eine bürgerliche Jury sprach ihn frei. Es gab eben stets „bürgerliche“ Elemente, die vor Marx einen Heidenrespekt hatten und vor ihm katzbuckelten. Geistig gibt es diese auch heute noch.
Um einer zweiten Verhaftung auszuweichen, ging Marx nocheinmal nach Frankreich zurück, doch war die Regierung dort nun weniger von linken Ideen begeistert und ließ ihm die Wahl, sich entweder außerhalb von Paris anzusiedeln oder das Land zu verlassen. Marx aber war ein echter Bücherwurm; ohne große Bibliotheken war sein Leben verfehlt und so ging er in ein Land, in dem schon eine fix- und fertige sozialistische Bewegung (wenn auch nicht nach seinem Geschmack) bestand – nach England, das immer, nach der Schweiz, der kontinentalen Linken ein rettender Hafen gewesen war. Marx fand eine Wohnung in London, wo er im Lesesaal des Britischen Museums ohne Unterlaß bis zu seinem Tod arbeitete. Sein Unterhalt wurde zu großem Teil von Engels bestritten, der in Manchester arbeitete und dessen Verwandte ihn „ausbezahlt“ hatten; auch hatte Marx ein Nebeneinkommen von der New York Tribune, deren Europa-Korrespondent er Jahre hindurch war. (Doch wissen wir heute, daß er ein fauler Schreiber war und Engels immer wieder seine Artikel schreiben mußte.) Ohne die Thaler, Pfunde und Dollars des ‚Kapitalismus’ hätte es vielleicht keine sozialistisch-kommunistische Bewegung gegeben…
Kehren wir aber zum Kommunistischen Manifest zurück, das alsbald in viele Sprachen übersetzt wurde, auch ins Dänische, aber vorläufig nicht ins Russische. (Marx war stets antirussisch gestimmt gewesen und hatte überhaupt für die Slawen und andere „niedere Völker“ nichts als Verachtung übrig.)23) In Brüssel hatte sich Marx dem „Bund der Kommunisten“ angeschlossen, der früher einmal „Bund der Gerechten“ geheißen hatte. (Auch heute herrscht in Jugoslawien nicht eine kommunistische Partei, sondern der Savez komunista, der „Bund der Kommunisten“.) Das Manifest, eine Kurzschrift von ungefähr 12 000 Worten, gibt eine kompakte Übersicht von den politisch-wirtschaftlichen Überzeugungen der beiden Autoren. Der Stil dieses Pamphlets ist farbig, klar und herausfordernd, aber das Vokabular des deutschen Urtexts ist doch so, daß es vom durchschnittlichen Arbeiter kaum verstanden worden wäre. Meine eigene Ausgabe aus dem Jahre 1921,24) als das allgemeine Bildungsniveau schon bedeutend höher war als im Jahre 1848, hat ein Glossar von zwölf eng bedruckten Seiten. Das allein schon bezeugt, daß der Sozialismus-Kommunismus eine Bewegung von Intellektuellen mit eigenartigen psychologischen Motivationen ist, die aber durch ihre populären (oder popularisierten) Schriften, ihre rednerischen Begabungen oder ihren persönlichen Magnetismus die Massen mobilisieren konnte. Der internationale Sozialismus-Kommunismus wurde nicht von „Werktätigen“25) in die Welt gesetzt. Noch wurde er (mit ganz wenigen Ausnahmen) von Männern erdacht und erfunden, die für die Armen und Bedrückten blutende Herzen hatten, sondern von giftgeschwollenen Hassern. Auch im Gemütsleben von Karl Marx, das wir außerordentlich gut kennen, findet man kaum Liebe, Mitleid oder Zärtlichkeit. War er vielleicht ein Satanist? Auch eine solche Theorie gibt es.26)
Das Kommunistische Manifest, in Brüssel geschrieben, aber in London, der damaligen Hauptstadt des ‚Weltkapitalismus‘, zuerst veröffentlicht, beginnt mit den seitdem berühmten Worten: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“ Nach dieser Präambel versucht das Manifest, die Weltgeschichte höchst einfach als Geschichte von Klassenkämpfen darzustellen, doch wird auch die Bemerkung eingeflochten, daß die prähistorischen Völker weder Klassen noch den Privatbesitz kannten. Mit anderen Worten: Die Autoren kopierten Rousseaus Theorie von einem paradiesischen Urzustand, einem Goldenen Zeitalter, einer säkularen Vision der biblischen Geschichte.
Das Manifest preist dann die Bourgeoisie für ihre Großtat: die Vernichtung des Feudalismus und seiner Kultur. Es klagt sie aber an, ein eisern-strenges Régime ihrerseits errichtet zu haben. Dann folgt eine vernichtende Kritik der Bourgeoisie und diese enthüllt den Hauptcharakterzug von Marx: Selbsthaß. Marx, ein typisches Produkt des Bürgerstandes, ist bürgerfeindlich. Marx, jüdischer Abkunft, ist ein Judenhasser. Marx, der seine Zelte im Herzen der ‚kapitalistischen‘ Welt aufgeschlagen hat, ist „Antikapitalist“. Marx, der eine Aristokratin geheiratet hat, ist zwar von der Aristokratie beeindruckt und will bei seinem Ausflug nach Berlin in ihre Salons eindringen, bekämpft sie aber. Im dritten Teil seines Manifests ergeht er sich sogar in wüsten Ausfällen gegen einen „aristokratischen Sozialismus“27). Der Selbsthasser haßt natürlich auch andere; doch will er keine irgendwie gearteten Bundesgenossen in seinem Kampf, nicht solche zumindestens, die seiner Kontrolle entgehen könnten.
Doch Marx preist die Bourgeoisie, daß sie die Herrschaft der Stadt über das Land gefestigt, daß sie eine Massenabwanderung vom Land in die Stadt eingeleitet hat, um sie dem „Idiotismus des Landlebens“ zu entreißen und somit zur Bildung eines städtischen Proletariats, seines Proletariats, beizutragen. Das ist die Stimme des wurzellosen Intellektuellen.
Auch lobt Marx die Bourgeoisie für ihren antifeudalen Kampf, weil sie dadurch für die Schaffung einheitlicher Staaten von einer Nation, einer Regierung, eines nationalen Klasseninteresses, eines einheitlichen Zollgebietes („Douanenlinie“ nennt er sie) gekämpft hatte. Er freut sich über alle diese (typisch linken) „Errungenschaften“, wie er auch dann später mit Engels ein Bewunderer Bismarcks wird, denn Marx ist eben auch ein früher ‚Nationalsozialist‘. Dann aber versucht er zu beweisen, daß die Technik im krassen Gegensatz zu der gegenwärtigen Produktionsweise stünde. Die Bourgeoisie befindet sich in einer furchtbaren Krise: Kriege, Hungernsnöte und wirtschaftliches Chaos bedrohen die bourgeoise Gesellschaft. Die Produktion ist zu hoch. Die einzige Lösung des Problems ist die Eroberung neuer oder die noch brutalere Ausbeutung alter Märkte. Um zu überleben, muß die Bourgeoisie neue Krisen gebären. Doch hat sie das Proletariat geschaffen, das die Bourgeoisie genau so vernichten möchte wie diese seinerzeit die Aristokratie.
Was aber nun folgt ist überraschend oder doch vielleicht nicht so überraschend, wenn man die deutsche Romantik kennt. Es ist dies eine wütige und doch nicht völlig ungerechte Kritik der modernen Industrie, des Maschinenzeitalters, der Knechtschaft, die dem Arbeiter durch die Vorläufer des Fließbandes aufgezwungen wird. Der Arbeiter, sagten Marx und Engels, ist durch die Maschine und durch die Vorarbeiter im Dienste einer ausbeutenden Bourgeoisie versklavt. Und schließlich kommen die beiden Autoren zum Grundübel: Der Arbeiter bekommt nur einen Teil seines ihm zustehenden, gerechten Lohns.
Doch da gibt es einen Trost in Form einer ausgleichenden, dialektischen Gerechtigkeit: Zwar zwingt die Bourgeoisie alle Menschen auf das proletarische Niveau hinunter, aber das Große, das Kolossale, die Masse wird überall siegen. Schon gibt es auch Kleinbürger, die, ob sie es nun wollen oder nicht, vom Proletariat verschlungen werden. Doch innerhalb des Proletariats gibt es bereits eine neue Kultur: Die Beziehungen des Proletariers zu Frau und Kind, zu Staat und Nation sind schon ganz andere als die des Bourgeois. Er hat kein Vaterland,28) keine bourgeoise Moral, keine Religion. Und während in der Vergangenheit nur Minderheiten für ihre Interessen kämpften, ist die Bewegung der Proletarier eine unabhängige Bewegung, die der großen Mehrheit im Interesse der großen Mehrheit. Das klingt nicht nur, das ist tatsächlich höchst demokratisch – freilich auch nur so lange, als das Proletariat eine wirkliche Mehrheit bildet. (Was sie längst nicht mehr in den meisten industrialisierten Ländern tut.) Laut des Manifests ist jedoch sehr logisch der erste Schritt in der Revolution der Arbeiter der Kampf um die Verwirklichung der Demokratie, der Regierung der Mehrheit von Gleichen.
Alldies geschieht jedoch ‚automatisch‘, ist Teil eines wissenschaftlich erforschten historischen Gesetzes. Nur fragt man sich dann, wenn dem wirklich so ist, warum man dann revolutionäre Bewegungen organisieren soll? Revolutionen fordern Opfer – auf beiden Seiten!
Die bourgeoise Gesellschaft ist sowieso schon bankrott, lehrt uns das Manifest. Wenn man den Kommunisten vorwirft, sie wollen die bürgerliche Ehe abschaffen, so ist dies heuchlerisch, denn die allgemeine Promiskuität durch Ehebrüche am laufenden Band ist schon längst in der bürgerlichen Gesellschaft die Regel. Doch hatten Marx und Engels stets eine allmähliche, eine stufenweise Einführung des Kommunismus ins Auge gefaßt – über ein demokratisches Zwischenstadium. Durch dieses würde dann