beansprucht, wärst du gefickt gewesen, und ich auch.“ Er stützte sich rechts und links von mir ab und kam mir sehr nah. „Ich meine das wörtlich. Das Ganze ist ein verdammter Albtraum.“
Ich blinzelte, verinnerlichte den Anblick meines sehr wütenden Bruders und seufzte. „Ich wollte mich doch nur amüsieren, Thomas. Ich habe mit all dem Scheiß nicht gerechnet.“ Ich schluckte schwer und konzentrierte mich darauf, durch die Nase zu atmen. Der wütende Thomas war verdammt beängstigend.
„All dem Scheiß?“, wisperte er. „All der Scheiß gehört zur MC-Welt. Sie machen ihre eigenen gottverdammten Gesetze.“ Er setzte sich neben mich und nahm meine Hand. „Ich muss dich beschützen und dich von diesen Leuten wegbringen.“ Er drückte sich den Nasenrücken und atmete tief durch.
„Es tut mir leid“, sagte ich erstickt und Tränen traten mir in die Augen. „Ich dachte, Flash beschützt mich. Er hatte mir einen Wochenendausflug versprochen.“ Mann, ich klang wie eine dusselige Kuh. Mike und Joe hatten mich gewarnt. Hatten mich gebeten, nicht mitzufahren, doch wie gewöhnlich hatte ich unbedingt meinen Kopf durchsetzen müssen.
„Flash ist ein Schlappschwanz und ein Vollidiot. Ich hatte schon Angst, dass er mich erkennt, aber er war noch zu jung, um sich an mich zu erinnern. Außerdem ist er strohdumm. Netter Junge, aber blöd wie ein Meter Feldweg.“
„Warum bist du eigentlich immer noch hier, Tommy?“ Für mich war er immer Tommy, mein großer Bruder, den ich mehr Jahre nicht gesehen hatte als mir lieb war. „Warum bist du noch nicht nach Hause gekommen?“
Er sah mich an und ließ die Schultern hängen. „Ich stecke zu tief drin, Schwesterchen. Bin befördert worden und jetzt Sergeant-at-Arms. Ich bin in den inneren Kreis vorgedrungen und tue alles, um diesen Club hochzunehmen. Und ich will es nicht nur halb machen. Ich will sie in die Knie zwingen. Alle entmachten und die Reste verbrennen, sozusagen. Nichts davon zurücklassen.“
„Das ist so gefährlich.“ Ich wusste, dass ich nur das Offensichtliche aussprach, wusste jedoch nichts anderes zu sagen. Allein der Gedanke, dass ihm etwas passieren könnte, zerquetschte mein Herz und ich wollte es nicht zerspringen fühlen.
„Es ist mein Job, Izzy. Ich muss ihn zu Ende bringen. Ich verspreche, bald nach Hause zu kommen.“
„Hoffentlich. Ma sorgt sich zu Tode. Joey wird Vater. Die Familie verändert sich und du kriegst nichts davon mit.“ Am liebsten wäre ich mit ihm durch die Tür geeilt und nach Hause gefahren.
„Joey wird Vater?“, wisperte er mit geweiteten Augen.
„Ja. Du wirst bald Onkel sein. Du musst nach Hause kommen.“
„Das werde ich, Süße, das werde ich.“ Er umarmte mich und ich lehnte mein Gesicht an seine Brust.
Ich legte die Hände auf seine Schultern und klammerte mich an ihm fest, wollte ihn nie mehr loslassen. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, geschweige denn berührt. Wie könnte ich aus dieser Tür gehen und ihn zurücklassen?
„Und jetzt?“, fragte ich an seinem T-Shirt.
„Tja, alle glauben, dass ich dir den Verstand rausvögele.“ Er erbleichte und machte ein würgendes Geräusch. „Danach muss ich dich wieder zurück bringen.“ Er seufzte und entzog sich mir. Meine Hände fielen von seinen Schultern. „Ich werde jemanden anrufen. Hast du dein Handy dabei? Meins ist nicht sicher.“
Ich hob meine Handtasche vom Boden auf, suchte das Handy und reichte es ihm.
„Wen willst du anrufen?“ Ich wollte nicht, dass sich meine anderen Brüder in Gefahr brachten. Schlimm genug, dass ich Tommy in diese schreckliche Lage gebracht hatte.
„Ich habe nur eine Person in der Nähe, der ich trauen kann, dich aus dem Scheiß rauszuholen.“ Er tippte eine Nummer ein.
„Wen? Bitte ruf nicht Mike oder Joe an“, bat ich und ließ mich mit dem Rücken aufs Bett sinken.
„Auf keinen Fall! Ich rufe einen befreundeten Polizisten an. Nur er kann es machen, ohne dass es aussieht, als hätte ich etwas damit zu tun.“ Er hielt sich das Handy ans Ohr und stand auf.
Okay, na dann. Er hatte meine Frage nicht beantwortet. Er entfernte sich vom Bett und ich sah mich im Zimmer um. Dieses Hotel war noch schäbiger als das, was Sam und ich hatten. Seit den Siebzigerjahren war hier nichts mehr erneuert worden. Die Farben kamen wie direkt aus der Serie Die Bradys unter Drogen. Senfgelb, dreckiges Orange und Avocadogrün an den Wänden und auf der Bettwäsche. Ich wollte nicht einmal daran denken, was in diesem Bett schon alles geschehen war. Es musste von Bazillen nur so wimmeln.
Ich stand auf, ging auf meinen Bruder zu und sah aus dem Türspion. Der kotzgrüne Teppich lud nicht dazu ein, die Schuhe auszuziehen und den nicht vorhandenen Flausch zu testen. Er war stumpf und abgenutzt.
„Hi“, sagte Tommy ins Telefon. „Ich brauche deine Hilfe.“
Ich drehte mich um und sah zu, wie er auf und ab ging. Wäre der Teppich noch neu gewesen, hätte er bestimmt eine Furche hineingelaufen. Ich nahm meine Handtasche, setzte mich wieder aufs Bett und holte meinen Lipgloss heraus.
„Meine Schwester ist hier. Ich brauche deine Hilfe, sie verdammt noch mal hier rauszuschaffen.“ Tommy fuhr sich erneut mit den Fingern durch die Haare. „Ich weiß. Sie kam mit einem der Anwärter und fast hätte Rebel sie sich für die Nacht geschnappt, aber ich konnte sie für mich beanspruchen. Fuck sei Dank!“ Er hielt inne und hörte zu, bevor er wieder losmarschierte. „Ja, Izzy“, sagte er und sah mich dabei kurz an.
Ich weitete die Augen. Der Mann kannte mich, aber ich hatte noch immer keine Ahnung wer er war.
„Sie ist die einzige Schwester, die ich habe, James. Was soll die Frage?“ Tommy sah mich wieder an, während James sprach.
Bei dem Namen öffnete ich den Mund. James Caldo. Das war der Kerl, der ohne Einladung zur Hochzeit erschienen war und eine Karte für Tommy abgegeben hatte. Wir hatten zusammen getrunken. Viel zu viel. Am nächsten Morgen war ich aufgewacht und hatte mich ohne Abschied aus seinem Hotelzimmer geschlichen. Ich hatte bekommen, was ich wollte, war schnell abgehauen und hatte nie wieder daran gedacht.
James war … wie sollte ich es ausdrücken? Höllisch heiß, aber ein bisschen zu bestimmend. Er erinnerte mich an meine Brüder, nur zehnmal so macho. Es hatte nur noch gefehlt, dass er sich auf die Brust trommelte und „ich Neandertaler, du meine Braut“ gegrunzt hätte, nachdem er mich nach der Hochzeit ins Koma gevögelt hatte.
Wäre ich nicht dermaßen voller Jackie-Cola gewesen hätte ich mich nicht von ihm verführen lassen und wäre nicht in seinem Bett gelandet … und an der Wand und auf dem Boden …
Mist. Warum musste er ausgerechnet James anrufen? Langsam wurde ich nervös und spürte Unruhe im Bauch. Mein eines Bein zuckte, was es immer tat, wenn ich eine Situation nicht beherrschte.
Vielleicht musste ich ihn gar nicht sehen. Oh Gott, bitte mach, dass ich ihn nicht sehen muss. Vielleicht hatten sie einen anderen Plan, mich hier raus zu kriegen und das war’s dann. Ich schloss die Augen, fiel wieder aufs Bett zurück und starrte an die Zimmerdecke. Ich hörte Tommy zu, während sich verrückte Szenarien in meinem Kopf abspielten. Vielleicht wollte James gar nicht helfen, weil ich einfach abgehauen war. Könnte er so grausam sein?
Vielleicht musste ich dafür bezahlen. Auf allen vieren als Bezahlung für meine Rettung. Diese Vorstellung war gar nicht so schlecht, doch ich würde mich niemandem unterwerfen, schon gar nicht James.
„Ja, ich kann sie auf mein Bike kriegen, wenn wir hier weggehen“, sagte Tommy und setzte sich neben mich. Er sah mich seltsam an. Vielleicht erzählte ihm James etwas über unsere gemeinsame Nacht. „Okay. Sie wird dich kontaktieren, wenn wir die Bar verlassen, und dann übernimmst du. Ich vertraue dir, James. Nur dir. Sie muss sicher nach Hause gebracht werden. Sie sollte gar nicht hier sein. Kannst du das für mich tun, Bro?“ Er stand wieder auf, ging ins Bad und schloss die Tür.
Ich atmete aus, denn ich hatte die Luft angehalten, als ich