Madeleine Puljic

Flammen des Sommers


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hatte nicht riskieren wollen, auch noch ihr letztes Flügelvieh an den gefräßigen Drachen zu verlieren, also hatte sie Trudi im Haus Asyl gewährt. Dass das Huhn einen Namen bekommen hatte, war irgendwie nebenbei passiert. Aber wer einen Drachenangriff überlebte, hatte sich Daenas Meinung nach einen Namen verdient.

      Sämtliche Gedanken über Trudi und ihre eigenen Sorgen waren wie weggeblasen, sobald sie die Tür öffnete und sah, was sie dort draußen erwartete: ein peinlich berührter Magier, ein vor Stolz zappelnder Jungdrache … und ein verkohlter Haufen Fleisch.

      Sie hätte das Halsband nicht gebraucht, um zu erkennen, was Lrartsnjok da erlegt hatte. Der Kopf des Kadavers war ihr zugewandt, und die durch das Feuer verzerrten Gesichtsmuskeln des Tieres gaben den Blick auf das Gebiss frei. Ein Gebiss, das eindeutig zu raubtierhaft war, um irgendetwas zu gehören, das Daena als essbar tituliert hätte.

      Größe und Halsband legten darüber hinaus eine eindeutige Identität nahe: Revas, die alte, zottelige Hündin des Schusters, die beinahe blind gewesen war und fast noch schwerhöriger als ihr Herrchen. Jetzt hatte der Schuster in dieser Hinsicht wohl keine Konkurrenz mehr.

      Daena fühlte den Zorn in sich aufsteigen. Gut. Mit Wut konnte sie die Welt konfrontieren. Anklagend zeigte sie auf Berekh. »Du«, rief sie, »bekommst dieses Untier unter Kontrolle, oder es setzt etwas!«

      Sie hatte gerade noch Zeit, Lrartsnjoks betroffenen Ausdruck zu sehen. Dann legte sich der Wind, der Daena bis dahin davor bewahrt hatte, zu riechen, was von Revas übrig geblieben war. In ihr brodelte Übelkeit hoch. Zitternd warf sie die Tür wieder ins Schloss und lehnte sich gegen das Holz, das sich unangenehm warm in ihrem Rücken anfühlte.

      Sie bezwang den Brechreiz.

      Den Kampf gegen die Tränen verlor sie. Stumm und heiß brannten sie sich aus ihr heraus.

      ***

      »Ich habe den Hund begraben.«

      Berekhs Stimme klang erstaunlich kleinlaut. Trotzdem brachte Daena es nicht über sich, sich zu ihm umzuwenden. Ihr Zorn war verraucht, doch die Tränen hatten sie leer und matt zurückgelassen. Sie fühlte sich erschöpft, als hätte sie gerade eine Schlacht geschlagen – und dabei verloren.

      Oder wie nach einem Tag in den Minen, flüsterte die verhasste Stimme in ihr.

      Ihre Hand, die bisher beständig den Kochlöffel im Topf gerührt hatte – Gemüsesuppe; nichts, das auch nur entfernt nach Fleisch aussah – erstarrte mitten in der Bewegung. Mühsam zwang sie das Bild zurück in die Vergangenheit und konzentrierte sich auf den Sonnenschein, der durch das Fenster und auf ihre Haut fiel.

      Schließlich nickte sie, den Blick weiterhin in den Suppentopf gerichtet.

      »Er wird nicht sehr erfreut darüber sein, dass du sein Essen vergräbst.« Sie schaffte es, das Beben aus ihrer Stimme herauszuhalten.

      »Eigentlich …« Der Zauberer wurde noch leiser. »Eigentlich hat er für dich gejagt. Er wollte dich beeindrucken.«

      Daena seufzte. Auch das noch. Jetzt war es ihre Schuld, dass niemand diesem Biest jemals erklärt hatte, was geeignete Beute war und was er besser nicht anrühren sollte?

      »Es kommt nicht wieder vor, versprochen.«

      Berekhs Stimme klang näher. Unwillkürlich fingen ihre Hände an zu zittern. Daena straffte die Schultern und begann erneut zu rühren.

      »Es war Revas, ist dir das bewusst?«

      Einige Atemzüge lang herrschte Schweigen hinter ihr. Dann: »Ich gehe und sage es dem Schuster.«

      Jetzt wandte Daena sich doch um und sah ihren Mann mit dem Blick an, den er in so einer Situation verdiente. »Ich gehe.«

      Ihr Name war im Dorf weniger bekannt als der seine, an Berekhs Wirkung auf Menschen konnte das jedoch kaum etwas ändern. Sie mochten ihn respektieren, aber er war und blieb ihnen unheimlich. Und sie konnte es ihnen nicht verdenken, wenn sie in seine Augen sah, die ihr magisches Glühen nicht verloren hatten. Auf Außenstehende wirkte es befremdlich, ohne dass sie einen genauen Grund hätten benennen können. Doch Daena kannte ihn besser. Wie in seiner Zeit als Totenschädel verriet es ihr seine tiefsten Emotionen, selbst wenn er seine Gesichtszüge unter Kontrolle hatte.

      So sah sie auch jetzt das rote Feuer, das sich mit dem Grün seiner Augen mischte, und erkannte den Schmerz hinter der ernsten Miene. Etwa eine Sekunde lang, ehe seine Hand über ihre zweifellos immer noch geröteten Augen strich und seine Arme sie tröstend umschlossen. Er konnte ihre Gefühle ebensogut erahnen wie sie die seinen.

      »Ich versuche gerade, böse auf dich zu sein«, murrte sie gegen seine Brust.

      »Dann lass es doch bleiben.«

      Als Antwort kniff Daena ihm in die Seiten, bis er lachend ihre Hände fing. Er musste ein wenig in die Knie gehen, um seine Stirn an ihre legen zu können, weil er sich weigerte, seine Umarmung zu lösen. Doch die Mühe schien es wert zu sein. Das Glühen in seinen Augen erlosch.

      ***

      Sie war nach dem Mittagessen aufgebrochen. Zu Fuß, da ihr das weniger aufwändig erschien, als ihren Ackergaul so weit zu putzen, dass man ihn ohne Bedenken reiten konnte. Der befand sich gerade im vorsommerlichen Fellwechsel und haarte, was das Zeug hielt. Was er kompensierte, indem er sich in etwa die gleiche Menge Dreck wieder ins Fell einrubbelte.

      Daena besaß nicht genügend Kleider, um es sich leisten zu können, sie durch so einen Ritt zu ruinieren. Und keinesfalls würde sie sich in Hosen im Dorf blicken lassen. Außerdem war der Weg nicht weit.

      Aber das Gespräch mit dem Schuster war schwieriger verlaufen, als sie erwartet hatte.

      Anfangs hatte er sie nicht richtig verstanden, obwohl sie aus voller Lunge gebrüllt hatte. Ständig wollte er ihr die Füße für neue Schuhe vermessen – rund und rot, wobei Daena keine Vorstellung davon hatte, wie runde Schuhe aussehen sollten. Er beschwichtigte sie jedoch, dass er das schon machen würde.

      Erst als sie schon dachte, bald hätte das ganze Dorf gehört, dass sein Hund tot war, begriff der alte Mann endlich, was sie ihm entgegenschrie. Er brach zusammen. Unter Schluchzen wollte er wissen, was denn geschehen sei, und Daena hatte Mühe, an der Geschichte festzuhalten, die sie sich so sorgfältig zurechtgelegt gehabt hatte. Immerhin konnte sie schlecht die Wahrheit erzählen. Bestimmt hatte Jusek bereits herumposaunt, was ihm in der Hütte des Heilers begegnet war. Gerade deshalb brauchte niemand auch noch das Detail zu erfahren, dass eben dieser Drache in den Haustierbeständen wilderte.

      Also schilderte sie so überzeugend wie möglich, dass Revas wohl etwas Falsches gefressen hatte und Berekh sie gefunden hatte. Held, der er war, hatte dieser natürlich versucht, das Tier zu retten, aber alle Mühe war vergebens gewesen. Der Zustand des armen Hundes war leider nicht mehr besonders ansehnlich gewesen, weshalb sie ihn in allen Ehren bestattet hatten.

      Daena fand, dass sie den schmalen Grat zwischen rücksichtsvoll allgemein gehaltener Auskunft und gerade genügend Ausschmückung, um die Erzählung glaubhaft zu machen, fast ohne Ausrutscher meisterte. Von den Maden hätte sie vielleicht nichts sagen sollen, aber der Schuster hing nun einmal sehr an seiner langjährigen Begleiterin und wollte sie unbedingt bei seinem eigenen Haus begraben. Davon sah er nach dieser Erwähnung ab.

      Die folgenden Stunden brachte Daena damit zu, den armen Mann zu trösten und sich Anekdoten aus Revas’ jungen Jahren anzuhören. Als der Schuster die Flasche mit Obstbrand endgültig geleert hatte, die zwischenzeitlich auf dem Tisch erschienen war, hatte er bereits zum mindestens zwölften Mal seufzend erzählt, dass sie eben schon immer ein neugieriges Tier gewesen war. Nie hatte sie die Schnauze voll bekommen, es hatte ja einmal so enden müssen mit ihr. Dann rülpste er noch einmal und knallte mit dem Kopf auf den Tisch.

      Daena vergewisserte sich rasch, dass er unverletzt war und sein Schnarchen in regelmäßigen Abständen kam. Dann löschte sie die Kerze, die schon gefährlich weit heruntergebrannt war. Erst da bemerkte Daena die Dämmerung, die durch das Fenster gekrochen kam. Sie hätte doch das Pferd nehmen sollen.

      Während sie