Verena Themsen

Elfenzeit 4: Eislava


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sie dir an, Bruder! Sieh dir an, wie ruhig sie ist, wie gefasst, selbst in der Niederlage noch Herrscherin. Du spürst ihre Macht ebenso wie ich! Das ist kein reiner Trotz. Sie hat keine Angst vor der Verbannung, und dafür muss es einen Grund geben.« Beschwörend sah Ainfar den Cerviden an, mit dem er den Vater teilte. »Regiatus, gib mir deine Zustimmung. Ich werde mit ihr gehen, und ich werde mit euch Verbindung aufnehmen, sobald ich es kann. Ich werde einen Weg finden. Du und ich … wir sind uns so nahe. Diese Verbindung muss auch über die Welten hinweg wieder herstellbar sein.«

      »Ich will mich ungern darauf verlassen, Ainfar. Ich will dich nicht verlieren. Sie hat uns schon genug gekostet, ohne dass du dich opferst.«

      »Es muss sein. Es … es ist auch wegen unseres Bruders.«

      »Was soll es dich kümmern, was er getan hat oder tut? Du hast ihn nie gemocht, und er dich nicht. Und ich teile deine Einstellung ihm gegenüber. Er war schon immer arroganter und mehr von sich selbst überzeugt, als es gut für ihn war.«

      »Das ändert nichts daran, dass er unser Bruder ist, und dass seine Taten Schande über uns bringen. Und jetzt ist er ein Meidling … einer von denen, die den doppelten Verrat begangen haben, nicht mit Gwynbaen durch das Tor gehen zu wollen. Ein Ausgleich ist gefordert. So sind die Regeln im Gewebe unseres Daseins, und das weißt du genausogut wie ich. Wenn ich es nicht tu, wird der Ausgleich auf andere Weise geschehen, ohne dass wir es steuern können. Und so ziehen wir vielleicht noch unseren Nutzen daraus.«

      »Bruder …« Regiatus verstummte, als er Ainfars Entschlossenheit erkannte.

      »Ich gehe. Berichte du Fanmór.«

      »Er wird nicht erfreut sein.«

      Ainfar lächelte schief. »Doch, das wird er. Was kümmern ihn schon unsere Schicksale? Aber die Möglichkeit, einen Spitzel in den Reihen der Weißen Frau zu haben, wird er sehr begrüßen. Er ist ein Herrscher, Regiatus. Er weiß, was wichtig ist und was nicht.«

      »Und was, wenn du es doch nicht schaffst? Was, wenn du einfach nur mit ihr dort gefangen bleibst?«

      »Das wird nicht geschehen.« Er legte eine Hand auf Regiatus’ Arm. »Vertrau mir, Bruder. Ich werde einen Weg finden.«

       Vertrau mir, Bruder …

      Er hatte sich bei denen eingereiht, die von den anderen Regionen Earrachs aus zum Baumschloss gekommen waren, um das Portal zu durchschreiten. Niemand hatte ihm besondere Beachtung geschenkt, denn niemand hätte erwartet, dass irgendein Elf ohne den Zwang von Fanmórs Urteil diesen Schritt gehen würde. Und dann hatten die Qualen begonnen, das Leiden unter den scharfen Wolkenschatten und den schneidend grellen Widerspiegelungen und die stetige Gefahr des Vergessens, des sich Verlierens.

       Ich habe dich vergessen … habe die Erinnerungen verloren, sie als Auswüchse an mir getragen, bis der Schutz der Zitadelle mir langsam erlaubte, mich wiederzufinden. Und seither lähmt mich die Angst vor all dem, was Gwynbaen … nein, jetzt ist sie Bandorchu, die Dunkle Frau … hier aufgebaut hat. Vor ihrer grausamen Herrschaft, die durch ihre kalte Schönheit noch an Schrecken gewinnt.

      Er öffnete die Augen und strich erneut über das Gesichtsrelief. Ob du noch auf mich wartest? Ob du noch glaubst, was ich gesagt habe? Ob du überhaupt noch an mich denkst?

      Ein eisiger Hauch strich durch den Gang, und Ainfars Finger verharrten auf dem Ornament. Seine Augen weiteten sich, kalte Angst umschloss seine Gedanken und ließ sie erstarren.

      »Welch seltsame Art, die Gänge zu reinigen«, erklang eine heisere Stimme. Eine Aura berührte den Tiermann, die so kalt war wie derjenige, von dem sie ausging. Ainfars Finger krallten sich um den Schachtrahmen. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass der Getreue im Gang stand, Bandorchus mächtigster Verbündeter, der tun und lassen konnte, was ihm beliebte.

      »Ich hätte nicht gedacht, dass jemand den scharfen Kristallstaub mit den eigenen Fingern beseitigen würde. Oder willst du dein Blut über die Mauern der Zitadelle verteilen, um die Bemühungen deiner Herrin zu unterstützen? Es wäre bestimmt eine interessante Art, den Kristall am Widerschein zu hindern, und eine, die deine Herrin nicht so viel Kraft kosten würde. – Wie viel Blut wohl in deinen Adern rinnt, und wie viel Fläche man damit verdunkeln könnte? Eine interessante Frage …«

      Etwas huschte den Gang entlang, und Ainfar spürte körperlich, wie Blick und Aufmerksamkeit von Bandorchus Verbündetem sich von ihm lösten. Die lange schwarze Kapuzenkutte des Getreuen raschelte, als er herumfuhr. Im nächsten Moment war ein Quieken zu hören. Ainfar drehte langsam den Kopf. Eine kleine wollige Gestalt wand sich im Griff des Getreuen und strampelte. Knopfaugen schillerten zwischen den wuschligen Haaren hindurch, und ein ebenso kleiner Mund stand weit offen. Langgezogenes Winseln drang daraus, während der Getreue das Wesen am Fell in die Luft hob.

      »Und was treibt dich hierher? Du hast momentan keine Aufgabe, oder? Ich werde schon etwas für dich finden …«

      Das Winseln stieg zu einem durchdringenden Klagelaut an, und der kleine wollige Kerl schlug mit dürren Ärmchen und Beinchen um sich im Versuch, sich aus dem Griff des Hünen zu befreien. Doch all seine Anstrengungen waren vergeblich. Mit langen Schritten ging der Getreue den Gang hinunter, das gefangene Kerlchen fest in seiner Hand, und redete leise weiter mit seiner heiseren Stimme, als wolle er nur plaudern.

      Die Kälte ließ nach, und Ainfar schüttelte sich.

      Mit einer Handbewegung löste er die Windwirbel auf, raffte sein Gewand und rannte so schnell er konnte den Gang in der entgegengesetzten Richtung hinunter.

      3.

       Weltenschatten

      »David, nein!«

      Die Köpfe der Wasserwesen fuhren herum, tiefschwarze Augen begegneten Davids Blick, während er vorstürmte, und als seien sie eine Einheit, hob jedes der Wesen gleichzeitig die freie Hand in seine Richtung. Im nächsten Moment traf David eine Strömung, die ihn mit sich fortriss, weg von Rian, und gegen eine Wand schleuderte. Schmerzhaft stachen die kleinen Unregelmäßigkeiten der Felswand in seinen Rücken, und der Langdolch entglitt ihm. Hilflos in der Strömung gefangen hing er an der Wand, kaum fähig, seine Finger zu bewegen oder unter dem Druck gegen seine Brust zu atmen.

      Neun Speere hoben sich.

      »Nein! Aufhören!«

      Rians Stimme klang verzerrt, doch sie erhob sich sogar über das Rauschen des Wassers in Davids Ohren. Die Wesen zögerten, tauschten Blicke untereinander aus. Dann, mit ebensolcher Gleichzeitigkeit wie die vorherige Bewegung, senkten sie ihre Hände wieder. Die Strömung verschwand, und David sank langsam am rauen Stein entlang zu Boden. Erst jetzt spürte er all die kleinen Blessuren, die er schon auf dem Weg hierher davongetragen hatte. Zusammen mit dem Muskelschmerz, der wohl mindestens ebenso sehr von der Unterkühlung rührte wie von der Anstrengung, fühlte sich David so zerschlagen, dass er am liebsten liegengeblieben wäre, um etwas zu schlafen.

      Er rappelte sich hoch und bückte sich nach seinem Dolch. Niemand hinderte ihn daran, die Waffe aufzunehmen, obwohl die Bewohner dieser Unterwasserburg ihn mit misstrauischen Blick musterten. Langsam richtete er sich wieder auf, wog die Waffe kurz in seiner Hand und steckte sie dann zurück.

      »Was passiert hier, Rian?«, fragte er, ohne die Schuppigen aus den Augen zu lassen.

      Seine Schwester hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste, ob gegenüber ihm oder den Wasserwesen, war nicht ersichtlich.

      »Sie brauchen Hilfe, David«, erklärte sie. »Was genau los ist, weiß ich auch noch nicht, aber es scheint sehr ernst zu sein.«

      David schnaubte. Auf einmal schlug all seine Sorge in Wut um. »Crain braucht unsere Hilfe. Unsere ganze Welt braucht sie! Nebenbei schützen wir die Menschheit vor Bandorchu. Meinst du nicht, damit haben wir genug Probleme am Hals?«

      »David!«

      »Rian, diese Leute haben dich entführt! Das ist in meinen Augen nicht die Art, wie man sich des Wohlwollens und der Hilfe anderer versichert!«

      »Sie