Verena Themsen

Elfenzeit 4: Eislava


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zu spüren. Das Wasser war recht klar und der Fluss nicht so tief, dass der Grund dunkel gewesen wäre. Tatsächlich sah David eine Bewegung weiter flussaufwärts, einen aufgescheuchten Fischschwarm und ein Glitzern wie von einer Glasperlenschnur.

       Luftblasen!

      David hielt mit kräftigen Stößen darauf zu. Weit vorn schälten sich mehrere schemenhafte Gestalten aus dem Halbdunkel. Fünf Wesen, die nur als dunkle Schatten zu erkennen waren, scharten sich am Flussgrund um ein kleineres, helles, das sich heftig bewegte.

       Rian!

      In dem Moment, in dem er ihren Namen dachte, stießen die Gestalten sich ab und zogen die Elfe mit sich. Noch immer wand sie sich erfolglos in den Griffen ihrer Entführer. Die Wesen hatten etwas über sie gestülpt, das ihre Gestalt unscharf wirken ließ und sie zugleich in der Bewegung hemmte.

      Die Angst um Rian ließ David noch mehr Kraft in seine Schwimmstöße legen, obwohl die Eiseskälte ihm trotz seiner robusten Konstitution langsam bis auf die Knochen ging. Zudem behinderte ihn die Kleidung. Er hielt für einen Moment inne, um sich aus dem schweren Mantel zu befreien und die Schuhe abzustreifen. Beides sank unwiederbringlich in den dunklen Schlamm des Flussgrundes hinunter.

      Nun konnte David die Verfolgung schneller aufnehmen, doch durch die Verzögerung hatte er Rian und ihre Entführer schon aus dem Blick verloren. Er behielt die Richtung bei, die sie zuvor eingehalten hatten.

      Aus dem Augenwinkel registrierte er eine Bewegung. Ein weiterer Schwarm, der aufgeregt davonstob, als hätte ein Raubfisch sie aufgescheucht. Und erneut eine kleine Kette von Luftblasen. Ohne zu zögern wechselte David die Richtung und folgte der neuen Spur. Da, eine Bewegung. Ein dunkler Schatten, dazu ein hellerer … er hatte sie wieder.

      Hoffnung flammte in ihm auf und trieb ihn voran durch das dunkle Wasser. Seine Glieder wurden allmählich taub von der eisigen Kälte, dennoch gehorchten sie weiter den Befehlen seines Gehirns, schoben ihn voran und ließen ihn dicht über den Flussgrund dahinschießen. Sein Blick verschwamm, und in den Randbereichen seines Sehens setzte ein graues Rauschen ein. Vor ihm tauchte ein dunkler Umriss so plötzlich auf, dass er beinahe nicht mehr ausweichen konnte. Ein Fels.

      Das Wasser wurde trüber und erschwerte seine Sicht auf die dunklen Gestalten vor ihm. Trotz der zusätzlichen Last der Elfe entfernten sie sich immer weiter von ihm. Es schien, als habe Rian allen Widerstand aufgegeben.

       Oder sie ist bewusstlos.

      Erneut feuerte die Verzweiflung ihn an, obwohl er allmählich ein Stechen in seinen Lungen spürte, und sein Blick schnürte sich langsam auf einen schmalen Tunnel ein. Wenn er für sich eine Atemblase schuf, würde ihn das extrem verlangsamen – er musste so hindurch. Erneut war ein Fels im Weg, und diesmal reagierte er zu spät und stieß dagegen. Für einen Moment trieb sein Körper unkontrolliert durch das Wasser, und die Kälte bekam etwas Tröstliches, denn sie betäubte den Schmerz. Ein Fischschwarm tauchte direkt vor ihm auf, silbrig schillernde Körper wimmelten um ihn herum und versperrten seine ohnehin schon eingeschränkte Sicht.

      Der Schwarm verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war, und von Rian und ihren Entführern war nichts mehr zu sehen. David schloss die Augen, riss sie dann wieder auf und wollte mit purer Willenskraft den grauen Schleier vertreiben, der sich vor die Sicht schob. Einen Moment lang schärfte sich sein Blick, er sah scharf gestochen den unregelmäßigen schlammigen Grund, die Steine und rundgewaschenen Felsen, jeden einzelnen Wasserfarn und die Fische, die dazwischen nach Algen und Plankton jagten. Doch nicht mehr. Keine Spur zeigte ihm, in welche Richtung er sich wenden musste.

      Erneut schloss er die Augen und ließ sich weiter treiben.

      Auftauchen, dachte er. Luft …

      Mühsam zwang er die Augen wieder auf und versuchte, sich zu orientieren. Wo war oben, wo unten? Er trieb im grauen Dämmerlicht, wohin die Strömung ihn in den vergangenen Augenblicken getragen hatte, und wusste nicht, wo das war. Sein Blick war durchsetzt mit tanzenden Lichtern und dunklen Punkten, die es schwer machten, irgendetwas zu erkennen. Er zwang Arme und Beine unter seinen Willen zurück, wagte einen schwachen Schwimmstoß auf eine helle Fläche zu, und noch einen. Es musste die Oberfläche sein, nur dort war es hell. Im nächsten Moment stieß er an etwas, das seine Knochen zusammenstauchte.

       Ein Fels. Ein heller Fels … ich bin zurück zum Grund geschwommen.

      David wollte lachen, doch er hatte keine Luft mehr dafür. Stattdessen schloss er die Augen, breitete die Arme aus und ließ sich treiben.

      Da geschah der Übergang.

      Es dauerte einige Atemzüge, bis David bewusst wurde, dass er atmete. Er hatte aufgehört, seine Luftwege zu verschließen, als der Schmerz der Atemnot zu groß wurde. Körper und Geist waren zu betäubt gewesen, um eine rettende Luftblase zu schaffen. Er hatte tief das eingesogen, worin er trieb, und die Qual in seinen Lungen hatte nachgelassen.

      Mit einem Blinzeln sah David sich um. Auch der Schleier um seinen Blick war verschwunden. Er trieb noch immer knapp über dem Grund, zwischen bizarr geformten Gebilden aus porösem Buntgestein, die direkt aus hellem Sand herauszuwachsen schienen. Es war ihm unmöglich zu erkennen, ob er sich noch in dem Flussbett befand. Als er sich auf den Rücken drehte, hatte er das Gefühl, das Wasser müsse sich über ihm ins Endlose erstrecken, trotz des Lichtes, das bis zu ihm durchdrang.

       Wasser?

      Er hatte den kalten Strom verlassen und war in ein Gewässer geraten, das nicht mehr aus normalem Wasser bestand, sondern aus einem Stoff, in dem er atmen konnte. Wann war das geschehen?

       Da war dieses Prickeln, als würde sich jedes einzelne Härchen aufstellen … dieses kurze Gefühl des Schwebens, noch stärker als es ohnehin im Wasser geschieht … der Übergang! Ich muss ihn durch Zufall getroffen haben und in die Anderswelt übergetreten sein. Ich bin in einer Wasserdomäne.

      Und trotzdem fühlte es sich falsch an, ungewöhnlich. Als sei etwas Fremdes dabei. Das war nicht Crain, sondern eine der vielen Regionen des Nordens. Manches mochte sich dort anders anfühlen.

       Rian! Vielleicht ist sie auch hier?

      Der Gedanke setzte seinen Körper unter Spannung. Er drehte sich wieder zurück, suchte nach irgendeinem Anzeichen der Anwesenheit anderer. Da … Spuren im hellen Sand. Jemand hatte nicht weit von ihm am Grund gestanden. Der Sand trieb in Wirbeln darum herum, als seien diejenigen eben erst wieder aufgebrochen, vielleicht während Davids Übergang.

      Er schwamm auf die Stelle zu, und tatsächlich nahm er vor sich eine Bewegung wahr, die ihn innerlich aufjubeln ließ. Er sah gerade noch die letzte der Gestalten in einem nahen Tangwald verschwinden. Obwohl sie zügig schwamm, wirkten ihre Bewegungen nicht so, als fühlte sie sich verfolgt. David zog seinen Dolch und verstärkte seine Beinbewegungen. Er überlegte kurz, sich in ein Wasserwesen zu verwandeln – doch das war gar nicht notwendig.

      Wellen von Energie durchliefen seinen Körper, als die Runen auf dem Heft des Dolchs mit seinem Körper in Kontakt kamen, und vertrieben den letzten Rest von Taubheit daraus. Mit neu erwachter Kraft trieb er seinen Körper Rian und ihren Entführern nach, in den Tangwald hinein. Die Bewegungen der langen Pflanzenstränge und der aufgewirbelte Sand zeigten ihm deutlich, welche Richtung die Gruppe genommen hatte, und er folgte ihnen mit ausdauernden Schwimmbewegungen. Wo immer ihm Pflanzen in den Weg kamen, schnitt er sich hindurch, wie mit einer Machete im Dschungel.

      Nach einer Weile bemerkte er, dass der Boden unregelmäßiger wurde. Erneut tauchten zwischen dem Tang die seltsam geformte Felsen aus löchrigem Gestein auf, und sie wuchsen immer höher hinauf. Schließlich zog sich der Tangwald zurück und machte den Felsen Platz. Für einen Augenblick konnte David die fremden Wasserwesen wieder vor sich sehen. In ihrer Mitte leuchtete Rians heller Haarschopf kurz auf, ehe sie um das nächste Felsgebilde herum verschwand und er nur noch die beiden Wesen sah, die das Ende der Gruppe bildeten.

      Ihre dunkle, blauschimmernde Schuppenhaut erinnerte ein wenig an den Kelpie aus Alberichs Rheinhöhle, doch das war die einzige Übereinstimmung. Weder Schleierhäute