für sie sorgen werde.« Dabei dachte Grit: Ich werde sie so lieb haben wie eine eigene Tochter. Doch das sprach sie nicht aus. Seit dem Besuch in Sophienlust wusste sie, dass David keine Kinder mochte und ein kleines Mädchen, das behindert war, schon gar nicht.
David zwang sich zu einem Lächeln. Scheinbar liebevoll legte er den Arm um Grit, wagte es aber nicht, ihr in die Augen zu sehen. »Wenn Anja ein normales Kind wäre, könnte ich dich ja noch verstehen. Aber wer in aller Welt wird sich mit einem Krüppel befassen?«
»Anja ist ein normales Kind«, widersprach Grit leidenschaftlich. »Sie hat Furchtbares erlebt und braucht deshalb mehr Liebe und Verständnis als andere kleine Mädchen. Frau Dr. Frey ist überzeugt, dass Anjas Fähigkeit zu sprechen zurückkehren wird.«
David schüttelte den Kopf. »Frau Dr. Frey spricht für die Interessen des Kinderheims, das ist doch ganz klar. Und dort ist man natürlich darauf bedacht, Anja so rasch wie möglich loszuwerden.«
»Das ist nicht wahr! In Sophienlust hat man das Kind gern. Sonst hätte man meinem Wunsch, Anja sofort mitzunehmen, doch nicht widersprochen.«
»Alles Taktik. Und du fällst darauf herein. Eigentlich hätte ich dich für klüger gehalten, Grit.« David grinste verächtlich.
»Ich muss mich um Anja kümmern. Es ist meine Pflicht.« Ängstlich sah die junge Frau den geliebten Mann an. Eigentlich hatte es zuvor nie Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gegeben. Doch seit diesem Unglück wusste Grit, dass David herzlos sein konnte. War es vielleicht doch nicht die große Liebe, an die sie zuvor so fest geglaubt hatte?
»Du redest dir etwas ein, was überhaupt nicht stimmt. Du hast keinerlei Verpflichtung deiner Nichte gegenüber«, sagte David sehr bestimmt. »Du bist erst zweiundzwanzig, und niemand kann dir die Sorge um das Kind zumuten. Ich an deiner Stelle würde die Vermögensverwaltung beantragen und Anja selbst in ein Heim für behinderte Kinder geben.«
»In ein Heim für behinderte Kinder?«, wiederholte Grit entsetzt. Ruckartig befreite sie sich aus Davids Armen und sah ihn befremdet an. War das wirklich der Mann, den sie so selbstlos, so abgöttisch liebte?
»Es ist vielleicht schockierend für dich, aber ich bin sicher, dass man Anja in keinem anderen Kinderheim aufnehmen wird.«
»Aber sie ist doch normal begabt. Sie wird wieder sprechen lernen. Und wenn ich mit ihr die Fachärzte ganz Europas konsultieren muss.« Wilde Entschlossenheit sprach aus Grits wundervollen blauen Augen.
»Überlege, was das kostet.« David griff sich an den Kopf.
»Was spielt das für eine Rolle? Anja ist reich. Und wenn die Arztkosten ihr ganzes Vermögen verschlingen sollten, ich werde nicht ruhen, ehe dem Kind geholfen ist.«
David Danner sah ein, dass er Grit auf diese Weise nicht beikam. Sie war von ihrer fixen Idee besessen und würde nicht aufgeben.
»Und wie stellst du dir unsere Ehe vor?«, fragte er und verlegte sich nun aufs Schmeicheln. »Ich möchte allein mit dir sein, wenigstens die erste Zeit. Hast du nicht selbst gesagt, dass wir unsere Flitterwochen endlos ausdehnen wollen?«
»Aber damals wusste ich noch nicht, welches Unglück meinem armen Bruder zustoßen würde.« Tränen glänzten in Grits Augen.
»Gut. Die Sache mit deinem Bruder ist bedauerlich, aber wir selbst sind doch nicht davon betroffen. Wir sollten uns das Leben nicht unnötig erschweren, Grit. Wir wollen für unsere Liebe leben. Einverstanden?« David umarmte seine Braut und hauchte einen zärtlichen Kuss auf deren Wange.
»Wir dürfen uns der Verantwortung nicht entziehen. Anja wird uns nicht stören. Sie ist ein so liebes, ruhiges Kind. Vielleicht wird sie unser Glück sogar noch vergrößern.«
»Das ist eine seltsame Logik. Ich glaube, Grit, du bist noch zu unerfahren, um zu wissen, dass Kinder nur Ärger und Arbeit machen. Wenn du mich liebst, schlage dir die dummen Gedanken aus dem Kopf.«
Liebevoll strich David Grits Haare zurück. Seine Berührung war so weich und sanft, dass es Grit wirklich schwerfiel, an seinen Egoismus zu glauben. »Ich liebe dich, David«, flüsterte sie.
»Na also. Ich wusste es doch«, brummte er zufrieden. Er schlang seine Arme inniger um Grits schlanken Körper und küsste sie stürmisch.
*
Nick gab Waldi einen kleinen Stoß. Endlich lief der Hund in die angegebene Richtung. Doch er bellte dabei nicht böse, sondern wedelte freundlich mit dem Schwanz.
»Hat man schon einmal so einen dummen Hund gesehen?«, brummte Nick ärgerlich. Mit dem ausgestreckten Arm gab er seinen Freunden ein Zeichen. Der Angriff konnte beginnen.
Mit schauerlichem Indianergeheul lief Nick auf den Waldrand zu. Pünktchen und Angelika rannten hinter ihm und grölten aus vollem Hals. Die Angst gab ihren Stimmen ungeahnte Kraft.
Auch Irmela brach nun mit ihrer kleinen Mannschaft durch das Gebüsch. Sie hatte die Trillerpfeife zwischen den Lippen. Die Töne, die sie darauf erzeugte, waren so laut und kräftig, dass sie den Konkurrenzkampf mit einer Polizeisirene hätte aufnehmen können. Fabian schwang schreiend seinen Prügel, und Frank brüllte sich heiser.
Noch bevor Waldi den Waldrand erreicht hatte, traten drei dunkle Gestalten auf den Weg.
Nick rannte, als ginge es um sein Leben. In Gedanken hörte er schon das Lob, das man ihm und seinen Kameraden aussprechen würde. Doch dann war auch er den vermeintlichen Dieben so nahe gekommen, dass er erkennen konnte, dass es sich nicht um Verbrecher, sondern um seinen Vati und zwei seiner Knechte handelte.
Nick bekam heiße Ohren und wurde glühend rot. Doch das konnte zum Glück niemand sehen. Deshalb also hatte sich Waldi so sonderbar betragen!
Schlagartig verstummte Nicks Geschrei. Irmela fiel vor Schreck die Pfeife aus dem Mund. Fabian ließ seinen Stock sinken, und Angelika stöhnte: »Au Backe!« Pünktchen hätte sich am liebsten ihre Pullis weit über den Kopf gezogen. Doch auch das hätte ihr jetzt nichts mehr genützt.
»Mann, o Mann, waren wir blöd«, flüsterte Frank.
Nick sank ganz in sich zusammen. »Vati, du? Wir …, wir wollten …, wir dachten … Es sollte eine Überraschung für dich sein.«
»Die ist euch auch voll und ganz geglückt. Wenn die Diebe tatsächlich in der Nähe waren, sind sie jetzt mit Sicherheit verschwunden.«
Alexander von Schoenecker war richtig ärgerlich.
»Habt ihr auch auf die Pferdediebe gewartet?«, erkundigte sich Nick zerknirscht.
»Was glaubst du, weshalb wir uns bei Nacht im Wald verstecken?« Alexander unterdrückte einen Seufzer. Durch Nicks Übereifer war die Chance, Florina und Farka zurückzubekommen, nun vielleicht endgültig vertan. Wenn die Diebe wussten, dass man ihnen auflauerte, würden sie wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen.
»Und jetzt haben wir alles verdorben.« Pünktchen ließ traurig den Kopf hängen.
»Wir haben es doch nur gut gemeint«, versuchte Fabian die Kameraden zu verteidigen.
»Bitte, nicht böse sein«, flüsterte Angelika, die noch immer am ganzen Körper zitterte.
Alexander von Schoenecker sah auf die zerknirschte kleine Schar. Ein wohlwollendes Lächeln umspielte seine Lippen. Nein, er konnte den Kindern tatsächlich nicht böse sein.
»Hätte Waldi uns nicht erkannt, wäret ihr wahrscheinlich mit Stöcken auf uns losgegangen. Wir haben Glück gehabt.« Alexander schmunzelte.
»Nein, Vati, ganz bestimmt nicht.« Am liebsten hätte sich Nick in die Arme seines Stiefvaters geworfen, um sich an seiner Brust auszuweinen. Doch bei so vielen Zuschauern konnte er das natürlich nicht tun.
»Weiß Frau Rennert eigentlich von eurem nächtlichen Ausflug?«
Sechs Kinder schüttelten wie auf Kommando den Kopf. »Bitte, erzählen Sie ihr nichts«, flehte Frank.
»Bitte, Onkel Alexander«, schaltete sich nun Pünktchen ein,