verlassen hat. Dummes kleines Ding, warum bleibst du nicht da oben …« Sie streichelte weiter sacht Ainfars Rücken bis hinunter zu seinem Stummelschwänzchen, während sie sich ihrer Herrscherin zuwandte.

      Kurz überkam Ainfar Panik. Die Königin … sie würde ihn sofort durchschauen! Eine Frau ihrer Macht konnte nicht so leicht getäuscht werden …

      Andererseits beinhaltete nur der Vorgang der Verwandlung Magie. War er erst einmal ein Tier, haftete an ihm nicht mehr als jeder anderen Kreatur des Schattenlands. Vielleicht würde sie doch keinen Verdacht schöpfen. Nicht, solange sie keinen Anlass hatte, seine Gedanken zu erkunden.

      Er spürte förmlich, wie der Blick der Königin über ihn glitt – kühl, forschend, unberührt von dem, was sie sah. Sie war mit ihren Gedanken beschäftigt, ihren Problemen.

      »Der süße Kleine ist verletzt«, stellte Melemida fest. Ein Finger strich über seine Seite, wo die Blätter ihre Spuren hinterlassen hatten. »Ich möchte ihn behalten. Er ist so flauschig, ich mag gar nicht mehr aufhören, ihn zu streicheln.«

      Ainfars Gedanken rasten. Die Zofe mochte ihn und wollte ihn bei sich behalten. Gab es eine bessere Möglichkeit, der Königin nahe zu sein?

       Aber mein Fehlen wird bemerkt werden! Was, wenn nach mir gesucht wird? Was, wenn sich dann doch noch jemand hier daran erinnert, was für Fähigkeiten ich zu Hause in Earrach gezeigt habe?

      Er schüttelte den Kopf und strich sich mit seinen geschundenen Händchen über die Nase, was der Dryade einen Laut des Entzückens entlockte.

       Sie werden denken, ich sitze im Kerker oder bin zu den Spiegelhügeln geschickt worden. Niemand wird mich vermissen. Selbst Branid wird sich nicht mehr an mich erinnern. Und sollte es noch jemanden geben, der mich von Earrach her kennt, dann wird er besseres zu tun haben als in alten Erinnerungen zu kramen. Nein – dies hier ist das Beste, was mir passieren konnte.

      »Wirklich ein süßes Kerlchen«, erklang Bandorchus Stimme. »Vielleicht ist er eine nette Abwechslung. Pflege ihn gesund, und vielleicht kannst du ihm ein paar Kunststückchen beibringen, die mich erfreuen.«

      Blinzelnd sah Ainfar zu seiner Herrscherin, die als riesige weiße Äthergestalt über ihm aufragte. Sie sah auf ihn herunter, und die von Erschöpfung gezeichneten Züge wurden auf einmal weicher. Sie hob eine Hand, und die schlanken Finger näherten sich ihm.

       Sie sieht mich an … sie mag mich …

      Ainfar reckte seinen Rücken hoch, der Hand der Königin entgegen.

      5.

       Die Farbe der Nacht

      »Zehn