Wolf Bauer

Creative Leadership


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zusammen mit meinem Bruder eine der ersten Schülermitbestimmungen Deutschlands initiierte. Die Lehrer betrachteten mich als Störfaktor, mein Bruder wurde gar von der Schule verwiesen. Auch zehn Jahre später passte es nicht in meine Vorstellungswelt, mich voll und ganz in ein hierarchisches System einzugliedern. Eines Tages wollte Schwarze wissen, ob ich Ahnung von Autos hätte. Obwohl ich verneinte, bot er mir eine Redakteursstelle für ein neues Auto- und Verkehrsmagazin an, das von einer freien Produktionsfirma zugeliefert und seitens des ZDF von einem Redakteur – von mir – betreut werden sollte. Als ich die Zusicherung erhielt, auch diese Aufgabe freiberuflich erledigen zu können, sagte ich zu. So kam es zur Zusammenarbeit mit Hanns Joachim Friedrichs und Harry Valérien. Sie moderierten Telemotor und fanden genau wie ich, dass ein kritisches Magazin zu Mobilitäts- und Umweltthemen dem ZDF besser zu Gesicht stünde als eine bloße Aneinanderreihung von Fahrtests der neuesten Pkw-Modelle.

      Obwohl ich den Abläufen und Deadlines von zwei regelmäßigen Sendungen gerecht werden musste, fühlte ich mich frei. So hätte es ewig für mich weitergehen können, wenn sich nicht bald mein Drang gemeldet hätte, neben journalistischen auch unterhaltende Inhalte zu entwickeln und damit eine andere Seite des Fernsehhandwerks zu erkunden. Getrieben wurde dieser Drang vor allem von der US-Miniserie Holocaust und meiner Erkenntnis, welch große Wirkungsmacht emotionales Erzählen entfalten kann. Darauf werde ich im nächsten Kapitel noch näher eingehen. Mein Türöffner für diese neue Richtung wurde Gerd Bauer, langjähriger Leiter der ›Hauptredaktion Unterhaltung Wort‹ im ZDF und Vater von Serien wie Schwarzwaldklinik, Traumschiff oder Das Erbe der Guldenburgs. Als freier Autor schlug ich ihm eine Show-Idee vor, die verschiedenste Genreelemente enthielt, eine Art Themenshow zur Kulturgeschichte des Küssens in Entertainment-Form. Bauer war angetan und wollte mich gleich als Unterhaltungsredakteur auf den Mainzer Lerchenberg holen. Abermals schlug mein Freiheitsdrang durch und ließ mich das attraktive Angebot dankend ablehnen. In jeder anderen Konstellation, versicherte ich ihm, würde ich liebend gern mit ihm und dem ZDF zusammenarbeiten. »Die UFA Berlin sucht jemanden wie dich«, empfahl er mir einige Wochen später.

      Die Legende UFA

      Die UFA – damit assoziierte ich Fritz Lang und Ernst Lubitsch, Marlene Dietrich und Pola Negri, große deutsche Filmkunst von Weltgeltung und den Niedergang unter dem Diktat der Nazi-Propaganda. Doch auch mit der neuen UFA hatte ich schon persönlichen Kontakt gehabt, als ich kurz zuvor für Kennzeichen D über die Verfilmung des Romans Der Boxer von Jurek Becker berichtet hatte. Damals setzte ich mich zum ersten Mal – und seither immer wieder – intensiv mit der Geschichte der Marke UFA auseinander. Ich erkannte schnell, dass die Nachkriegs-UFA, die ich vor mir sah, also das 1964 von Bertelsmann-Gründer Reinhard Mohn übernommene kleine Produktionshaus, ein völlig eigenständiges Kapitel in der Firmengeschichte darstellte. Zur historischen UFA gab es nur einen wesentlichen Bezug: Man fühlte sich der künstlerischen Tradition bahnbrechender Filmemacher aus der Zeit zwischen 1917 und 1933 verpflichtet. Zugleich markierte die unrühmliche Zeit des Nationalsozialismus – als scheinbar simple Liebesschnulzen gezielt mit politischen Botschaften à la »individuelles Glück muss hinter den Idealen des Vaterlands zurückstehen« aufgeladen wurden – eine ewige Erinnerung an die Macht des bewegten Bildes und die Verpflichtung, damit verantwortungsvoll umzugehen.

      Ich suchte also den damaligen UFA-Chef Werner Mietzner zum Vorstellungsgespräch auf. Im privaten Rahmen hatte ich ihn einige Male getroffen, weil seine deutlich jüngere Ehefrau mit mir zusammen an der FU studiert hatte. Ich hatte ihn als ebenso belesenen wie interessierten Gesprächspartner erlebt, und auch bei unserer ersten beruflichen Begegnung waren wir auf einer Wellenlänge. Er schaute sich etliche Kandidaten für den Producer-Job an und gab mir schließlich den Zuschlag. Obwohl ich es ihm mit zwei – aus heutiger Sicht fast schon dreisten – Bedingungen nicht leicht machte: Ich wollte weiter freiberuflich arbeiten. Und ich wollte nichts mit Korruption zu tun haben. Mir war nämlich zu Ohren gekommen, dass Produktionsfirmen zur Auftragsgewinnung mitunter andere Mittel als nur Überzeugungskraft einsetzten. »Darüber muss ich nachdenken«, entgegnete mir ein spürbar verunsicherter Mietzner. Er brauchte eine Woche Bedenkzeit, um meine damals offensichtlich ungewöhnlichen Vorbehalte zu akzeptieren. Wiederum ein halbes Jahr später sah ich ein, dass ich mich entscheiden musste. Kennzeichen D und UFA ließen sich zeitlich nicht mehr miteinander vereinbaren. Ich entschied mich voll und ganz für die UFA – und zum ersten Mal in meinem Leben für eine Festanstellung. Hätte ich damals geahnt, dass mein Vertrag mit diesem Unternehmen die nächsten 38 Jahre laufen würde, wäre ich wohl schreiend geflüchtet. Hanns Werner Schwarze jedenfalls verabschiedete mich in meiner letzten Kennzeichen D-Redaktionskonferenz vor versammelter Mannschaft mit den Worten: »Leider hat sich ein hoffnungsvoller politischer Journalist entschlossen, zum Zirkus zu gehen.«

      An meiner Entscheidung, einen Arbeitsvertrag bei der damaligen UFA-Fernsehproduktion zu unterschreiben, hatte auch die Unternehmensverfassung des Mutterkonzerns Bertelsmann ihren Anteil. Diese hatte ich aufmerksam studiert und sie gefiel mir auf Anhieb. Besonders verlockend fand ich das Angebot, schon in jungen Jahren ein gehöriges Maß an Eigenverantwortung und einen Vertrauensvorschuss zu bekommen. Mich beeindruckte, welche Souveränität und welches Selbstbewusstsein ein Unternehmen haben musste, das sich eine solche Leitlinie auf die Fahnen schrieb. Ebenso wichtig fand ich den erklärten zentralen Stellenwert von Kreativität und den Respekt vor kreativ tätigen Individuen sowie die bewusste Anerkennung der gesellschaftlichen Verantwortung. Wenn ich schon irgendwo festangestellt sein wollte, dann in so einem Laden.

      Problem mit Autoritäten

      Rückblickend muss ich gestehen: Jawohl, ich hatte ein gehöriges Autoritätsproblem. Meine Lehrer merkten das nicht zu Unrecht an. Und wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich es auch nie ganz überwunden. Bis zum heutigen Tag nicht. Dabei geht es um weit mehr als nur die Formfrage eines festen Anstellungsverhältnisses. Ich möchte gern verstehen und nachvollziehen können, wie es zu einer bestimmten Entscheidung oder Strategie kommt, bevor ich sie umsetze. Kann ich das nicht, werde ich in der Umsetzung nicht überzeugend sein. Das war als freier Politikjournalist schon so und als CEO eines 300-Millionen-Euro-Unternehmens nicht viel anders. Es mag vielleicht überraschend klingen, dass ich das für eine meiner größten Stärken halte. Da ich von mir selbst wusste, wie ungern ich mir sagen ließ, was ich zu tun und zu lassen hatte, verstand ich intuitiv, wie man mit anderen Exemplaren meines Typs umgehen musste. Die meisten komplexeren Persönlichkeiten in der Kreativlandschaft wollen sich nichts sagen lassen. Was sie dringend brauchen, um gut zu sein, ist ein hohes Maß an Autonomie. Man verständigt sich über das Ziel, aber dann tragen sie einen großen Teil der Verantwortung selbst. Sie werden nicht kleinteilig gesteuert oder sonst wie kujoniert. Unter dieser Voraussetzung gehen sie mit einem ganz besonderen ›Glühfaktor‹ ans Werk, den ich im Laufe der Jahre immer wieder an Top-Kreativen beobachten durfte. Es ist ein inneres Strahlen, das sich aus dem Brennen für eine Idee speist und von den optimalen Rahmenbedingungen angefacht wird. Ohne die nötige Freiheit wird es früher oder später erlöschen wie eine Kerze ohne Sauerstoff.

      Aus meinen ureigenen Gefühlen gewann ich letztlich die Einsicht, wie eine funktionierende Organisationsform für ein kreatives Unternehmen im Kern auszusehen hatte: Ich wollte eine Plattform bauen, auf der die kreativen Talente, die möglicherweise ähnlich fühlten wie ich, mit einem Maximum an Freiraum agieren konnten. Und ich wollte ihnen dabei sämtliche Widerstände aus dem Weg räumen. Ich hatte vorher keinen Management-Ratgeber gelesen, sondern nur von mir selbst auf andere geschlossen. Ein wesentlicher Anhaltspunkt, dass ich damit falsch gelegen hätte, ist mir in 27 Jahren als Geschäftsführer nicht begegnet. Meiner Erfahrung nach sind es – in absteigender Rangfolge – immer wieder dieselben Faktoren, die uns Kreative antreiben: Wir wollen gesehen werden. Damit meine ich, dass unsere Leistung, unser Talent, unsere besondere Begabung von anderen erkannt und anerkannt, im Idealfall weiter gefördert wird. Wir wollen als Konsequenz daraus Verantwortung übertragen bekommen, die es uns ermöglicht, im doppelten Sinne des Wortes verantwortungsvoll zu handeln. Wir wollen lernen, wir wollen besser werden und unseren Horizont erweitern, was nicht nur durch klassische Weiterbildung, sondern vor allem auch durch Vernetzung mit anderen interessanten Köpfen geschieht. Es gibt nichts, was ein Top-Talent so stark anzieht wie ein anderes Top-Talent. Mit diesem Credo im Hinterkopf habe ich