können wir Prozesse besser steuern. Weil Prozesse besser steuerbar sind, können wir Ereignisse besser vorhersagen. Und das heißt konkret: Energieversorger können den Energiebedarf ihrer Kunden besser vorhersagen und die Energieproduktion regional vorausschauend anpassen. In China gehen Bauteile per Containerschiff auf ihre Reise zu einem Automobilhersteller in Wolfsburg oder Detroit und kommen nach Wochen wie geplant just in time an, um verbaut zu werden. Der US-Handelsriese Walmart kann seine Liefertrucks spontan nach Florida umleiten, wenn eine Hurrikan-Vorhersage dort Hamsterkäufe prognostiziert. Ein Online-Händler kann mit hoher Genauigkeit vorhersagen, wie viel er in Online-Werbung investieren muss, um den Verkauf eines bestimmten Produkts zu einem bestimmten Preis um einen bestimmten Prozentsatz anzukurbeln. Eine Navigations-App wiederum zeigt uns an, wie viele Minuten wir zu spät kommen werden. Die estimated time of arrival, also die voraussichtliche Ankunftszeit, teilen wir dann denjenigen mit, die uns erwarten, so dass diese die Entscheidung treffen können, ob sie noch schnell einkaufen gehen oder nicht.
Unser Leben im Allgemeinen und wirtschaftliche Abläufe im Besonderen sind dank der Rechenkraft im Zeitalter der Daten im Wortsinn berechenbarer geworden. Und zugleich bewirkt Digitalisierung das genaue Gegenteil. Sie macht die Welt viel unberechenbarer, weil sie die Rahmenbedingungen für ihre Berechnungen destabilisiert. Oder um es mit dem Bild des Zukunftsforschers Nassim Taleb zu sagen: Digitalisierung erhöht die Anzahl der schwarzen Schwäne, der unbekannten Unbekannten, die jedes Prognosemodell ins Leere laufen ließ.
Digitale schwarze Schwäne
Die Zukunft lässt sich aus den Daten der Vergangenheit und Gegenwart nur dann halbwegs zuverlässig vorhersagen, wenn sich nichts grundsätzlich ändert, wenn wir es also mit stabilen Rahmenbedingungen und linearen Entwicklungen zu tun haben. Dies ist bei den Vorhersagen der Meteorologen genauso der Fall (zumindest solange der Klimawandel keine unbekannten Wetterphänomene hervorbringt) wie bei den Stauprognosen auf Google Maps (falls nicht gerade ein Meteorit, den niemand auf der Rechnung hatte, ganze Straßennetze zerstört). Unter stabilen Rahmenbedingungen können Datenwissenschaftler aus guten wie schlechten Vorhersagen der Vergangenheit lernen, können ihre Modelle anpassen, Algorithmen kalibrieren, die Relevanz bestimmter Datenpunkte genauer einordnen und so schrittweise und statistisch eindeutig nachweisbar die Prognosegenauigkeit verbessern.
Zum Wesen der Digitalisierung aber gehört, dass technologische, ökonomische und soziale Schockwellen die berechenbaren Muster und linearen Entwicklungen durchbrechen. Die Zukunft im Zeitalter der prognosestarken Supercomputer wird immer unberechenbarer, weil Supercomputer die Welt auf unvorhersehbare Weise verändern und damit auch die Unsicherheit von Prognosen erhöhen. Doch was heißt das konkret?
Keine Simulation mit Hilfe Künstlicher Intelligenz, angeleitet von einem klugen Expertenteam, kann heute seriös vorhersagen, ob die Automatisierung von Wissensarbeit durch Künstliche Intelligenz die Arbeitslosigkeit erhöht oder ob KI unter dem Strich mehr Arbeit für Menschen schafft, weil diese künftig ihr volles kreatives Potential entfalten können und damit deutlich produktiver werden.
Besonders eindrücklich lässt sich das Phänomen der erhöhten Unsicherheit wegen zunehmender Digitalisierung und Datafizierung an den Börsen beobachten. Keine andere Branche zieht mehr analytische Talente und Nerds an und zahlt quantitativen Ökonomen, Mathematikern und Datenwissenschaftlern mehr Gehalt in der Hoffnung, dass sie bessere Prognosen liefern, auf deren Grundlage erfolgreichere Investitionsentscheidungen getroffen werden können. Derweil hat die Digitalisierung unter anderem den Hochfrequenzhandel geschaffen, in denen Computeragenten in Millisekunden Aktien, Optionen, Futures und jede andere finanzielle Assetklasse kaufen, verkaufen, hedgen oder auf andere Weise optionieren. Die Agenten wiederum reagieren auf die Transaktionen der Konkurrenzagenten in Millisekunden. Dies geschieht zwar in der Regel auf Grundlage rationaler Programmroutinen. Doch die Komplexität und damit die Unsicherheit im System des Geld-mit-Geld-Verdienens hat dabei in einem Maße zugenommen, dass vermeintlicher Zugewinn an Berechenbarkeit ins Gegenteil gekehrt wird. Auch die Armee der Wallstreet- und City-of-London-Quants mit Einstiegsgehältern von oft mehr als einer halben Million Dollar schafft es nicht, Börsenkurse ausreichend zuverlässig vorherzusagen. Man könnte es auch so formulieren: Es gelingt ihnen nicht, die Grenze von Komplexität in Richtung eines komplizierten Systems zu verschieben.
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