Charles Dickens

David Copperfield


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kom­me jetzt zu ei­nem Zeit­ab­schnitt mei­nes Le­bens, den ich nie ver­ges­sen kann und des­sen Erin­ne­rung mir oft un­ge­ru­fen wie ein Ge­s­penst er­schie­nen ist und glück­li­che Zei­ten ge­trübt hat.

      Ich schlen­der­te wie ge­wöhn­lich ei­nes Tags zweck­los und träu­me­risch wie im­mer um­her, da stieß ich, um eine Ecke bie­gend, un­ver­mu­tet auf Mr. Murd­sto­ne, der sich in Beglei­tung ei­nes Herrn be­fand. Ich woll­te mich ver­le­gen vor­bei­drücken, als der Herr rief: »Hal­lo, Brooks.«

      »Nein, Sir, Da­vid Cop­per­field«, sag­te ich.

      »Sei still, du bist Brooks von Shef­field«, sag­te der Herr, »das ist dein Name.«

      Bei die­sen Wor­ten sah ich mir den Gent­le­man ge­nau­er an und er­kann­te in ihm Mr. Qui­ni­on, der da­mals bei mei­nem und Mr. Murd­sto­nes Be­such in Lo­we­stoft so ge­lacht hat­te.

      »Und was machst du und wo gehst du in die Schu­le, Brooks?« frag­te Mr. Qui­ni­on. Er leg­te mir die Hand auf die Schul­ter und zog mich mit. Ich wuss­te nicht, was ich ant­wor­ten soll­te, und blick­te fra­gend auf Mr. Murd­sto­ne.

      »Er ist jetzt zu Hau­se«, sag­te Mr. Murd­sto­ne. »Er geht über­haupt nicht in die Schu­le. Ich weiß nicht, was ich mit ihm an­fan­gen soll. Es ist ein schwie­ri­ger Fall.«

      Sein al­ter falscher Blick ruh­te eine Wei­le auf mir, dann run­zel­te er die Brau­en und wand­te sich mit Wi­der­wil­len von mir ab.

      »Hum«, sag­te Mr. Qui­ni­on und sah uns bei­de an. »Schö­nes Wet­ter.«

      Eine Pau­se trat ein, und ich über­leg­te, wie ich mich am bes­ten von ihm los­ma­chen könn­te und mei­nes We­ges ge­hen, als er sag­te:

      »Ich glau­be, du bist doch ein ziem­lich flin­ker Bur­sche, was, Brooks?«

      »Ja, er ist flink ge­nug«, sag­te Mr. Murd­sto­ne un­ge­dul­dig. »Lass ihn doch ge­hen, er wird dirs nicht Dank wis­sen, dass du ihn fest­hältst.« Auf sei­nen Wink ließ mich Mr. Qui­ni­on los, und ich be­eil­te mich, weg­zu­kom­men. Als ich mich im Gar­ten um­dreh­te, sah ich, dass Mr. Murd­sto­ne, am Kirch­hof ste­hen­ge­blie­ben, mit Mr. Qui­ni­on un­ter­han­del­te. Sie sa­hen mir bei­de nach, und ich merk­te, dass sie von mir spra­chen.

      Mr. Qui­ni­on blieb die Nacht über bei uns. Nach dem Früh­stück am nächs­ten Mor­gen woll­te ich eben das Zim­mer ver­las­sen, als mich Mr. Murd­sto­ne zu­rück­rief. Er ging dann fei­er­lich an den Schreib­tisch sei­ner Schwes­ter; Mr. Qui­ni­on schau­te, die Hän­de in den Ta­schen, zum Fens­ter hin­aus, und ich stand da und sah von ei­nem zum an­de­ren.

      »Da­vid«, be­gann Mr. Murd­sto­ne, »für die Ju­gend ist dies eine Welt der Tat, aber kei­ne zum Brü­ten und Fau­len­zen.«

      »Wie du es machst«, füg­te sei­ne Schwes­ter hin­zu.

      »Jane Murd­sto­ne, über­las­se das ge­fäl­ligst mir! – Also ich sage dir, Da­vid, für die Ju­gend ist dies eine Welt der Tat und nicht ein Feld zum Brü­ten und Fau­len­zen, ganz be­son­ders nicht für einen Jun­gen von dei­nem Cha­rak­ter, der der Zucht be­darf und dem man den größ­ten Dienst leis­tet, wenn man ihn zwingt, die Wege der ar­bei­ten­den Welt zu be­tre­ten, um ihn zu du­cken und zu bre­chen.«

      »Mit Trotz ist hier nichts aus­zu­rich­ten«, warf sei­ne Schwes­ter da­zwi­schen, »dein Trotz muss ge­bro­chen wer­den. Er soll und muss ge­bro­chen wer­den.« Mr. Murd­sto­ne warf ihr einen halb ab­wei­sen­den, halb bil­li­gen­den Blick zu und fuhr fort:

      »Ich glau­be, du weißt, Da­vid, dass ich nicht reich bin. Je­den­falls weißt dus jetzt. Du hast eine be­ach­tens­wer­te Er­zie­hung ge­nos­sen. Er­zie­hung kos­tet Geld. Aber selbst, wenn das nicht der Fall wäre, wür­de ich es doch für vor­teil­haft hal­ten, dich nicht mehr in die Schu­le zu schi­cken. Was vor dir liegt, ist der Kampf mit der Welt, und je eher du da­mit an­fängst, umso bes­ser!«

      Ich glau­be, dass ich ihn in mei­ner eig­nen arm­se­li­gen Art wohl schon lan­ge be­gon­nen hat­te.

      »Du hast wohl schon von dem Comp­toir ge­hört?« fuhr Mr. Murd­sto­ne fort.

      »Vom Comp­toir, Sir?«

      »Von Murd­sto­ne & Grin­bys Wein­hand­lung.«

      Ich muss ver­mut­lich ein ver­wirr­tes Ge­sicht ge­macht ha­ben, denn er sag­te un­ge­dul­dig: »Das Comp­toir, das Ge­schäft, der Kel­ler, das La­ger, kurz und gut.«

      »Ich glau­be, ich habe da­von ge­hört, Sir, aber ich weiß nicht mehr wann.«

      »Das ist schließ­lich gleich­gül­tig«, ant­wor­te­te er. »Mr. Qui­ni­on führt das Ge­schäft.«

      Ich blick­te den Gent­le­man, der im­mer noch aus dem Fens­ter schau­te, ehr­er­bie­tig an.

      »Mr. Qui­ni­on meint, dass er noch ein paar Jun­gen be­schäf­ti­gen kann und kei­nen Grund sieht, warum er dich nicht auch un­ter den­sel­ben Be­din­gun­gen an­stel­len soll­te.«

      »Wenn Brooks schon sonst kei­ne an­de­ren Aus­sich­ten hat, Murd­sto­ne«, ließ Mr. Qui­ni­on halb­laut fal­len und sah sich nach uns um.

      Ohne zu be­ach­ten, was er sag­te, fuhr Mr. Murd­sto­ne un­ge­dul­dig, fast är­ger­lich fort:

      »Die Be­din­gun­gen sind, dass du so viel ver­dienst, dass du Es­sen, Trin­ken und Ta­schen­geld hast. Dei­ne Woh­nung, die ich dir aus­su­chen wer­de, be­zah­le ich, eben­so dei­ne Wä­sche.«

      »Die ich aus­su­chen wer­de«, sag­te Miss Murd­sto­ne.

      »Für dei­ne Klei­der wird auch ge­sorgt wer­den, da du für die ers­te Zeit sie dir nicht selbst wirst be­schaf­fen kön­nen. Du gehst also jetzt mit Mr. Qui­ni­on nach Lon­don, Da­vid, um ein Le­ben auf eig­ne Rech­nung zu be­gin­nen.«

      »Kurz, du bist ver­sorgt«, be­merk­te Miss Murd­sto­ne »und wirst ge­fäl­ligst dei­ne Pf­licht tun.«

      Ich ver­stand ganz gut, dass man mich nur los­wer­den woll­te, weiß aber nicht mehr recht, ob ich mich dar­über freu­te oder trau­rig war. Ich glau­be, ich fühl­te mich so ver­wirrt, dass ich zwi­schen bei­den Emp­fin­dun­gen hin und her schwank­te. Es blieb auch nicht viel Zeit, mir dar­über klar­zu­wer­den, da Mr. Qui­ni­on am nächs­ten Mor­gen ab­rei­sen soll­te.

      Ich sehe mich an je­nem Mor­gen in ei­nem al­ten ab­ge­trag­nen wei­ßen Hut mit ei­nem schwar­zen Trau­er­flor, in ei­ner schwar­zen Ja­cke und ein paar har­ten stei­fen Man­che­s­ter­ho­sen, die Miss Murd­sto­ne ver­mut­lich als die bes­te Rüs­tung im Kamp­fe mit der Welt, den ich jetzt be­gin­nen soll­te, aus­ge­sucht hat­te. In die­sem Auf­zug, alle mei­ne Hab­se­lig­kei­ten in ei­nem klei­nen Kof­fer, ganz al­lein, »ein­sam und ver­las­sen«, wie Mrs. Gum­mid­ge ge­sagt hät­te, saß ich auf dem Wa­gen, der Mr. Qui­ni­on zur Lon­do­ner Post nach Yar­mouth brach­te.

      Klei­ner und klei­ner wur­den das Haus und die Kir­che in der Fer­ne, das Grab un­ter dem Baum ver­schwand hin­ter den Häu­sern. Dann sehe ich den Kirch­turm nicht über mei­nem al­ten Spiel­platz mehr ra­gen, und der Him­mel ist öde und leer.

      Ich ken­ne die Welt jetzt gut ge­nug, um mich fast über nichts mehr zu wun­dern, aber den­noch muss ich selbst heu­te noch stau­nen, wie man mich da­mals in ei­nem sol­chen Al­ter der­ar­tig