die hier aber mit neuen Geschichten bedacht werden. Wie etwa Kaiser Franz Joseph, der einen Doppelgänger hatte, der jahrzehntelang mit identischer Figur, ähnlichem Gesicht, Uniform und »Kaiserbart« durch die Monarchie stolzierte – bis die beiden Herren einander eines Tages persönlich gegenüberstanden.
Mit dieser Begegnung beginnt das Buch. Im Kapitel »Skurrile Spurensuche« finden sich aber auch eine Episode über jenen Meisterdieb, der sich irrtümlich am Tatort fotografieren ließ, eine weitere über einen Suaheli-Dolmetsch, der kein Suaheli konnte, und eine über den legendären »Schnorrerkönig« Poldi Waraschitz, der ein Leben in Saus und Braus führte, ohne je dafür bezahlt zu haben.
Auf »Spurensuche in der Welt der Musik« befasse ich mich mit Mozarts nächster Umgebung, die viel zu seinem Werdegang beitrug. Ich entdeckte, dass Beethoven in seiner Wohnung auf der Mölkerbastei »von 9–12 Uhr vormittags und von 4–6 Uhr nachmittags« persönlich Eintrittskarten für seine Konzerte verkaufte. Ich studierte die triste Finanzlage Franz Schuberts und ging einem Familienzwist im Hause Johann Strauss nach. Ebenfalls im Musikkapitel erfährt man von einem Bühnenunfall der Primadonna assoluta Maria Jeritza, der Geschichte schrieb, und wie der letzte Wertgegenstand des Operettenkönigs Robert Stolz in die Hände eines Gerichtsvollziehers geriet.
Im Kapitel »Spurensuche in der k. u. k. Welt« zitiere ich aus dem einzigen Interview, das Katharina Schratt gegeben hat, und berichte über den General Anton von Lehár, der im Gegensatz zu seinem viel bedeutenderen Bruder Franz, dem Schöpfer der Lustigen Witwe, in den Adelsstand erhoben wurde.
Darüber hinaus führen die Spuren dieses Buches die geneigte Leserin und den geneigten Leser in die Welt des Kriminals. Zu Enrico von Francesconi etwa, der, aus bester Familie stammend, einen Geldbriefträger überfiel und ermordete. Es geht um ein Drama im Burgtheater, das sich 1925 fatalerweise nicht auf der Bühne, sondern im Zuschauerraum ereignete – mit einem echten Toten. Ebenfalls im Wien der Zwischenkriegszeit fanden die Attentate auf den Politiker Franz Schuhmeier und den Philosophieprofessor Moritz Schlick statt. An den »Mord beim Hochstrahlbrunnen«, bei dem eine 21-jährige Mannequinschülerin erstochen wurde, wird sich manch betagterer Leser vielleicht noch erinnern.
Ganz und gar nicht blutig geht es im Kapitel »Spurensuche bei prominenten Wien-Besuchern« zu. Hier wird die Geschichte von Papst Pius VI. erzählt, der nach Wien kam, um Kaiser Joseph II. dazu zu bringen, die Sperre der hiesigen Klöster zu widerrufen. Weiters geht es um Giacomo Puccini, George Gershwin, Arturo Toscanini, Mark Twain, den Grafen Zeppelin sowie die Jahrhundert-Künstlerinnen Eleonora Duse, Sarah Bernhardt und Isadora Duncan. Von Charlie Chaplin, der zwei Mal hier war, bleibt eine süße Romanze mit einer schönen Wienerin in Erinnerung.
Diese Romanze führt uns nahtlos zur »Spurensuche in der Welt der Liebe« mit Affären, die den Prinzen Eugen, Johann Nestroy, den Thronfolger Franz Ferdinand, die wirkliche Rössl-Wirtin und Marlene Dietrich betreffen.
In der »Welt der großen Maler« verfolgen wir die Spuren von Hans Makart sowie den Brüdern von Casanova und Gustav Klimt. In der »Welt der Politik« erfahren wir Neues über einen Mordanschlag auf Napoleon in Wien, ein Attentat vor der Staatsoper auf den König von Albanien und dass ausgerechnet beim Gipfeltreffen Kennedy–Chruschtschow laut österreichischer Präsidentschaftskanzlei »das schlechteste Essen, das je serviert wurde« auf den Tisch des Schlosses Schönbrunn kam. Im Kapitel »Spurensuche in dunklen Stunden« geht es um Stefan Zweig, den Dirigenten Wilhelm Furtwängler und »den Mann, der den Stephansdom rettete«.
In keinem meiner bisherigen Bücher war es so schwierig, Ordnung in die einzelnen Geschichten zu bringen, wie in diesem. Der Fall der Komtesse Mizzi hätte ebenso gut in die »Welt des Kriminals« gepasst, ich lasse sie aber im Kapitel »Literatur« auftreten, weil ihre Lebensgeschichte von keinem Geringeren als Arthur Schnitzler dramatisiert wurde. »Gerechtigkeit für eine Königin« hätte auch bei den Tragödien Platz gefunden, wurde aber zur »Spurensuche im Kaiserhaus« gereiht. Ebenso wie der tragische Tod von Sisis Schwester Sophie Herzogin von Alençon. Die Lebensgeschichten von Richard Gerstl, Georg Trakl und Adalbert Stifter hätten ebenfalls zu den Tragödien gepasst, wurden aber in die Spurensuche der großen Maler beziehungsweise Literaten eingefügt.
In der »Welt des Theaters« finden sich Geschichten darüber, wie Anton Bruckner den Ringtheaterbrand überlebte, warum Max Reinhardt zwanzig Jahre für seine Scheidung brauchte und Hans Moser in einer Hausmeisterwohnung lebte. Auf »Spurensuche in Wiener Gebäuden« begab ich mich, um das pikante Geheimnis der legendären Séparées im Hotel Sacher zu lüften.
All das ist nur ein Auszug aus einer viel längeren Liste von Geschichten, es gibt noch die »Spurensuche im Reich der Anekdote«, wo der Herzog von Windsor, Karl Farkas, Helmut Qualtinger und einmal mehr Hans Moser vorkommen.
Mit der allerletzten Geschichte schließt sich der Kreis: Wie im Einstiegskapitel geht es auch hier um des »Kaisers Bart«. Diesmal aber wird die »Konkurrenz« geschildert, die die Menschen damals ernsthaft beschäftigte: Wer hat den schöneren Bart? Kaiser Franz Joseph oder Johann Strauss? Nur so viel sei vorweg schon verraten: Der eine ließ sich einen wachsen, um jünger, der andere, um älter auszusehen.
Ich freue mich, wenn Sie sich, geneigte Leserin, geneigter Leser, mit mir auf Spurensuche begeben. Und ich wünsche Ihnen dabei ebenso viel Unterhaltung wie Spannung und neue Informationen.
Georg Markus
Wien, im August 2020
SKURRILE SPURENSUCHE
Der Doppelgänger des Kaisers
Eine österreichische Köpenickiade
Es war eine Szene wie aus einem Film (der damals gerade in seinen Kinderschuhen steckte). Ein Herr in Uniform und dazu passender Kappe durchquerte forschen Schritts den Inneren Burghof in Wien. Sowohl Passanten als auch die Offiziere und Soldaten der vor der Residenz des Kaisers diensttuenden Leibgarde glaubten ihren Augen nicht trauen zu können. Denn Seine Majestät der Kaiser spazierte mutterseelenallein, ohne einen Adjutanten an seiner Seite, vom Ballhausplatz in Richtung Hofburg. An seiner Identität bestand kein Zweifel, der Mann war in Figur, seinen Gesichtszügen und Bewegungen, in seiner Haltung und mit seinem Bart ein Ebenbild Kaiser Franz Josephs. Allerdings gab es in den letzten Jahren der Monarchie ein Wiener Original, das gerne als Doppelgänger des Monarchen auftrat.
Den »Kaiserbart« zu tragen war damals in Österreich-Ungarn durchaus in Mode, bei Herrn Achilles Farina kam noch hinzu, dass er Franz Joseph auch sonst zum Verwechseln ähnlich sah – und er selbst tat alles, um diese Ähnlichkeit zu unterstreichen. Vor allem durch das stolze Tragen seiner Uniform und durch seinen gepflegten Backenbart mit dem ausrasierten Kinn, der mit dem des Kaisers identisch war.
Der Doppelgänger und das Original: Achilles Farina (links) und Kaiser Franz Joseph
Der Mann mit dem schönen Namen Achilles Farina war gebürtiger Wiener mit italienischen Vorfahren. Geboren 1844, war er vierzehn Jahre jünger als der Kaiser und sein Leben lang immer irgendwie in dessen Nähe. 27 Jahre lang versah er in der k. k. Trabantenleibgarde seinen Dienst, um nach seiner Pensionierung als Amtsdiener in der Generalintendanz der Hoftheater weiterzuarbeiten und sich abends als Logenschließer im Burgtheater und in der Hofoper ein paar Kronen dazuzuverdienen. So war er zu seiner schmucken Billeteurs-Uniform gekommen, die der eines Angehörigen der k. k. Armee ähnelte.
Die größte Ähnlichkeit war in den Jahren nach der Jahrhundertwende festzustellen, als der Kaiser über siebzig und Herr Farina an die sechzig Jahre alt war und beide weißes, schütteres Haar respektive Backenbart trugen. Und so kam es, dass der eingangs erwähnte Spaziergang des irrtümlich als Kaiser wahrgenommenen Herrn Farina ein skurriles Nachspiel hatte. Der Hauptmann der an diesem Tag vor der Hofburg aufgestellten Burgwache zog, als der falsche Kaiser näher kam, seinen