Madeleine Puljic

Flammen des Sommers


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sie Lrartsnjok verpassen konnte – Drachennamen konnte schließlich kein Mensch aussprechen. Allerdings dachte sie dabei weniger an eine Koseform. Mistdrache und Fresssack waren ihre Favoriten.

      Bis sie die Hügelkuppe erreicht hatte, war es bereits endgültig Nacht geworden, und ihre Sinne begannen, Alarm zu läuten. Unter sich konnte sie das Haus ausmachen.

      Es war dunkel.

      Im Hof leuchteten immer wieder einzelne Flammen auf. Sie erhellten einen verzweifelten Jungdrachen, der mit jedem Schniefen kleine Feuerwolken ausstieß.

      So schnell ihre Beine sie trugen, stürzte Daena den Hang hinab.

      »Was ist passiert?«, rief sie schon auf halbem Weg.

      Doch Lrartsnjok schüttelte nur den eckigen Kopf.

      »Wo ist Berekh?«, fuhr sie den Drachen an, sobald sie vor ihm stand. Am Liebsten hätte sie ihn gepackt und gerüttelt, aber dazu war er bedauerlicherweise ein wenig zu groß geraten.

      Mit zitternder Kralle deutete Lrartsnjok irgendwo nach rechts. Daena starrte in die Dunkelheit, konnte aber nichts erkennen.

      »In den Wald?«, hakte sie nach.

      Erneut war ein Kopfschütteln die Antwort. »Er hat gesagt, er ist gleich wieder da«, wimmerte der Drache. »Aber er ist überhaupt nicht gleich wieder da, er ist doch sofort nach dir weg!«

      »Wohin?« Die Angst schnürte ihr mittlerweile fast die Kehle zu, doch das minderte nicht ihre Lautstärke.

      »Durch ein rundes Ding in der Luft …«

      Daena stutzte. Berekh hatte ein Portal geöffnet? Wozu? Und wieso hatte er ihr nichts davon gesagt, wenn er doch gleich nach ihr aufgebrochen war?

      Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. Mit aller Eindringlichkeit fragte sie: »Was hast du in diesem Ding gesehen? Eine Landschaft? Ein Zimmer?«

      Hinter den Schlieren und Wirbeln, die alles war, was jemand wie sie in einem Portal erkennen konnte, erhaschten Magiebegabte oft einen Blick auf das andere Ende der Verbindung. Und ein Drache galt doch sicher als magisches Wesen, oder nicht?

      Lrartsnjok blinzelte verdutzt. Ein konzentrierter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. »Eine … Straße … Heißt das so? Viele Häuser links und rechts mit bunten Fenstern und Bildern an den Wänden. Sachen, die sich von allein bewegen. Oh, und leuchtende Dinger in den Bäumen!«

      Daena fluchte. Sie kannte nur einen Ort, auf den diese Beschreibung zutraf: Liannon, die Stadt der Magier. Und die schwebte hoch über ihren Köpfen. Irgendwo zwischen Saris im Süden und Zlaival im Norden, vielleicht sogar jenseits der ihr bekannten Welt. Sie könnte sich allerdings auch genauso gut in einer anderen Dimension befinden, soweit es Daena betraf.

      Denn ohne Magie führte kein Weg dorthin.

2. Kapitel

      Ewas hatte sich verändert, seit Berehk das letzte Mal hier gewesen war. Die Straßen waren noch dieselben, auch die feindseligen Blicke unterschieden sich nicht von jenen, mit denen man ihn bei früheren Besuchen bedacht hatte. Trotzdem spürte er, dass etwas ganz und gar nicht stimmte in Liannon.

      Der Fluss der Magie fühlte sich unnatürlich an, so als würde er in Bahnen gelenkt, für die er nie bestimmt gewesen war. Die Haare an seinen Armen stellten sich auf davon, aber er ließ sich sein Unwohlsein nicht anmerken.

      Einmal mehr schlüpfte Berekh in die Rolle des gefürchteten Zauberers und ging erhobenen Hauptes seines Weges. Er tat, als beachtete er die Menschen nicht, stellte sich taub für die Kommentare, die seine unpassende Kleidung provozierte. War das tatsächlich alles, was die anderen Magier so irritierte? Von Zeit zu Zeit hörte er, wie sie die Namen Schlächter und Rinnval flüsterten. Einmal war ihm sogar, als hätte jemand ihn als ein Monstrum bezeichnet. Auch das war nicht neu.

      Erst auf dem leeren Platz vor der Bibliothek erkannte Berekh das wahre Ausmaß der Veränderung, die in seiner Abwesenheit stattgefunden hatte: Yiryat, der katzengesichtige Drachenartige, der seit Jahrhunderten den Eingang dieses Wissenszentrums bewacht hatte und dem Berekh sich mehr verbunden fühlte als jedem menschlichen Bewohner Liannons, saß nicht auf seinem Podest. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass Yiryat sich auch nicht auf der Wiese des angrenzenden Parks sonnte.

      Einmal darauf aufmerksam geworden, genügte ein mentales Abtasten, um seinen Verdacht zu bestätigen. Der Tatzelwurm befand sich nicht in der Stadt. Und auch sonst war kein einziges mythisches Wesen hier. Nicht einmal ein Irrlicht konnte er aufspüren, obwohl sie normalerweise die Labore in großer Zahl bevölkerten, angezogen von der magiegeladenen Atmosphäre, die dort herrschte.

      Das Murmeln hinter Berekh wurde lauter. Beim Anblick des verlassenen Podests hatte er unbewusst innegehalten – die Menge in seinem Rücken jedoch nicht. Allmählich schloss sie zu ihm auf. Mit einem Mal kam er sich ganz und gar nicht mehr wie der gefürchtete Schlächter vor. Er fühlte sich verfolgt.

      Berekh versuchte, das Gefühl der Bedrohung abzuschütteln, das ihn allmählich beschlich, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. Mit schnellen Schritten, von denen er hoffte, dass sie entschlossen wirkten, legte er den verbleibenden Weg zur Bibliothek zurück.

      Er zwängte sich sich durch das schwere Doppelflügeltor. Als das Tor hinter ihm zufiel und ihn in der staubigen Stille der Bücherhallen einschloss, atmete Berekh tief durch. Was stimmte hier nicht? Wieso sollte er sich von ein paar halbstarken Zauberern einschüchtern lassen? Ausgerechnet er? Wenn er wollte, könnte er vermutlich diese ganze dekadente Stadt dem Erdboden gleichmachen, und das im Alleingang. Aber gerade das machte ihr Verhalten so unheimlich.

      Wie ein Schwarm Hornissen, der sich bereit für einen Angriff machte.

      Was für ein Unsinn, schalt er sich selbst. Er war einer von ihnen. Außerdem war er nur hier, um Informationen auszutauschen, sonst nichts. Ein kurzes Gespräch, und er konnte wieder gehen. Den Rat der Arkanen vor einer möglichen Aktion der Nekromanten warnen und herausfinden, ob sie etwas über deren Verbleib wussten, das war alles.

      Vor dem Abendessen würde er wieder zu Hause sein.

      ***

      Der Ältestenrat der Arkanmagier glänzte durch Abwesenheit. Von den dreizehn Ältesten, die traditionsgemäß den Vorsitz der Magiergilde bildeten, fand Berekh gerade einmal vier in der Bibliothek vor. Bei zweien hatte er sich nicht einmal während der Schlacht bei Rinnval die Mühe gemacht, ihre Namen im Gedächtnis zu behalten, die Dritte verachtete er. Also richtete er seine Aufmerksamkeit direkt auf Tosalar, dem er immerhin ein Mindestmaß an Respekt entgegenbrachte.

      Das allerdings nicht erwidert zu werden schien.

      Der weißhaarige Zauberer fuhr von seinem Pult auf, sobald Berekh durch den Torbogen in den Ratssaal trat. »Was willst du schon wieder hier, In’Jaat?«, fragte er unwirsch.

      Berekh grinste. »Immer wieder herzerwärmend, welch freundlicher Empfang einem hier bereitet wird. Ihr rührt mich. Ich hätte nicht gedacht, dass ich euch so fehlen würde.«

      Interessant, dachte er und platzierte sich mit einer geringschätzigen Gebärde quer über die gepolsterten Armlehnen eines Lesesessels. Da hatte er geglaubt, innerlich endlich zur Ruhe gekommen zu sein, und dabei genoss er diese Machtspiele der Gilde wie eh und je. Mancher Dinge wurde man eben doch niemals müde.

      »Spar dir deine Unhöflichkeiten«, entgegnete Tosalar barsch. »Wieso bist du hier?«

      Auch die anderen Magier vernachlässigten mittlerweile ihre Arbeiten. Ihre Bücher lagen vergessen, die Tinte tropfte unbeachtet auf Papier und Boden, während sie ungeniert zu ihm herüberstarrten. Noch beobachteten sie den Disput der beiden Älteren wortlos, doch das ließ sich leicht ändern.

      »Brauche ich für meinen Besuch denn einen Grund?« Berekh hob die Augenbrauen. »Ich habe ebenso viel Recht, hier zu sein, wie ihr.«

      »Vielleicht