Petra Reategui

Der Grenadier und der stille Tod


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zurück in die Stadt. Nichts hatte sie verkauft, keine einzige Nuss, keinen Tropfen Honig, hoffentlich nahm ihr der Tulpenwirt noch etwas ab. Bestimmt wartete er längst auf sie, war womöglich verärgert, dass sie so spät kam. Wenigstens drückten die Wachtposten am Mühlburger Thor sämtliche Augen zu und winkten sie ohne Kontrolle durch. Langsam beruhigte sich ihr Herz.

      3

      Lautes Gerede und der verführerische Duft von Kohl, Zwiebeln und würziger Brühe schlugen Madeleine entgegen, als sie die Tür zur »Tulpe« öffnete. Sie hätte jetzt auch etwas vertragen können. Um vier in der Früh war sie von zu Hause aufgebrochen, hatte vorher nur schnell noch einen in Wassermilch getunkten Kanten Brot hinuntergeschlungen. Jetzt war es Mittag, ihr knurrte der Magen.

      Die Oberhäusserin hatte behauptet, in der »Tulpe« gebe es den besten Braten in der Stadt. Spezialität des Hauses sei der mit Thymian abgeriebene und in Rotwein eingelegte Hasenrücken, je nach Jahreszeit immer mit einem anderen Gemüse, gelbe Rüben, Sellerie, Pilze, Topinambur, dazu Nüsse, Mandeln, Kapern, Trüffel, Krebse. Die Gäste kämen nur deshalb. Sogar der allergnädigste Markgraf habe schon danach gefragt und seinen Hofkoch angewiesen, die Delikatesse zu besorgen. Er sei, habe Seine Durchlaucht später ausrichten lassen, von der Zubereitung der Speise derart entzückt gewesen, dass er demnächst gar einen persönlichen Besuch des Wirtshauses erwäge, schon allein wegen dessen Namen. Habe doch Markgraf Carl Wilhelm, sein verehrter Herr Großvater und Gründer der Stadt, die kostbaren Tulpen über alles geliebt, für teuer Geld aus den Niederlanden einführen und sie tausendfach malen lassen. Da könne es ja gar nicht anders sein, als dass das Essen dort vorzüglich wäre. Der Tulpenwirt, hatte die Oberhäusserin unter dem Grinsen der umstehenden Marktweiber weitererzählt, habe sich daraufhin sofort einen brandneuen Rock und neue Schuhe anfertigen lassen und vor dem Spiegel so lange Bücklinge geübt, bis ihm die Hex in den Rücken geschossen und er ein paar Tage lang wie eine windschiefe Birke herumgekraucht sei.

      An dem Tisch neben dem Durchlass zu Küche und Hinterhof hatte sich eine Gruppe Offiziere breitgemacht. Als Madeleine beim Vorbeigehen mit der Kiepe versehentlich den Arm eines Uniformierten streifte, schnauzte der sie sofort an, was ihr einfalle. Sie erkannte in ihm den schmallippigen Befehlshaber vom Richtplatz und entschuldigte sich. Aber der Kommandant hörte es nicht oder wollte es nicht hören. Er musterte sie kalt von oben herab. Was für ein anmaßendes Scheusal. Madeleine beschloss, diesen Menschen nicht zu mögen.

      »Komm, setz dich, Madeleine, ich hab mich schon g’wundert, wo du bleibsch.«

      Der Tulpenwirt räumte das Tischle an der Tür frei und stellte eine Schüssel mit dampfendem Eintopf hin, dazu Brot und ein Glas verdünnten Weins. »Jetzt ess erscht mal was, ich seh dir doch an der Nasenspitze an, dass du Hunger hasch.« Der Wirt musste sie kein zweites Mal bitten.

      Mit der Suppe wurde ihr warm, auch im Raum war es warm, und die Küchenmagd, die dicke Theres, wischte sich unablässig den Schweiß von der Stirn, während sie Zwiebeln würfelte, Salz unter den Rotkohl knetete, das Gemüse abschmeckte und schließlich ein mit Speck umwickeltes Bratenstück aus dem Sud hob und in Scheiben schnitt. Der berühmte Hase? Aus der Speisestube schallte metallen hart die Stimme eines der Militärler an Madeleines Ohr.

      »Ich versichere Ihnen, meine Herren, dass ich das jedem Rekruten vom ersten Tag an einbläue: Huren oder Enthaltsamkeit! Etwas anderes gibt es nicht. An Heiraten ist nicht zu denken. Das geht erst, wenn der Soldat vielleicht Premier-Lieutenant oder Major ist. Lässt er dann im Kampf sein Leben, nun gut, dann ist für Witwe und Kinder wahrscheinlich ausreichend gesorgt, damit die Familie nicht der Staatskasse zur Last fällt.«

      Der Sprecher schnaubte grimmig, und Madeleine, die nicht sicher war, ob sie richtig verstanden hatte, weil der Mann für sie zu schnell sprach und es überdies laut im Raum war, beugte sich vor, um zu sehen, wer geredet hatte. Natürlich, der schmallippige Offizier. Der, den sie sich entschlossen hatte, nicht zu mögen.

      »Und trotzdem greifen Unzucht und Disziplinlosigkeit immer weiter um sich«, ereiferte sich ein zweiter Mann, den Madeleine von ihrem Platz aus nicht sehen konnte. »Die Weibsleut sind die Schlimmsten, heucheln Moral und Anstand, aber schmeißen sich jedem Kerl an die Brust. Ich komme gerade aus Frankfurt. Da ist doch auch erst vor drei Tagen so ein gottloses Frauenzimmer hingerichtet worden. Eine gewisse Susanna Margaretha Brandt. Auch wegen Kindsmord. Die Gerichte sind viel zu milde in solchen Dingen. Die Hinrichtung mit dem Schwert schreckt nicht ab. Man sollte die Dirnen wieder der Folter unterziehen, ertränken, wie früher. Das würde sie zur Raison bringen.«

      E li omni?, entrüstete sich Madeleine, was ist denn mit den Männern, was ist mit denen? Monsieur tat ja geradeso, als hätten diese mit der ganzen Chose nichts zu tun. Es war doch Matthieu gewesen, der hinter Jeanne herrannte wie der Teufel hinter der armen Seele, und dann war der Freundin der Leib dick geworden, niemand hatte etwas gemerkt. Winters ließ sich unter der Kleidung viel verbergen. Aber sie hatte sich bald gedacht, dass da irgendetwas nicht stimmte, und Jeanne gefragt, ob sie krank sei. Nein, nein, wiegelte die Freundin ab, das sei vom gestockten Blut. »Das geht weg, wenn die Sach wiederkommt.«

      Aber der Jeanne ihre Sach war nicht wiedergekommen. Stattdessen bekam sie Krämpfe, im Frühjahr, mitten auf dem Feld, und unvermutet schoss das Kind aus ihr heraus und plumpste auf den Acker. Ein Mädchen. Nur gut, dass sie dabei gewesen war und ein paar Frauen rufen konnte, die sich mit so etwas auskannten. Aber sie mussten mit Engelszungen auf die Freundin einreden, damit diese das Kindchen in den Arm nahm, der Pëchitto die Brust gab und was man halt so tut nach einer Geburt. Und die ganze Zeit hatte Jeanne geheult, sie habe das doch nicht gewusst.

      »Das würde sie mit Sicherheit zur Raison bringen«, bestätigte der schmallippige Kommandant die Worte des Vorredners, als eine sonore Stimme ihn unterbrach. Madeleine musste sich anstrengen, um die Person zu verstehen.

      »Sie erlauben, aber wenn man Sie so reden hört, könnte man meinen, dass wir Männer Unschuldslämmer oder lauter Heilige wären«, sagte der Unbekannte. »Aber Hand aufs Herz, meine Herren, wer von Ihnen hat denn in jungen Jahren Enthaltsamkeit geübt? Sie, Herr Major? Oder Sie? Oder Sie?« Der Mahnende schwieg, vermutlich wanderte sein Blick in der Tischrunde von einem zum anderen. Dann vernahm Madeleine sein belustigtes Kichern.

      »Sie hatten doch bestimmt alle Ihre kleinen Liebeleien? Nachbars Töchterchen, die Magd des Bäckers …«

      »Geh, hören Sie auf«, fiel einer dem Unbekannten ins Wort, der Stimme nach zu urteilen derselbe, der die überhandnehmende Unzucht beklagte. »Die Weiber wissen doch genau, wie sie uns rumkriegen, hinterlistig und raffiniert, wie sie sind. Dagegen kommt doch kein Mann an. Meiner Meinung nach müssen Kirche und Staat rigoros durchgreifen, soll unsere Gesellschaft nicht zugrunde gehen. Ich plädiere dafür, dass ab einem gewissen Alter die Geschlechter strikt voneinander getrennt werden. Kein Beisammensein von unverheirateten Frauen und Männern im selben Raum, keine gemeinsamen Spaziergänge ohne Aufsicht. Tanzveranstaltungen und sonstige vorgebliche Vergnügungen gehören verboten. Nur auf diese Weise lassen sich uneheliche Kinder und in der Folge davon die massenhaften Kindstötungen vermeiden.«

      »Massenhaft?«, höhnte der Vorredner, »ich höre immer ›massenhaft‹. Sie tun ja geradeso, als würde jeden Tag irgendwo im Land ein Neugeborenes umgebracht. Das ist ja nun nicht der Fall. Im Übrigen, verraten Sie mir, wie Sie es bewerkstelligen wollen, dass sich junge Männer und Frauen im Alltag nicht begegnen?«

      Der andere wollte etwas erwidern, aber der unbequeme Mahner kam jetzt richtig in Fahrt und ließ sich nicht unterbrechen.

      »Nein, meine Herren, das Problem ist ein anderes. Das Problem sind unsere Gesetze.«

      Er pausierte kurz, räusperte sich und sprach dann schnell weiter, bevor ihm jemand ins Wort fallen konnte.

      »Sie werden mir doch zustimmen, dass es die Aufgabe des Staates ist, für das Wohlergehen seiner Bewohner zu sorgen, nicht wahr? Aber was tut der Staat? Er hat sich der Moralauffassung der Kirche untergeordnet, predigt ein seltsames Gebot der Keuschheit und hat Heirats- oder besser gesagt Nicht-Heiratsregeln und Unzuchtsgesetze erlassen, die der Natur des Menschen spotten. Kein Mann, keine Frau ist imstande, solch widernatürliche Bestimmungen einzuhalten. Und so stehen wir vor der beklagenswerten Tatsache, dass die