Darum haben wir so viel Freude am Lobpreis, weil hier das Herz neu auftanken kann und Gott spürbar da ist. Oder am Gebet, wenn unser Herz dabei brennt. Denn dann wissen wir: Da ist einer, der uns zuhört, jetzt mit uns redet und etwas von seiner Liebe in unserem Herzen zeigt. Wenn wir in der Bibel lesen, dann warten wir, dass sich dieses besondere Gefühl einstellt, wo der Heilige Geist direkt in unserem Herzen zu sprechen beginnt.
Gott ist da. Dieses Gefühl ist das Fundament unseres Glaubens. Im Kern geht es – so meinen wir – beim Christsein darum, dass wir in unseren Herzen spüren, wie Gott uns liebt. Deshalb ist es umso schmerzlicher, wenn dieses Gefühl verblasst oder überhaupt nicht mehr da ist. Denn dann beginnt das Fundament gehörig zu bröckeln und am Ende stehen wir sprachlos neben den Ruinen unseres Glaubenshauses.
Sicherlich hat hier jeder seine eigene, persönliche Geschichte zu erzählen. Die Details mögen sich unterscheiden. Dennoch haben diese Geschichten eines gemeinsam: Gott ist nicht mehr gegenwärtig.
Vielleicht findest du dich in Christinas Geschichte wieder und fragst dich, ob es in so einer verfahrenen Situation überhaupt Hoffnung gibt?
So beginnt unsere Suche. Es ist die Suche nach einem Ausweg aus dieser Misere. Es ist Suche nach einem kleinen Funken Hoffnung.
Doch es ist nicht leicht, Hoffnung zu finden. Es gibt vermeintliche Auswege, die nur in weitere Sackgassen führen. So manche Medizin gegen ein kaltes Herz schenkt nicht die versprochene Heilung.
Ich bin mir inzwischen recht sicher, was man in so einer vertrackten Situation wie der von Christina nicht braucht. In der Regel braucht man keinen weiteren Vortrag über »hörendes Gebet«, ein gut gemeintes Seminar, »wie man Jesus im Alltag erleben kann«, oder den nächsten Sieben-Schritte-Plan zum Gestalten einer gelingenden Gottesbeziehung. Und erst recht braucht man keine weiteren Durchhalteparolen mehr, die stets die gleiche Leier singen: »Im Glauben gibt es Wüstenzeiten.« »Du musst hier nur treu durchhalten, dann wird Gott bald wieder auf den Plan treten und in deinem Inneren fängt es wieder an zu funken.«
Ehrlich gesagt gibt es von all diesen Ratschlägen bereits mehr als genug. All diese Tipps sind gut gemeint, lösen dein Problem aber in der Regel nicht, sondern verstärken den Schmerz. Diese Medizin wirkt nicht.
Du brauchst etwas anderes, besser: jemand anderes. Du brauchst Jesus. Schlicht und einfach Jesus. Und du brauchst Pastoren und Mitchristen, die dir Jesus vor Augen malen. So klar und deutlich, dass du nichts anderes mehr sehen kannst als Jesus und sein Kreuz. Du brauchst die Botschaft, dass Jesus vor allem der Heiland von Menschen mit kalten Herzen ist.
Stattdessen bekommst du Tipps, gut gemeinte Tipps. Das Problem damit ist nur, dass sie immer davon handeln, was du tun sollst. Dabei brauchst du eine andere Medizin. Du brauchst das Evangelium, die frohe Botschaft von dem, was Gott bereits getan hat. Du brauchst keine Tipps mehr, was du geistlich besser machen könntest, sondern die Botschaft, dass Jesus alles, wirklich alles, schon für dich getan hat. Dann fängst du womöglich an, von dir wegzuschauen und auf Jesus zu blicken. Und du wirst wissen: Er ist genug.
Aber auch hier steckt der Teufel im Detail. Darum noch einmal: Wir brauchen keine Tipps, keine Anleitung, wie wir denn auf Jesus schauen können. Wir brauchen keine Mitchristen, die uns deutlich machen, dass wir zu wenig auf Jesus schauen. Das wissen wir bereits. Wir brauchen Mitchristen, die uns Jesu Worte in den Gehörgang legen. Wieder und wieder. Dass wir nur noch Jesus hören können und dabei unser eigenes Herz und das Fehlen von Gefühlen in den Hintergrund tritt.
Dieses Buch ist für alle Christinas. Es geht um die gute Botschaft, dass Jesus wirklich genug ist. Im Christentum geht es um ihn, nicht um dich. Darum zählt allein das volle Versprechen aus seinem Mund, nicht das fehlende Gefühl in deinem Herzen. Entscheidend ist, was Jesus für dich getan hat, weniger das, was Jesus in dir tut, in deinem Herzen, mit deinen Gefühlen.
Aber solche Sätze, so theologisch korrekt sie auch sein mögen, werden für die Christinas dieser Welt nur wie hohle Formeln klingeln. Darum gehen wir nun weiter in die Tiefe und hoffen, dass dieser schlichte Sachverhalt dabei etwas lebendiger wird.
Dabei werden wir dreierlei tun. In einem ersten Schritt schauen wir uns an, welche Bedeutung der Gefühlswelt im Glaubensleben zukommt. Danach stellen wir uns zweitens der Frage, wie Gott mit uns Menschen kommuniziert. Wir vergleichen unsere Bilder mit dem, was die Bibel dazu erzählt. Zuletzt schauen wir, was den Glauben ausmacht. Stimmt Christinas Eindruck, dass der Glaube tot ist, wenn das Gefühl weg ist? Doch eins nach dem anderen.
Am Ende zählt, was in Gottes Herzen ist
In Christinas Geschichte verbirgt sich so manche unbewusste Annahme darüber, wie ein »normales Leben« als Christ aussieht. Eine davon ist, dass Glaube sich in Emotionen zeigt. Mit Christina denken wir, es sei als Jünger Jesu der Normalzustand, Gottes Gegenwart regelmäßig zu spüren. Christen fühlen doch Gottes Liebe in ihren Herzen!
Ich befürchte, dass wir an dieser Stelle mit einer falschen Erwartung auf unserer geistlichen Reise unterwegs sind. Denn mit solchen Vorstellungen werden wir unsere Herzen und das, was sie vermögen, überschätzen. Etwas ungewohnt spricht die Bibel nämlich in großer Ehrlichkeit von unseren Herzen und benennt die Spannung, die du vielleicht aus eigener Erfahrung kennst.
Auf der einen Seite ist der Mensch mit allem, was er ist und hat, mit seinem Herz und seinen Gefühlswelten, eine wundervolle Schöpfung Gottes. Das Herz ist ein Geschenk des Himmels und Gefühle zu haben, ist ein Privileg. Darum ist völlig klar: Ein lebendiger Glaube, der vor Emotionen strotzt, ist eine feine Sache und ein guter Grund, Gott dankbar zu sein.
Aber Gottes Wort benennt mit großer Deutlichkeit ebenso die andere Seite. Schon früh heißt es im biblischen Drama: »Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf« (1. Mose 8,21).
Ein starker Satz, der beim ersten Lesen reichlich negativ klingen mag. Ist es wirklich so schlimm um mein Herz bestellt? Dieser Vers enthält einen guten Schuss biblischer Nüchternheit, der erste Zweifel daran weckt, ob unser Herz überhaupt dafür geeignet ist, Gottes Gegenwart in einem Dauerzustand zu spüren. Jeremia spitzt es poetisch weiter zu: »Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen?« (Jeremia 17,9).
Kennst du das aus eigener Erfahrung? Kannst auch du wie Jeremia dein eigenes Herz nicht immer verstehen? Dann befindest du dich in guter biblischer Gesellschaft. Wenn du nicht verstehen kannst, warum dein Herz so unruhig schlägt, dann geht es dir wie Jeremia. Du bist kein hoffnungsloser Sonderfall, keine einmalige Ausnahme.
In all dem gibt es eine gute Nachricht: Emotionen sind nicht das Fundament des Christentums, mit dem alles steht und fällt. Zumindest sind es nicht deine Emotionen. Denn im Christentum geht es nicht um das, was in deinem Herzen ist, sondern um das, was in Gottes Herzen ist.2 Am Ende ist es nicht entscheidend, ob du etwas fühlst oder nicht, sondern dass Gott etwas fühlt. Darum kann dein Glaubenshaus gar nicht einstürzen, wenn dir die Gefühle wegbrechen. Denn es steht sicher gegründet auf dem Herzen Gottes.
Splanchnizomai
Von diesen wunderbaren Gefühlen Gottes berichtet uns die Heilige Schrift in aller Klarheit und Schönheit. Sie berichtet von Jesus und einem griechischen Wort, das schwer auszusprechen ist: Splanchnizomai. Im Deutschen wird es übersetzt mit »sich erbarmen« oder »Mitleid empfinden«. Luther übersetzt es oft mit: »Es jammerte ihn.« Ganz wörtlich bedeutet es, dass sich einem die Eingeweide umdrehen. Ich fühle so stark mit, dass ich es in meiner Magengegend spüre. Splanchnizomai.
Diese starken Gefühle, die sich hinter jenem altgriechischen Wort verbergen, empfindet Jesus für dich. Matthäus erzählt, wie Jesus mit seiner guten Botschaft von Dorf zu Dorf durch Galiläa zieht. Gottes Sohn begegnet unzähligen Menschen und hört ihre bewegenden Lebensgeschichten. Vielen sieht man es an den Augen an, dass es das Leben nicht immer gut mit ihnen gemeint hat. Einige kommen mit ihren Krankheiten zu Jesus als ihrer letzten Hoffnung.
Und dann schreibt Matthäus: »Als Jesus das Volk sah, jammerte