Madeleine Puljic

Flammen des Sommers


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ist es«, stieß er aus und griff nach dem Arm des Arkanen.

      »Was ist was?«

      Tosalar versuchte, sich loszumachen, doch Berekh packte ihn noch fester. »Sei still!«

      Er schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, die Gegenwart auszublenden. In seiner Bemühung, die Schwarzmagier nicht zu unterschätzen, hatte er ihre größte Schwäche völlig außer Acht gelassen: die Selbstverliebtheit ihrer Äbtissin.

      Mit aller Willenskraft, die er aufbringen konnte, beschwor Berekh im Geiste seine Vergangenheit herauf. Er wischte die Jahrhunderte beiseite, die er tot im Grab gelegen hatte, versetzte sich zurück in eine Zeit, in der er sich seinen Namen als Schlächter gemacht hatte – und stolz darauf gewesen war. In die Zeit, als er Krajas Bett und Ambitionen geteilt und sie sich gegenseitig zu immer größeren Wahnsinnstaten angestachelt hatten.

      Es kostete ihn große Überwindung, in seine eigene Gedankenwelt zurückzufinden. Sobald ihm das jedoch einmal gelungen war, fiel es erschreckend leicht, noch einmal die alte Ehrerbietung heraufzubeschwören. Sie war nicht weniger Illusion als der Zauber um ihn herum, denn ergeben hatte er sich Kraja nie. Aber Aufrichtigkeit war es auch nicht, was sie von ihrem Umfeld erwartete. Es genügte, ihr überzeugend genug zu huldigen.

      Er musste nicht erst Tosalar nach Luft schnappen hören, um zu wissen, dass er den Schlüssel gefunden hatte. Der wirkliche Gang lag jetzt vor ihnen. Berekh war bloß nicht auf den Anblick gefasst, der sich ihm bot, als er die Augen wieder öffnete.

      Seine Flamme hatte sich wieder auf den Weg gemacht, der ihr vorhin verwehrt gewesen war. Sie verharrte gut zwei Dutzend Schritte vor ihnen und wartete auf sie.

      Ihr Licht erhellte zwei nackte, blutige Beine. Der zerschundene Körper, der sich im Schatten dahinter abzeichnete, kam ihm nur allzu bekannt vor. Noch am Morgen hatte er mit dieser Frau das Bett geteilt.

      ***

      Kaum schob die Stadtwache das massive Tor auf, zwängte Daena sich auch schon hindurch, ihren Braunen am Zügel führend. Die unbeschlagenen Hufe des Wallachs klapperten hohl auf den groben Pflastersteinen, die die Hauptstraße befestigten.

      Überrascht musste sie feststellen, dass sie das frühe Treiben der Stadt unterschätzt hatte. Vielleicht war sie derartigen Trubel auch einfach nicht mehr gewohnt, ihr Dorf zählte kaum zwei Dutzend Häuser. Mit dem Pferd gab es jedenfalls kein Durchkommen, also band sie es kurzerhand an der nächsten Schenke an und zwängte sich allein durch die Menge, indem sie sich mit Schultern und Ellbogen einen Pfad zum Marktplatz erkämpfte.

      Händler, Bauern und Handwerker boten lautstark ihre Ware feil, wobei sie versuchten, einander zu übertönen, um die vorbeiströmenden Kunden von den unmöglichsten Behauptungen zu überzeugen. Daena schenkte ihnen keine Beachtung, obwohl es sie einige Mühe kostete. Seit dem frühen und zugegebenermaßen kargen Abendessen vom vergangenen Nachmittag hatte sie nichts mehr zu sich genommen.

      In ihrer Zeit als Kämpferin war sie daran gewöhnt gewesen, oft tagelang mit den kleinsten Rationen auszukommen, doch das ruhige Landleben hatte sie verweichlicht. Ihr Magen knurrte bei all den Düften, die ihr hier in die Nase stiegen. Frisches Brot, geräuchertes Fleisch und Käse mischten sich mit den geheimnisvollen Gerüchen der exotischeren Waren und teuren Gewürze. Aber zu ihrem Glück auch mit dem von Pferdemist und der Gülle, die reichlich in der Gosse schwamm, sodass ihr Hunger nicht allzu sehr angestachelt wurde.

      Über die Köpfe der plappernden und feilschenden Städter hinweg erspähte sie schließlich eines der bunten Zelte, nach denen sie Ausschau gehalten hatte. Die grünen und blauen Stoffbahnen bildeten ein spitzes Dach, das zusätzlich mit wehenden Wimpeln geschmückt war und förmlich das Wort Zauberer hinausposaunte.

      Sie schlug die Plane am Eingang beiseite, duckte sich hindurch und trat in das düstere Zwielicht des Zeltes.

      ***

      Daenas lebloser Körper lag verrenkt an die Steinmauer gelehnt. Blut quoll aus zahllosen Wunden und bedeckte ihre Blöße notdürftig. Ihre glasigen Augen sahen starr an Berekh vorbei. Er wartete auf den Schmerz, auf die Leere. Auf die wilde Flamme, die ihn von innen verzehren und den Verlust aus ihm herausbrennen würde.

      Aber all das blieb aus. Er fühlte sich wie immer.

      »Oh Götter, nein«, schrie Tosalar hinter ihm auf.

      Eine Sekunde lang war Berekh verwirrt. Dann packte er den Erzmagier, der an ihm vorbeitaumeln wollte, am Kragen seiner Robe und riss ihn grob zurück. Was auch immer der andere dort im Tunnel sah, es konnte nicht Daena sein, die ihn so reagieren ließ.

      Berekhs Verstand holte endlich zu der Erkenntnis auf, die seine Magie bereits von Anfang an versucht hatte, ihm mitzuteilen: Daena war wohlauf. Vor ihm befand sich nicht ihr Leichnam, sondern eine Falle. Die Illusion eines geliebten Menschen, die jeden Nekromanten kalt gelassen hätte. Sie war nur für Eindringlinge wie sie bestimmt.

      »Lass mich!« Mit aller Macht versuchte Tosalar, von Berekh loszukommen und zu der Illusion zu stürzen. »Du hast ja keine Ahnung …«

      Berekh warf ihn nieder. In derselben Bewegung hob er einen der Steine auf, die aus der Tunnelwand gebrochen waren, und warf ihn zu dem, was für ihn immer noch nach seiner Frau aussah.

      Der Stein berührte sie nicht.

      Einen halben Meter vor ihr brach er noch im Flug in Flammen aus und verglühte innerhalb eines Augenblicks. Er hatte nicht einmal die Gelegenheit, zu Boden zu fallen. Im selben Moment erlosch die Illusion. Vor ihnen lag wieder nur der leere, verfallene Weg, der hinab in den Tempel führte.

      Tosalar atmete einige Male hörbar durch. Er erhob sich, klopfte mit angewidertem Gesichtsausdruck den Schmutz von seiner Robe und sah Berekh widerwillig an. »Allmählich habe ich den Eindruck, du kennst den Weg hier zu gut für jemanden, der behauptet, bisher keinen Fuß hier heruntergesetzt zu haben.«

      Berekh runzelte die Stirn. »Ach, zu allem anderen, was mir bereits vorgehalten wird, willst du mir jetzt auch noch unterstellen, ein Nekromant zu sein?«

      »Willst du etwa leugnen, dass du verdächtig gut über schwarze Magie Bescheid weißt?«, entgegnete der Erzmagier. »Jemand, der so besessen war von Macht wie du, soll ausgerechnet dieser Versuchung widerstanden haben? Ich bin nicht naiv.«

      »Dann solltest du solche Behauptungen lieber unterlassen«, brachte Berekh ihn ungehalten zum Schweigen. »Besonders an einem Ort wie diesem.« Hier wurden ohnehin schon zu viele unerwünschte Erinnerungen heraufbeschworen.

      Und Tosalars Anschuldigungen kamen der Wahrheit für seinen Geschmack viel zu nahe.

      ***

      Räucherwerk und Kerzen machten das ohnehin muffige Innere des Zeltes heiß und stickig. Der Rauch brannte Daena in den Augen und kratzte in ihrem Hals. Ehe sie sich in dem Halbdunkel orientieren konnte, drang eine krächzende Stimme an ihr Ohr.

      »Willst du dein Schicksal erfahren, Kämpferin? Welche Schlachten du schlagen und welche Bestien du besiegen wirst?«

      »Äh … Danke, aber ich glaube, das ist nicht nötig.«

      War sie etwa in das Zelt eines Wahrsagers gestolpert? Dann würde sie hier wohl kaum einen Magier finden, der sie nach Liannon bringen konnte. Sie glaubte nicht an solchen Humbug wie das Lesen aus Händen, Karten oder Kristallkugeln. Niemand konnte die Zukunft vorhersehen, nicht einmal ein Tatzelwurm. Die katzenartigen Drachen sahen nur mehr von der Gegenwart als andere und zogen ihre Schlüsse daraus. Meistens die richtigen.

      Bei Menschen, die behaupteten, mehr zu wissen als ein mythisches Wesen, glaubte Daena nur an eines: Betrug.

      »Sind es düsterere Gedanken, die dich herführen?«, fuhr die heisere Stimme fort. »Soll ich dir von dem Ende erzählen, das du einmal finden wirst, und wie dein Name in Erinnerung bleiben wird?«

      »Nein, danke.« Daenas Finger streiften über den Stoff und tasteten nach dem Eingang, der sich eigentlich direkt hinter ihr befunden hatte.

      »Ah, ich sehe schon«, fuhr die knarzende Stimme fort. »Nach Ruhm brauchst