Franziska Franke

Der Tod des Jucundus


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errichtete Holzbrücke überquerte, fragte ich mich, ob die Existenz der Rheinbrücke für mich an diesem Tag ein Fluch oder ein Segen war. Einerseits ersparte sie mir, mit der Fähre überzusetzen, andererseits hätte Jucundus sonst womöglich nicht nahe beim »Castellum Mattiacorum« genannten Brückenkopf von Mogontiacum Quartier genommen, wo es nur wenige Tavernen gab. Wie mein Bruder interessierte er sich für nichts anderes. Schon am Vortag hatte ich mich gefragt, wo mein ehemaliger Mitsklave nach seiner Zechtour zu übernachten gedachte. Eigentlich konnte er nur geplant haben, bis zum Morgengrauen in der Schankwirtschaft zu bleiben.

      Zweirädrige und vierrädrige Wagen kamen mir entgegen, die mit Weinamphoren und anderen Handelsgütern beladen waren. Ich schaute mich nach einem Bekannten um, der mich offenbar nicht bemerkt hatte, und mein Blick blieb an den Fischerbooten haften, deren helle Segel vom Wind aufgebläht waren und ich fragte mich, ob ich wohl jemals das Mare nostrum sehen würde. Es war schon seit Jahren mein sehnlichster Wunsch, Rom zu besuchen.

      Dann erblickte ich einen Trupp Soldaten, die am anderen Ufer über die Hügel marschierten. Dieser Anblick ließ mich innerlich erschaudern; wenn auch der Anblick von Soldaten zum Alltag eines Legionslagers gehört, erinnerten sie mich stets an ihr kriegerisches Handwerk, das schließlich schlecht für das Geschäft ist.

      Auch sonst fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Jeder Hufschlag meines Pferdes, der mich näher an mein Ziel brachte, ließ mich an meinem Vorhaben zweifeln. Was sollte ich diesen Sklaven fragen? War es klug, ihm auf den Kopf zuzusagen, dass ich ihn für einen Mörder hielt? Und wenn er alles abstritt? Ich war nicht sein Herr und konnte ihm daher nichts befehlen. Was also versprach ich mir von dem Abstecher auf die andere Rheinseite?

      Als ich das Ende der Brücke erreicht hatte, erwog ich ernsthaft, wieder umzukehren. Das musste mir nicht peinlich sein, denn ich hatte niemanden in meine Pläne eingeweiht. Ich zügelte mein Pferd, aber dann siegte die Neugier über meine Bedenken.

      Ich hatte die Behausung des Viehhirten zuvor nur einmal aufgesucht und das war einmal zuviel gewesen, denn wir hatten uns nur angeschwiegen. Nach all den Jahren, die vergangen waren, nachdem sich unsere Lebenswege getrennt hatten, hatten wir uns buchstäblich nichts mehr zu sagen gehabt.

      Obwohl dieser missglückte Besuch mindestens ein Jahr zurücklag, fand ich mühelos den Weg, was aber keine große Leistung war, denn die Zivilsiedlung um den Brückenkopf von Mogontiacum war winzig klein. Genauer gesagt, bestand sie nur aus ein paar Dutzend niedrigen Bauten. Sie wurden deklassiert vom großen Ehrenbogen mit seinen drei Durchgängen, den man Germanicus zu Ehren hatte errichten lassen. Die weiße Kalksteinverkleidung des Monuments reflektierte das Licht und das vergoldete Reiterstandbild, das den Bogen bekrönte, strahlte überirdisch in der Sonne.

      Das Haus des Jucundus lag am Rande des Orts und ich muss zugeben, dass es mich angenehm überraschte. Schon die Tatsache, dass er sich mittlerweile einen Sklaven leisten konnte, hätte mich auf den Gedanken bringen sollen, dass der Viehhirte es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hatte. Ein einfacher, aber gepflegter Ziegelbau hatte seit meinem letzten Besuch die einfache Hütte ersetzt.

      Wer würde das Anwesen nun wohl erben? Soweit ich wusste, besaß Jucundus keine Verwandten. Er war der einzige Sohn eines Kriegsgefangenen von der äußersten Grenze des Imperiums. Das hatte er jedenfalls behauptet, aber vielleicht besaß er drei uneheliche Kinder in Mogontiacum und hatte sich daher ins Hinterland verdrückt. Man konnte nur hoffen, dass er einen letzten Willen zu Gunsten Cornelias verfasst hatte. Wenn ein Freigelassener kein Testament hinterließ, erbte nämlich sein Patron den Besitz.

      Ich saß ab und band mein Pferd an einem Baum fest, um zu verhindern dass es das Gemüse im Vorgarten fraß. Vorsichtig schaute ich mich um, aber niemand versuchte, mich davon abzuhalten, das Grundstück zu betreten. Einen Augenblick lang blieb ich unschlüssig vor der Haustür aus massiver Eiche stehen. Dann gab ich mir einen Ruck und klopfte an, aber entweder war niemand zu Hause oder der Bewohner reagierte nicht. Vielleicht schärfte der Sklave bereits im Inneren das Messer?

      Besaßen Sklaven heutzutage Waffen?, durchfuhr es mich, eine Frage, die ich mir bisher gar nicht gestellt hatte. Uns jedenfalls war das früher bei Todesstrafe verboten! Aber der Sklave des Jucundus hatte sich offenbar bis an die Zähne bewaffnet, um in die Schankwirtschaft zu gehen.

      Ich drückte die Klinke herunter und zog an der Tür, doch sie gab nicht nach. Ich bückte mich, um durch das Schlüsselloch zu schauen, konnte aber niemanden in der Diele erkennen.

      Was sollte ich jetzt tun? Die Tür gewaltsam öffnen? Wenn das einer meiner Kunden erführe, könnte ich den Weinhandel vergessen. Unschlüssig trat ich einen Schritt zurück und musterte nochmals das Haus: Neben dem Eingang stapelte sich frisch geschlagenes Holz und der Weg war gefegt.

      »Jucundus ist nicht zu Hause!«

      Die weibliche Stimme fuhr mich so heftig an, dass ich zusammenzuckte. Erschrocken wandte ich mich um und sah mich Aug in Aug mit einer bärbeißigen Matrone. Die Stirn in Falten gelegt und in der Hand einen Besen fixierte sie mich. »Ich habe ihn heute jedenfalls noch nicht gesehen.«

      »Das gefällt mir aber gar nicht, denn ich wollte ihn etwas Wichtiges fragen«, begann ich vorsichtig, »vielleicht könnte auch sein Sklave mir weiterhelfen, aber ich sehe ihn nirgendwo.«

      Ich beglückwünschte mich selbst zu dieser spontanen Formulierung, denn es gibt nichts Alberneres als sich nach einem Sklaven zu erkundigen.

      »Die beiden sind gestern zusammen verschwunden und ich habe sie nicht zurückkommen sehen.« Die Matrone stützte sich mit beiden Händen auf ihren Besen auf und blickte mich genauso an, wie mein früherer Herr seine Sklaven angeblickt hatte, bevor er sie bestrafte. »Ich bin übrigens die Nachbarin.«

      Ich bedankte mich hastig für die freundliche Auskunft, schwang mich auf meinen Braunen und machte mich schleunigst auf den Rückweg, denn ich verschwendete hier nur meine Zeit.

      Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte. Das Gut des Marcus Terentius lag außerhalb der Stadt, wenn auch glücklicherweise nicht allzu weit vom Hilfstruppenlager entfernt. Trotzdem entschied ich, dass es zu spät war, um meinen ehemaligen Patron zu besuchen, denn zu dieser Jahreszeit dämmert es sehr früh.

      Am folgenden Morgen war ich wieder einigermaßen imstande meinen Kopf zu gebrauchen, aber ich wollte keinen Rückfall riskieren, indem ich mich mit Respectus oder Lucius herumstritt. Also verschwand ich einfach nach dem Frühstück.

      Über Nacht war es frühlingshaft warm geworden, jedenfalls so frühlingshaft wie es in dieser rauen Gegend nur werden kann. Obstbäume blühten und Vögel sangen, als ich der schnurgeraden Straße folgte, die das Legionslager mit dem Militärlager der Hilfstruppen, beziehungsweise dem benachbarten Vicus Victoriae verband. Die liebliche Hügellandschaft zu beiden Seiten des Wegs wurde von Gutshöfen bewirtschaftet, die die Stadt mit Lebensmitteln versorgten.

      Den rechten Straßenrand säumten Grabdenkmäler. Einige der Denkmäler waren von eindrucksvoller Monumentalität, darunter Pfeilergrabmäler mit Schuppendach und vollplastischen Darstellungen der Verstorbenen, die durch ihre farbige Bemalung geradezu erschreckend lebendig wirkten. Aber die meisten bestanden nur aus einem schlichten Grabstein. Trotzdem war dies eine ziemliche Verschwendung, wenn man bedachte, dass selbst ein einfacher Grabstein tausend Denare kostete, aber ein Legionär nur einen einzigen Denar am Tag verdiente. Mir war schon immer unverständlich gewesen, wie ein Mensch auf die Idee kommen konnte, freiwillig Soldat zu werden, aber angesichts dieser Zahlen erschien mir dies als völliger Wahnsinn.

      Achtlos passierte ich das kleine Kultbild der Epona mit dem Relief der auf einem Maultier reitenden Göttin, das sich am Rande einer Koppel befand. Bauern hatten es mit Frühlingsblumen bekränzt. Früher hatte auch ich, wenn ich hier vorbeikam, Epona ein Trankopfer dargebracht. An diesem Tag hingegen fehlte mir dafür die Geduld. Außerdem lag mir weniger das Wohlergehen meines Pferdes am Herzen als das meines Bruders und des Handelskontors.

      Nach einem Ritt von wenigen Meilen erreichte ich eine Stichstraße, der ich folgte, bis ich die Umfassungsmauer des Gutshofs von Marcus Terentius erreichte. Als ich noch auf dem Gut gelebt hatte, wurde man am Tor von einem Wächter kontrolliert, aber entweder wurde der Eingang inzwischen tagsüber nicht mehr bewacht