Louisa May Alcott

Kleine Frauen, Band 3: Kleine Männer


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oder zwei Tage später davon sprach, erzählte Tommy seine Beobachtung, und Mr. Bär hörte zu. Die Schule war gerade zu Ende und alle standen in der Vorhalle herum, als sich Mr. Bär auf das Strohsofa setzte, um mit Teddy herumzualbern; aber als er hörte, was Tommy sagte, und sah, wie Nat puterrot anlief und ihn mit erschrockenem Gesicht ansah, stellte er den kleinen Jungen auf den Boden und sagte: "Geh zu deiner Mutter, Bübchen, ich komme bald." Dann nahm er Nat bei der Hand, führte ihn zurück ins Klassenzimmer und schloss die Tür.

      Die Jungs sahen sich eine Minute lang schweigend an; dann schlich sich Tommy nach draußen, spähte durch die halb geschlossenen Fensterläden hinein, und gewahrte einen Anblick, der ihn ziemlich verwirrte. Mr. Bär hatte gerade das lange Lineal abgenommen, das über seinem Schreibtisch hing, und das so selten benutzt wurde, dass es mit Staub bedeckt war.

      "Ach du jemine! Jetzt wird Nat eine ordentliche Tracht Prügel bekommen. Ich wünschte, ich hätte nichts erzählt ", dachte der gutmütige Tommy, denn gezüchtigt zu werden war die größte Schande der Schule.

      "Weißt du noch, was ich dir das letzte Mal gesagt habe?", sagte Mr. Bär traurig, aber keinesfalls wütend.

      "Ja; aber bitte zwingen Sie mich nicht dazu, ich halte das nicht aus", rief Nat, der mit kummervollem Gesicht mit dem Rücken zur Tür stand und beide Hände hinter sich verschränkt hatte.

      "Warum nimmt er es nicht hin wie ein Mann? Ich würde es tun", dachte Tommy, obwohl sein Herz bei diesem Anblick schneller schlug.

      "Ich werde mein Wort halten, und du musst daran denken, immer die Wahrheit zu sagen. Gehorche mir, Nat; nimm das Lineal und gib mir sechs ordentliche Schläge."

      Tommy erschütterten diese letzten Worte so sehr, dass er fast von der Bank heruntergefallen wäre, sich aber gerade noch retten konnte, indem er sich am Fensterbrett festhielt. Seine Augen waren so rund wie die der ausgestopften Eule auf dem Kaminsims.

      Nat nahm das Lineal, denn wenn Mr. Bär in diesem Ton sprach, gehorchte ihm jeder, und obwohl er so ängstlich und schuldig aussah, als ob er seinen Herrn erstechen müsste, versetzte Nat der ihm entgegengestreckten, großen Hand zwei schwache Hiebe. Dann hielt er inne und schaute halb blind vor Tränen auf; aber Mr. Bär blieb hart:

      "Mach weiter und schlag härter zu."

      Da es offensichtlich keinen Ausweg gab und er nur noch diese schwere Aufgabe schnell zu Ende bringen wollte, legte Nat einen Ärmel über seine Augen und ließ zwei weitere schnelle, harte Schläge folgen, die die Hand röteten, den Austeilenden aber noch mehr schmerzten.

      "Ist das nicht genug?", fragte er ziemlich außer Atem.

      "Noch zwei", lautete die Antwort, und die teilte Nat dann auch aus, obwohl er kaum sah, was er genau traf. Dann warf er das Lineal quer durch den ganzen Raum, umfasste die gütige Hand mit seinen eigenen, legte sein Gesicht darauf und schluchzte leidenschaftlich in einer Mischung aus Liebe, Scham und Reue:

      "Ich werde mich daran erinnern! Oh ja, das werde ich!"

      Dann nahm ihn Mr. Bär in die Arme und sagte so mitfühlend, wie vor wenigen Sekunden noch entschlossen:

      "Ich denke, das wirst du. Bitte den lieben Gott darum, dir zu helfen, und versuche, uns beiden ein weiteres Schauspiel wie dieses zu ersparen.

      Das war alles, was Tommy sah, denn danach schlich er zurück in die Vorhalle und sah so erregt und ernst aus, dass sich alle Jungs um ihn scharten, um zu fragen, was man mit Nat anstellte.

      Flüsternd erzählte Tommy ihnen eindrucksvoll, was er gesehen hatte, und alle sahen aus, als würde gerade der Himmel einstürzen, denn diese Umkehr der üblichen Abläufe raubte ihnen fast den Atem.

      "Er hat mich einmal gezwungen, dasselbe zu tun", sagte Emil, als ob er ein Verbrechen der allerübelsten Sorte gestehen müsste.

      "Und du hast ihn geschlagen? Den lieben, alten Vater Bär? Donner und Doria, das solltest du jetzt einmal versuchen", sagte Ned und nahm Emil in einem Anfall gerechten Zorns in den Schwitzkasten.

      "Es ist schon so lange her. Lieber lasse ich mir den Kopf abschlagen, als es noch einmal zu tun." Mit diesen Worten gab sich Emi geschlagen, anstatt nach Ned zu hauen, was er ganz sicher bei einem weniger ernsten Anlass für seine Pflicht gehalten hätte.

      "Wie konntest du nur?", fragte Demi, der entsetzt war über den Gedanken.

      "Ich war damals sehr wütend und dachte, es würde mir nichts ausmachen, mir vielleicht sogar gefallen. Aber als ich Onkel einen ordentlichen Schlag versetzt hatte, war plötzlich alles, was er je für mich getan hatte, irgendwie in meinen Kopf, und ich konnte nicht mehr weitermachen. Nein, Sir! Selbst wenn er mich hingelegt hätte und auf mir herumgetrampelt wäre, es hätte mir nichts ausgemacht – ich fühlte mich so schäbig", sagte Emil und versetzte sich selbst einen kräftigen Schlag auf die Brust, um so sein Gefühl der Reue für die Vergangenheit auszudrücken.

      "Nat weint, als gäbe es kein Morgen, und es tut ihm unendlich leid, also lasst uns kein Wort darüber verlieren, ja?" sagte der gutherzige Tommy.

      "Natürlich werden wir nichts sagen, aber es ist schrecklich, Lügen zu erzählen", meinte Demi, der aussah, als ob ihm die Schrecklichkeit noch viel größer erscheinen würde, wenn die Strafe nicht der Sünder, sondern sein geliebter Onkel Fritz abbekam.

      "Ich schlage vor, wir hauen alle ab, dann kann Nat nach oben flüchten, wenn er will", schlug Franz vor und führte die Meute zur Scheune, ihrer Zuflucht in unruhigen Zeiten.

      Nat kam nicht zum Mittagessen, aber Mrs. Jo brachte ihm etwas davon und sagte ein zärtliches Wort, was ihm offensichtlich gut tat, obwohl er sie nicht anschauen konnte. Irgendwann hörten die Jungs, die draußen spielten, die Geige und sagten sich: "Es geht ihm wieder gut." Es ging ihm tatsächlich besser, aber er war immer noch zu verlegen, um hinunter zu gehen, bis er, als er seine Tür öffnete, um sich in den Wald zu verdrücken, Daisy auf der Treppe sitzend vorfand – ohne Handarbeit und ohne Puppe, nur mit ihrem kleinen Taschentuch in der Hand, als ob sie um ihren gefangenen Freund trauern würde.

      "Ich gehe spazieren, willst du mitkommen?", fragte Nat, der versuchte so auszusehen, als ob alles in Ordnung war; tatsächlich war er aber sehr dankbar für ihr stilles Mitgefühl, weil er sich ausmalte, dass jeder ihn für einen Schurken halten würde.

      "Oh, ja!" sagte Daisy, die zu ihrem Hut eilte und stolz darauf war, von einem der großen Jungs als Begleiterin auserwählt worden zu sein.

      Die anderen sahen sie gehen, aber niemand folgte ihnen, denn Jungs haben viel mehr Zartgefühl, als man ihnen gemeinhin zutraut, und alle wussten nur zu gut, dass die sanfte, kleine Daisy das meiste Mitgefühl zeigte, wenn man selbst in Ungnade gefallen war.

      Der Spaziergang tat Nat gut, und er kam ruhiger als sonst nach Hause, sah aber wieder fröhlich aus und war überall mit Gänseblümchenketten behangen, die seine kleine Spielgefährtin gemacht hatte, während er auf dem Rasen lag und ihr Geschichten erzählte.

      Niemand verlor ein Wort über das Schauspiel dieses Morgens, aber vielleicht war seine Wirkung gerade deswegen umso nachhaltiger. Nat versuchte fortan sein Bestes und erhielt viel Hilfe, nicht nur durch die feierlichen, kleinen Gebete, die er an seinen Freund im Himmel richtete, sondern auch durch die geduldige Fürsorge seines irdischen Freundes, dessen gütige Hand er nie mehr berührte, ohne sich daran zu erinnern, dass sie um seinetwillen Schmerzen ertragen hatte.

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