Arthur Conan Doyle

Die Rückkehr des Sherlock Holmes


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gesetzliche Art geschehen.«

      »Nun, das klingt vernünftig genug«, sagte Lestrade. »Sie haben weiter nichts zu sagen, Mr. Holmes, bevor wir gehen?«

      Holmes hatte das starke Luftgewehr vom Boden aufgehoben und untersuchte jetzt seinen Mechanismus.

      »Eine staunenswerte und einmalige Waffe«, sagte er, »geräuschlos und von gewaltiger Kraft. Der blinde deutsche Mechaniker von Herder7, der sie auf Geheiß des verblichenen Professor Moriarty konstruierte, ist mir bekannt. Jahrelang war ich mir ihrer Existenz bewußt, obgleich ich nie zuvor die Gelegenheit hatte, sie zu handhaben. Ich empfehle sie sehr Ihrer Aufmerksamkeit, Lestrade, und ebenfalls die Kugeln, die zu ihr passen.«

      »Sie können sich darauf verlassen, daß wir dies untersuchen, Mr. Holmes«, sagte Lestrade, während sich die ganze Gesellschaft auf die Tür zu bewegte. »Gibt es sonst noch etwas zu sagen?«

      »Nur die Frage, welche Anklage Sie vorzuziehen beabsichtigen?«

      »Welche Anklage, Sir? Nun, selbstverständlich den versuchten Mord an Sherlock Holmes.«

      »Nicht doch, Lestrade. Ich habe nicht vor, in dieser Angelegenheit überhaupt zu figurieren. Ihnen und einzig Ihnen gebührt das Verdienst der bemerkenswerten Verhaftung, die Sie erzielt haben. Ja, Lestrade, ich gratuliere Ihnen! Mit der Ihnen eigenen glücklichen Mischung aus Schlauheit und Wagemut haben Sie ihn erwischt.«

      »Ihn erwischt! Wen erwischt, Mr. Holmes?«

      »Den Mann, den die gesamte Polizei vergeblich suchte – Colonel Sebastian Moran, der am dreißigsten vorigen Monats den Ehrenwerten Ronald Adair mit einem Mantelgeschoß aus einem Luftgewehr durch das offene Vorderfenster im zweiten Stock des Hauses Park Lane No. 427 erschossen hat. So lautet die Anklage, Lestrade. Und nun, Watson, falls Sie den Zug von einem zerbrochenen Fenster vertragen können, denke ich, eine halbe Stunde in meinem Arbeitszimmer bei einer Zigarre könnte Ihnen eine nützliche Unterhaltung bieten.«

      Unsere alten Gemächer waren unter der Aufsicht von Mycroft Holmes und der unmittelbaren Fürsorge von Mrs. Hudson unverändert geblieben. Beim Eintreten bemerkte ich freilich eine ungewohnte Sauberkeit, doch waren die alten Wahrzeichen noch alle an ihrem Platz: die Chemie-Ecke und der säurebefleckte Brettertisch. In einem Regal stand eine Reihe beeindruckender Sammelalben und Nachschlagewerke, die so mancher unserer Mitbürger mit dem größten Vergnügen verbrannt hätte. Die Diagramme, der Geigenkasten und der Pfeifenständer – selbst der persische Pantoffel, der den Tabak beherbergte – alles fiel mir in die Augen, als ich mich umblickte. Zwei Bewohner befanden sich in dem Zimmer: einmal Mrs. Hudson, die uns beim Eintreten freudestrahlend ansah – zum andern die seltsame Attrappe, die bei den Abenteuern dieses Abends eine so wichtige Rolle gespielt hatte. Es war ein wachsfarbenes Modell meines Freundes, so vortrefflich gearbeitet, daß es ein vollkommenes Abbild darstellte. Es stand auf einem kleinen Sockeltisch und war mit einem alten Morgenmantel von Holmes so drapiert, daß die Täuschung von der Straße aus absolut perfekt war.

      »Ich hoffe, Sie haben alle Vorsichtsmaßregeln beachtet, Mrs. Hudson?« sagte Holmes.

      »Ich bin auf den Knien hingekrochen, Sir, genau wie Sie mir gesagt haben.«

      »Ausgezeichnet. Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht. Haben Sie beobachtet, wo die Kugel eingeschlagen ist?«

      »Ja, Sir. Ich fürchte, sie hat Ihre schöne Büste ruiniert, denn sie ging mitten durch den Kopf und schlug sich dann an der Wand platt. Ich habe sie vom Teppich aufgelesen. Hier ist sie!«

      Holmes hielt sie mir hin. »Eine weiche Revolverkugel, wie Sie sehen, Watson. Das zeugt von Talent, denn wer erwartet schon, dergleichen aus einem Luftgewehr abgeschossen zu sehen? Sehr schön, Mrs. Hudson. Ich bin Ihnen für Ihre Hilfe sehr verpflichtet. Und nun, Watson, seien Sie so gut und setzen sich noch einmal in Ihren alten Sessel, denn da sind mehrere Punkte, die ich mit Ihnen erörtern möchte.«

      Er hatte den schäbigen Gehrock abgeworfen und war nun wieder ganz der alte Holmes im mausfarbenen Morgenmantel, den er seinem Ebenbild ausgezogen hatte.

      »Die Nerven des alten shikari haben ihre Ruhe nicht verloren, und seine Augen nicht ihre Schärfe«, sagte er lachend, als er die zerschmetterte Stirn seiner Büste untersuchte.

      »Genau mitten in den Hinterkopf und geradewegs durchs Gehirn. Er war der beste Schütze Indiens, und ich nehme an, in London gibt's kaum bessere. Haben Sie seinen Namen schon einmal gehört?«

      »Nein, das habe ich nicht.«

      »Nun, nun, so geht's mit dem Ruhm! Andererseits aber hatten Sie, wenn ich mich recht erinnere, den Namen von Professor Moriarty auch noch nie gehört, und der war einer der größten Köpfe unseres Jahrhunderts. Reichen Sie mir doch bitte einmal das Biographienverzeichnis aus dem Regal.«

      Er blätterte müßig die Seiten um, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und blies mächtige Rauchwolken aus seiner Zigarre.

      »Meine M-Sammlung ist vorzüglich«, sagte er. »Moriarty allein reicht schon, um jeden Buchstaben auszuzeichnen; und hier haben wir Morgan, den Giftmörder, und Merridew gräßlichen Gedenkens, und Mathews, der mir im Wartesaal in Charing Cross den linken Eckzahn ausgeschlagen hat, und schließlich unseren Freund von heut nacht.«

      Er übergab mir das Buch, und ich las:

      Moran, Sebastian, Colonel. Unbeschäftigt. Ehemals bei den 1. Bangalore-Pionieren. Geboren 1840 in London. Sohn von Sir Augustus Moran, C.B.8, dem ehemaligen britischen Gesandten in Persien. Schulbesuch in Eton und Oxford. Diente bei den Jowaki- und Afghanistan-Feldzügen in Charasiab (Depeschen), Sherpur und Kabul9. Verfasser von Großwild im westlichen Himalaya (1881); Drei Monate im Dschungel (1884). Anschrift: Conduit Street. Clubs: Anglo- Indian, Tankerville, Bagatelle Card Club.

      Am Rand stand in Holmes' deutlicher Handschrift: Der zweitgefährlichste Mann Londons10.

      »Das ist erstaunlich«, sagte ich, als ich ihm den Band zurückgab. »Die Karriere dieses Mannes ist die eines ehrenhaften Soldaten.«

      »Wohl wahr«, antwortete Holmes. »Bis zu einem gewissen Punkt hielt er sich gut. Er war immer ein Mann mit eisernen Nerven, und in Indien hört man noch immer die Geschichte, wie er einem verwundeten menschenfressenden Tiger in ein Kanalisationsrohr nachgekrochen ist. Es gibt gewisse Bäume, Watson, die bis zu einer bestimmten Höhe wachsen, um dann plötzlich eine unansehnliche Exzentrizität zu entwickeln. Auch bei Menschen werden Sie das oft beobachten. Ich habe eine Theorie, nach der das Individuum im Verlauf seiner Entwicklung die ganze Reihe seiner Vorfahren durchlebt, und solch ein plötzlicher Umschwung zum Guten oder Bösen beruht demnach auf irgendeinem starken Einfluß, der in der Reihe seiner Ahnen tätig war. Der Mensch wird gleichsam zum Inbegriff der Geschichte seiner Familie.«

      »Freilich überaus phantastisch.«

      »Nun, ich bestehe nicht darauf. Aus welchem Grund auch immer: Colonel Moran begann auf Abwege zu geraten. Ohne jeden offenen Skandal brachte er Indien doch zu sehr in Rage, als daß man ihn hätte halten können. Er trat in den Ruhestand, kam nach London und machte sich wieder einen üblen Namen. Zu dieser Zeit wurde er von Professor Moriarty aufgespürt, dessen Stabschef er eine Zeitlang war. Moriarty versorgte ihn großzügig mit Geld und benutzte ihn nur für ein oder zwei hochwertige Aufträge, die kein gewöhnlicher Krimineller hätte ausführen können. Sie erinnern sich vielleicht an den Tod von Mrs. Stewart aus Lauder, im Jahre 1887. Nicht? Nun, ich bin sicher, daß Moran dahintersteckte, doch war ihm nichts nachzuweisen. Die Rolle des Colonel wurde so klug verheimlicht, daß wir ihn selbst dann nicht belasten konnten, als die Moriarty-Bande gesprengt war. Wissen Sie noch, wie ich damals, als ich Sie in Ihren Zimmern aufsuchte, aus Angst vor Luftgewehren die Läden geschlossen habe? Zweifellos haben Sie mich da für einen Phantasten gehalten. Doch ich wußte genau, was ich tat, da ich von der Existenz dieses bemerkenswerten Gewehrs wußte, und ich wußte auch, daß einer der besten Schützen der Welt dahinterstünde. Als wir in der Schweiz waren, verfolgte er uns zusammen mit Moriarty, und zweifellos war er es, der mir jene bösen fünf Minuten auf dem Vorsprung über dem Reichenbach-Fall bescherte.

      Sie können sich denken, daß ich während