zu rufen, lief sie lachend fort. Das zwang mich, ihr nachzurennen. Aber sie lief so schnell, dass ich sie erst knapp vor dem Häuschen einholen konnte.
»Ach so, du bists?«
»Aber du wusstest doch, wers ist, Emly«, sagte ich.
»Und du vielleicht nicht?«
Ich wollte sie küssen, aber sie hielt sich die Hand auf ihre Kirschenlippen und sagte, sie sei kein kleines Kind mehr, lief ins Haus und lachte noch viel mehr.
Es schien ihr Spaß zu machen, mich zu necken, – eine Veränderung, über die ich mich sehr wunderte. Der Teetisch war gedeckt, und unser kleiner Koffer stand auf dem alten Fleck. Aber anstatt sich neben mich zu setzen, leistete sie der alten brummigen Mrs. Gummidge Gesellschaft, und als Mr. Peggotty nach dem Grund fragte, bedeckte sie sich das Gesicht mit den Haaren und wollte nicht aufhören zu lachen.
»Eine kleine Spielkatze«, sagte Mr. Peggotty und tätschelte sie mit seiner großen Hand.
»Dat is se. Dat is se«, rief Ham, »Masr Davy, woll, dat is se« und er saß da und lachte sie lange an mit einem brennroten Gesicht, auf dem sich Bewunderung und Entzücken spiegelten.
Die kleine Emly wurde in jeder Hinsicht verzogen und von niemand mehr als von Mr. Peggotty, dem sie alles abschmeicheln konnte, wenn sie nur zu ihm ging und ihre Wangen an seinen struppigen Seemannsbart legte. So schien es mir wenigstens, als ich es sah, und ich gab Mr. Peggotty vollkommen recht. Sie war so zärtlich und herzig und dabei so neckisch und schüchtern zugleich, dass sie mich mehr gefangen nahm als je.
Sie war auch sehr weichherzig, denn als wir nach dem Tee um den Ofen saßen und Mr. Peggotty eine Andeutung über den Verlust, den ich erlitten hatte, fallen ließ, traten ihr die Tränen in die Augen, und sie sah mich über den Tisch hinüber so freundlich an, dass ich ihr sehr dankbar war.
»Ja«, sagte Mr. Peggotty, indem er ihre Locken wie Wasser durch seine Finger laufen ließ. »Hier ist auch eine Waise, Sir, und hier«, und er klopfte Ham mit dem Handrücken auf die Brust, »hier s noch einer, wenn mans ihm auch noch anmerkt.«
»Wenn ich Sie zum Vormund hätte, Mr. Peggotty«, sagte ich, »würd ichs wohl auch nicht sehr fühlen.«
»Schoin seggt, Masr Davy, woll«, schrie Ham entzückt, »hurra. Schoin seggt, Masr Davy, woll, hört, hört.« Er gab den Schlag mit dem Handrücken zurück und die kleine Emly stand auf und küsste Mr. Peggotty.
»Und was macht Ihr Freund, Sir?« fragte mich Mr. Peggotty.
»Steerforth?«
»Woll, woll«, rief Mr. Peggotty und wandte sich zu Ham. »Ich wusste, sien Nam hett mit unserm Beruf zu tun.«
»Du hest Rudderford seggt«, bemerkte Ham lachend.
»Jawoll«, antwortete Mr. Peggotty, »un du ›stürst‹ mit en Rudder, noch? Dat s noch veel anners. Wie gehts ihm, Sir?«
»Als ich fortging, sehr gut, Mr. Peggotty.«
»Dat s n Freund«, sagte Mr. Peggotty und reckte seinen Arm mit der Pfeife in die Höhe. »Dat s n Freund, wenn Sie von Freunden sprechen! Gott soll mich nicht leben lassen, wenns nicht ne Freude ist, den anzusehen.«
»Er ist sehr hübsch, nicht wahr?« sagte ich und mein Herz schlug höher bei dem Lobe.
»Hübsch!« rief Mr. Peggotty. »Er steht vor einem, wie – wie ein – na, wie soll ich nur sagen, wie er vor einem steht? Er ist so keck.«
»Ja, so ist auch sein ganzer Charakter«, sagte ich, »er ist mutig wie ein Löwe, und Sie können sich gar nicht vorstellen, Mr. Peggotty, wie freimütig er ist.«
»Und ich vermute«, sagte Mr. Peggotty und sah mich durch den Rauch seiner Pfeife hindurch an, »dass er in der Buchgelehrsamkeit höher im Wind liegt als alle anderen.«
»Ja«, sagte ich freudig, »er weiß alles. Er ist erstaunlich gescheit.«
»Dat s n Freund«, murmelte Mr. Peggotty mit ernstem Wiegen des Kopfes.
»Alles geht ihm spielend von der Hand«, sagte ich. »Er kann seine Aufgabe, wenn er nur auch nur einen Blick drauf wirft. Er ist der beste Kricketter den ich kenne. Beim Damenbrett gibt er Ihnen so viel Steine vor, wie Sie wollen, und schlägt Sie mühelos.«
Mr. Peggotty nickte wieder mit dem Kopf, als wollte er sagen: »Selbstverständlich!«
»Und ein Redner ist er«, fuhr ich fort, »dass er jeden überzeugen kann, Sir. Und gar erst ihn singen zu hören!«
Mr. Peggotty nickte wieder mit dem Kopf, als wollte er sagen: »Ich zweifle keinen Augenblick daran.«
»Und dann ist er ein so prächtiger, feiner, nobler Bursche«, sagte ich, ganz hingerissen von meinem Lieblingsthema, »dass es kaum möglich ist, ihn so zu loben, wie er es verdient. Ich kann ihm nie genug dankbar sein für die Hochherzigkeit, mit der er mich, der ich viel jünger bin und in der Schule weit unter ihm saß, beschützte.«
Mitten in meinem Eifer fielen meine Augen auf die kleine Emly, die mit angehaltenem Atem über den Tisch gebeugt dasaß und mit größter Aufmerksamkeit zuhörte. Ihre blauen Augen glänzten wie Edelsteine und das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie sah so wunderbar ernst und hübsch aus, dass ich erstaunt abbrach, und alle schauten sie daraufhin an und lachten.
»Emly gehts wie mir«, sagte Peggotty. »Sie möchte ihn sehen.«
Emly war ganz verlegen geworden, weil wir sie alle ansahen, errötete noch mehr und schlug die Augen nieder. Als sie wieder aufsah und bemerkte, dass wir noch immer keinen Blick von ihr wenden konnten, wurde sie ganz verwirrt, lief fort und blieb weg, bis es fast Schlafenszeit war.
Ich legte mich in das alte kleine Bett im Hintersteven des Bootes, und der Wind strich klagend über die Dünen wie einstmals. Ich konnte mir nicht helfen, es schien mir, als klage er um die, die dahingegangen. Ich musste an die Wellen des Schicksals denken, die, seitdem ich dieses Heulen zuletzt vernommen, mein glückliches Heim weggespült hatten. Kein Gedanke kam mir mehr wie damals, dass der Ozean draußen über seine Ufer treten könnte und unser Boot fortschwemmen. Ich erinnere mich noch, wie Wind und Wogen allmählich schwächer in meinen Ohren klangen, als ich meinem Abendgebet den Satz hinzufügte: Gott möchte mich groß werden lassen, damit ich die kleine Emly heiraten könne. Dann sank ich verliebt in Schlummer.
Die Tage vergingen so schnell wie früher, doch nur selten mehr konnte ich mit der kleinen Emly am Strande spazieren gehen. Sie musste Aufgaben lernen und nähen und konnte einen großen Teil des Tages nicht zu Hause sein. Aber auch ohnedies wären diese alten Wanderungen nicht mehr so wie früher gewesen. So wild und voll kindischer Launen Emly war, so war sie doch schon viel mehr Jungfrau, als ich glaubte. Sie schien in mehr als einem Jahr viel älter als ich geworden zu sein. Sie hatte mich gern, aber lachte mich aus und quälte mich, nahm einen anderen