einer riesigen Zahl drohender Todesfälle und jetzt im Sommer von wirtschaftlichem Niedergang nie da gewesenen Ausmaßes waren und sind unter dem Gesichtspunkt des kalten, problemlösenden Denkens korrekte Warnungen.
Wenn wir aber nicht problemlösend, sondern empathisch denken, bemerken wir den Schaden, den solche Bilder anrichten. Nur weil er sich schlechter objektivieren lässt, muss er nicht geringer ausfallen als das Risiko durch den Kontakt mit dem Virus.
Wenn ich von vielen Tausend Corona-Toten in den unterschiedlichsten Erdteilen lese oder höre, wird auf den subtilen, aber unzweifelhaft belegten Wegen der Psychoimmunologie mein Glaube gebrochen, dass ich selbst eine Ansteckung verkraften kann. Da nützt es nicht viel, wenn sich bei genauerem Hinsehen zeigt, dass Verstorbene überwiegend schon vor der Infektion geschwächt waren.
In den Ermutigungsansprachen der politischen Führer weltweit dominiert eine schiefliegende Sicherheit, die oberste Priorität für Gesundheit und Leben zu kennen und sich energisch für sie zu entscheiden. Der populärste Mann ist nun, von der Welle des Events nach oben gespült, derjenige Landesvater, der das Gemeinwohl durch harte Restriktionen sichert. Leben vor einem schnellen Tod an definierter Ursache zu bewahren, schenkt den Virologen weltweit eine Expertenmacht, um die sich etwa die Klimaforscher seit Jahren vergeblich bemühen.
Wir werden erst in den kommenden Jahren einigermaßen beurteilen können, welche der politischen Entscheidungen, die in der Corona-Krise getroffen wurden, für die Gesundheit der Menschen auf dem Planeten segensreich, welche schädlich waren. Je länger wir mit dem Virus leben, desto stärker wird sich Covid-19 in Einzelschicksale auflösen, desto mehr werden neben den Virologen auch Forscher zu Wort kommen, die sich theoretisch und praktisch mit der menschlichen Widerstandskraft beschäftigen.
Sicher wissen wir schon heute, dass Ängste und Depressionen das Immunsystem schwächen. Es wurde viel versprochen, um die Menschen zu entlasten, die um ihre Zukunft bangen, weil ihre wirtschaftliche Existenz und ihre Aussicht auf einen anerkannten Ort in der Gesellschaft gefährdet wurden. Aber Reden über unbürokratische Hilfe lösen keine individuellen Krisen, sie machen sie nur kurze Zeit erträglicher – und diese Entlastung schlägt in ihr Gegenteil um, wenn zu viel versprochen wurde. Ein Künstler, dem staatliche Verbote Auftritts- und Verdienstmöglichkeit genommen haben, stellt zuversichtlich einen Antrag. Er gerät unter eine Lawine von Formularen, die Zuständigen sind ins Homeoffice verschwunden und schicken erst einmal seitenweise Text, fordern ein Dutzend Bestätigungen in beglaubigter Abschrift.
Unter rascher Hilfe stellt sich ein geplagter Mensch vor, dass er zu einem anderen Menschen Kontakt findet, der ihm zuhört, sich in seine Lage versetzt, vielleicht das eine oder andere Dokument studiert, um Missbrauch auszuschließen. Nach ein paar Stunden wird die Hilfe bewilligt.
Das kalte Denken geht immer vom Negativen aus und sucht Kontrolle um jeden Preis. Das warme Denken orientiert sich an der Empathie. Es leugnet nicht die Gefahr, aber auch nicht die Tatsache, dass die meisten Menschen Vertrauen verdienen und es erst einmal darauf ankommt, ihnen Sicherheit zu geben. Es fließt leicht von den Lippen und in die Tastaturen, dass der Staat für die Bürger da ist. Wer aber etwas von einem Staat möchte, der in der Krise behauptet hat, alles für die Bürger tun zu wollen, stößt auf jenes kalte System, dessen Überwindung ihm soeben zugesagt wurde.
Die Corona-Krise produziert Gewinner und Verlierer in einer bisher nie da gewesenen Selektion und Intensität. Wer mit einem kleinen Laden, einer Ich-AG als Musiker, Theatermacher, Autor bisher gut durchgekommen ist, sieht bedroht, woran sein Herz hängt. Wer sich über den Trott als Beamter geärgert hat, sieht nun den Segen eines festen Gehalts und einer sicheren Pension in leuchtenden Farben.
Kinder bewältigen die Infektion beileibe nicht nur deshalb am besten, weil ihr Immunsystem gut trainiert ist. Sie machen sich in der Regel auch weniger Sorgen als die Erwachsenen, sie fühlen sich krank, wenn sie krank sind, legen sich ins Bett, wenn sie fiebern, und stehen auf, wenn es ihnen besser geht.
Anders die ehrgeizigen, sportlichen Erwachsenen, die schon in Vor-Corona-Zeiten lebensgefährliche Verläufe von Lungenentzündungen provozierten. Sie reden ihre Grippe klein und unterdrücken die Symptome mit schnell eingeworfenen Medikamenten, um weiterarbeiten zu können.
Wenn sie dann mit schwersten Symptomen zusammenbrechen, wird das gegenwärtig gerne der Unberechenbarkeit des Erregers zugeschrieben, nicht der Unfähigkeit der Erkrankten, ihren inneren Zustand ernst zu nehmen. Wenn die Corona-Krise der Menschheit hilft, sich ein wenig von dem Raubbau an seelischen Ressourcen zu distanzieren, kann sie auch eine wohltätige Seite haben.
Wer will noch Held sein?
Als sich im April auf einem französischen Flugzeugträger nahezu tausend junge Soldaten mit dem Corona-Virus infizierten, empörte sich die internationale Presse über den Mangel an Voraussicht, Schutzkleidung und Ähnlichem. Ein »Skandal« sei das, es wurden gar gerichtliche Klagen erwogen. Was wir aus dieser Empörung lernen können, ist eine bemerkenswerte Eintrübung des Denkens, denn: Überwog nicht das Positive? Die Matrosen haben die Infektion zwischenzeitlich hinter sich, fast alle Verläufe waren glimpflich, niemand ist gestorben – an sich auch nicht verwunderlich in einer Population junger und fitter Personen.
Nicht weniger angesteckt von der problematischen Haltung einer unbedingten Vermeidung scheint Peter Laudenbach, Autor eines Textes über das Theater in diesen Zeiten im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung: »Problematisch ist in Corona-Zeiten nicht nur jede Form körperlicher Nähe, sondern schon leidenschaftliche, laute, also unter Umständen auch feuchte Aussprache ohne einige Meter Sicherheitsabstand, von Kussszenen ganz zu schweigen.« 3 So wird jedes Repertoire »unspielbar« und der Prinzipal des Wiener Burgtheaters, Martin Kušej, geschulmeistert, weil er dagegen protestiert, auf der Bühne »Sicherheitsabstand« zu verordnen. Laudenbach: »Ein Leiter einer öffentlich finanzierten Institution, der das Wort ›Sicherheitsabstand‹ in Anführungszeichen setzt, hat offenbar noch nicht ganz verstanden, in welcher Situation sich die Gesellschaft, und mit ihr das Theater, befindet.«
Wer da etwas nicht verstanden hat, ist nicht der Intendant. Es gibt auch in Zeiten einer drohenden Pandemie »sichere« Nähe. Zumal man Schauspieler testen und erst dann aufeinander loslassen kann, wenn ausgeschlossen ist, dass einer das Virus trägt. Was bleibt von Kunst übrig, wenn Schulmeister und Rechthaber die Zeichen der Zeit so deuten, dass die Vermeidung einer Infektion nicht nur zur ersten, sondern zur alleinigen Bürgerpflicht wird?
Die blindwütige Prophylaxe einer im Einzelfall sehr häufig harmlosen, oft symptomfreien, aber im exponentiellen Wachstum bedrohlichen Infektion deutet an, dass wir die schuldige Variante des Corona-Virus nicht als Naturphänomen, sondern als Feind begreifen. Dafür spricht auch der Mythos von der aus chinesischen Laboren entkommenen Biowaffe. Feind ist Feind, immer und überall. Es gibt keine Bedingungen, unter denen wir aufhören dürfen, gegen ihn anzukämpfen, auch nicht auf einem gut ausgerüsteten Schiff, das in den Weiten des Ozeans bestens davor geschützt wäre, die Infektion dorthin zu tragen, wo sie andere Menschen erreicht, die ihr nicht den gleichen Widerstand entgegensetzen können wie die Mitglieder der französischen Besatzung.
In die Köpfe brennt sich die zu Beginn schon erwähnte Metaphernsprache des Krieges und das Bild eines »typischen« Infizierten, der auf einer Intensivstation mit unsicherem Ausgang beatmet wird. Dass die meisten Covid-19-Kranken »nur« fiebern und husten, die Infektion oft auch fast symptomlos verläuft, spielt für die diffuse Angst der Bürger keine Rolle.
In der kriegerischen Rhetorik von der »dunkelsten Stunde der Menschheit«, der »größten Gefahr« wird die Kränkung eines globalisierten Größenwahns fassbar, dass ein mikroskopisch kleines Eiweißbündel das ganze Getriebe stoppen kann. Mikroben sind Teil der Natur, viele sind nützlich, andere gefährlich, aber wie einen Feind »besiegen« können wir sie niemals.
Die kriegerische Metapher bereitet unser Denken und Fühlen nicht darauf vor, die Ambivalenz der Infektion zu erkennen: Überstehe ich sie, bin ich gegenwärtig und noch so lange, bis eine gute Impfung entwickelt wird, wenn nicht immun, dann aber doch einen großen Schritt weiter. Das Todesszenario, das die Berichterstattungen in hohem Maß prägt, ignoriert diese Ambivalenz. Es ist kalt und dramatisch, es lässt keinen Raum für Erfolgsgeschichten, Zuversicht oder auch nur für den integrativen