Maschinen dabei unterstützen, uns intelligent zu entscheiden. Eine solche Entscheidungsfindung ist eine Simulationsübung, Computer sind Simulationsmaschinen. Ihre Software bildet die reale Welt mit Hilfe von Algorithmen und Programmiersprache in Modellen ab. Je genauer diese Modelle Zustand und Wirkzusammenhänge der realen Welt simulieren, desto hilfreicher können Computer und IT-Systeme uns als Entscheidungshilfen dienen. In einigen Fällen und Kontexten werden wir Menschen künftig gut beraten sein, die Überblicks- oder Metaentscheidung zu treffen, unsere Entscheidungen grundsätzlich an Maschinen zu delegieren. Warum wird das möglich?
Vorhersagemaschinen
Die Digitalisierung hat uns eine bis dato unvorstellbare Menge und Vielfalt an Informationen gebracht, maschinenlesbar als Daten gefasst. Sie hat uns, beschleunigt durch die Methoden des maschinellen Lernens, sowohl mächtige als auch filigrane Werkzeuge an die Hand gegeben, um diese Informationen zu sortieren, zu analysieren, Muster in ihnen zu erkennen und diese Erkenntnisse für uns nutzbar zu machen. Bei systematischen Entscheidungsprozessen spielen drei besondere Stärken von Software und datenreichen IT-Systemen eine wichtige Rolle:
1 Verlässlichere Vorhersagen.
2 Das Filtern von Informationen.
3 Die logische Beschreibung und Visualisierung komplizierter Wechselwirkungen.
»Prediction machines«, Vorhersagemaschinen, nennen die kanadischen Ökonomen und Computerwissenschaftler Ajay Agrawal, Joshua Gans und Avi Goldfarb jene IT-Systeme, die mit so genannter Künstlicher Intelligenz aus vielen Beispielen lernen, Muster zu erkennen, und in ähnlichen Situationen dann aus den Mustern der Vergangenheit und Gegenwart Prognosen für die Zukunft ableiten. Es fällt naturgemäß leichter, Entscheidungen zu fällen, wenn wir über gute Vorhersagen verfügen, im Idealfall hinterlegt mit Eintrittswahrscheinlichkeiten für bestimmte Szenarien. Die zweite und dritte Stärke maschineller Entscheidungsunterstützung, also Filtern von Informationen und die Visualisierung von Kausalitäten, haben vor allem mit einer großen Schwäche des menschlichen Gehirns zu tun. Wir Menschen sind in Entscheidungssituationen sehr schnell überfordert, wenn wir große Mengen an Informationen verarbeiten sollen. Noch schwerer fällt es uns mit unseren begrenzten kognitiven Mitteln, den Überblick über die Wechselwirkungen verschiedener Einflussfaktoren in einer simulierten Zukunft zu behalten.
Digitale Filter können uns helfen, die relevanten Informationen rasch zu finden; zum Beispiel aus einem riesigen Angebot eines Onlineshops nur schwarze Schuhe, Oxford-Stil mit Ledersohle, Größe 44 in der Preisspanne von 120 bis 170 Euro. Das reduziert Entscheidungsoptionen rasant und beschleunigt Entscheidungsprozesse, sofern wir wissen, was wir suchen. Gleichzeitig gibt es immer bessere Softwaresysteme, die Ärzte mit einer Alarmfunktion unterstützen, bei einem bestimmten Krankheitsbild bestimmte Medikamente nicht zu verschreiben, obwohl diese auf den ersten Blick für die Behandlung geeignet erscheinen, doch bei einem bestimmten Typus Patient mit bestimmten Genen nicht wirken oder gar unschöne Nebenwirkungen entfalten. Diese Nebenwirkungen könnte der Arzt ohne Konsultation des Systems mit einem einprogrammierten, weitverzweigten Entscheidungsbaum nach Wenn-dann-Logik niemals überblicken. Auf diese Weise fördert ein solches System so genanntes konstellatorisches Denken. Konstellatorisches Denken beschreibt die Fähigkeit, Verknüpfungen in komplizierten Zusammenhängen zu erkennen und die richtigen Schlussfolgerungen für unsere Entscheidungen aus diesen zu ziehen.
Optionsvielfalt
Wie immer, wenn der Satz fällt, »Die gute Nachricht lautet …«, folgt wenig später die schlechte auf dem Fuß. Im Fall digitaler Entscheidungsassistenz in Zeiten des Datenreichtums lautet sie: Die Digitalisierung hat nicht nur die Vielzahl der verfügbaren Informationen in einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit erhöht, dass auch die mitgelieferten Analysetools und Filter kaum noch dabei nützen, der Informationsflut Herr zu werden. Es kommt leider noch schlimmer. In der sich gegenseitig verstärkenden Wechselwirkung von Individualisierung, Globalisierung und Vernetzung hat durch die Digitalisierung auch noch die Anzahl der Optionen dramatisch zugenommen, unter denen wir bei Entscheidungsprozessen auswählen müssen. Computer und Künstliche Intelligenz hatten uns doch eigentlich versprochen, unser Leben einfacher zu machen, unter anderem, indem sie uns bei der Entscheidungsfindung unterstützen und entlasten. Tatsächlich haben sie aber in vielen Bereichen des Lebens die Qual der Wahl deutlich erhöht.
Sir David Spiegelhalter, Professor für Public Understanding of Risk an der Universität Cambridge und einer der bekanntesten Statistiker der Welt, meint: »KI-Systeme können großartige Mitglieder eines Mensch-Maschine-Teams sein, das unsere Entscheidungsfindung auf die nächste Stufe hebt.« Das Problem sei allerdings: »Wir wissen nicht, wie genau wir dieses Team aufstellen müssen«. Spiegelhalter ist sich sicher: »Intelligente Maschinen werden uns die Last der Entscheidung nicht abnehmen.«
Die Fortschritte der letzten Jahre im Feld der maschinellen Entscheidungsassistenz sind zwar beeindruckend. Doch verblassen sie im Angesicht der Komplexität der Welt und den Unwägbarkeiten, unten denen wir unsere Entscheidungen treffen. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden: Digitalisierung, Datenreichtum und Künstliche Intelligenz machen das Leben sowohl berechenbarer als auch unberechenbarer. Diese Ambivalenz erschwert es Individuen, Organisationen und Gesellschaften im Zeitalter des Datenreichtums, informierte Entscheidungen zu treffen. Mit einer einfachen Pro-und-Kontra-Liste wie jener von Charles Darwin werden wir bei vielen Entscheidungen kaum weiterkommen. Im Rückblick betrachtet wurde Darwin mit seiner Entscheidung für die Ehe allerdings tatsächlich glücklich. Er zog nach der Hochzeit mit Emma aufs Land. Das Paar bekam zehn Kinder. Darwin fand trotz väterlicher Pflichten und Verwandtenbesuche ausreichend Zeit, seine Evolutionstheorie zu entwickeln, und er starb 1882 in den Armen seiner Gattin.
II. Das Vorhersage-Paradoxon
Warum wir die Zukunft mit Daten zugleich besser als auch schlechter vorhersagen können
Viele von uns neigen dazu, auf die oft ungenaue Wettervorhersage zu schimpfen. Die Verbreitung von Wetter-Apps auf Smartphones hat diese Unzufriedenheit eher verstärkt, denn sie haben unsere Erwartungshaltung gegenüber der Genauigkeit der Wetterprognosen deutlich erhöht. Die App weiß schließlich genau, wo ich bin, also müsste sie mir viel genauer sagen können, ob es bei mir im Viertel morgen regnet, als dies die TV-Wetterfrau oder der Wettermann vor der Deutschlandkarte kann. Nun arbeiten viele der Apps in der Tat mit zu groben geographischen Rastern. Regional gesammelte Datensätze sind teuer, und das lohnt sich für viele Anbieter nicht. Auch stellen sie ihre Vorhersagen oft missverständlich dar. Auf welchen Zeitraum bezieht sich der Wert »30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit« genau? Unklare Angaben sind ärgerlich. Doch ist für unseren Meteorologie-Frust, grundsätzlich gesehen, weniger die manchmal schwache Prognoseleistung der Meteorologen verantwortlich als eine strukturelle Schwäche des menschlichen Gehirns: Wir haben eine Schwäche für selektive Wahrnehmung.
Wenn wir uns aufgrund einer optimistischen Wetterprognose entscheiden, den Schirm zu Hause zu lassen, und nass werden, dann merken wir uns das. Wenn es wie vorhergesagt nicht regnet, fällt uns das nicht auf. De facto stellt Wettervorhersage ein Musterbeispiel dafür dar, wie bessere numerische Modelle, mehr Daten, schnellere Rechner und neue Methoden des maschinellen Lernens die Fähigkeit erheblich verbessert haben, in die Zukunft zu schauen.
Eine Wettervorhersage für die kommende Woche ist heute in etwa so zuverlässig wie eine Vorhersage aus dem Jahr 1990 für den nächsten Tag. Die 24-Stunden-Vorhersage erreicht heute eine Eintreffgenauigkeit von rund 90 Prozent. Die Zuverlässigkeit für die kommenden drei Tage beträgt rund 75 Prozent. Dabei muss man bedenken, dass es sich hierbei um einen Durchschnittswert handelt. In stabilen Wetterlagen wie bei einem sich kaum verschiebenden Hochdruckgebiet im Winter ist Prognostik naturgemäß deutlich zuverlässiger als bei instabilen Gewitterkonstellationen im Sommer. Gute Wetterprognosen können das durch eine Metaprognose abbilden. Sie berechnen und geben an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Prognose ins Schwarze trifft.
Die Welt am Steuerknüppel
Die Fortschritte in der Prognosesicherheit