komme jetzt zu einem Zeitabschnitt meines Lebens, den ich nie vergessen kann und dessen Erinnerung mir oft ungerufen wie ein Gespenst erschienen ist und glückliche Zeiten getrübt hat.
Ich schlenderte wie gewöhnlich eines Tags zwecklos und träumerisch wie immer umher, da stieß ich, um eine Ecke biegend, unvermutet auf Mr. Murdstone, der sich in Begleitung eines Herrn befand. Ich wollte mich verlegen vorbeidrücken, als der Herr rief: »Hallo, Brooks.«
»Nein, Sir, David Copperfield«, sagte ich.
»Sei still, du bist Brooks von Sheffield«, sagte der Herr, »das ist dein Name.«
Bei diesen Worten sah ich mir den Gentleman genauer an und erkannte in ihm Mr. Quinion, der damals bei meinem und Mr. Murdstones Besuch in Lowestoft so gelacht hatte.
»Und was machst du und wo gehst du in die Schule, Brooks?« fragte Mr. Quinion. Er legte mir die Hand auf die Schulter und zog mich mit. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, und blickte fragend auf Mr. Murdstone.
»Er ist jetzt zu Hause«, sagte Mr. Murdstone. »Er geht überhaupt nicht in die Schule. Ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll. Es ist ein schwieriger Fall.«
Sein alter falscher Blick ruhte eine Weile auf mir, dann runzelte er die Brauen und wandte sich mit Widerwillen von mir ab.
»Hum«, sagte Mr. Quinion und sah uns beide an. »Schönes Wetter.«
Eine Pause trat ein, und ich überlegte, wie ich mich am besten von ihm losmachen könnte und meines Weges gehen, als er sagte:
»Ich glaube, du bist doch ein ziemlich flinker Bursche, was, Brooks?«
»Ja, er ist flink genug«, sagte Mr. Murdstone ungeduldig. »Lass ihn doch gehen, er wird dirs nicht Dank wissen, dass du ihn festhältst.« Auf seinen Wink ließ mich Mr. Quinion los, und ich beeilte mich, wegzukommen. Als ich mich im Garten umdrehte, sah ich, dass Mr. Murdstone, am Kirchhof stehengeblieben, mit Mr. Quinion unterhandelte. Sie sahen mir beide nach, und ich merkte, dass sie von mir sprachen.
Mr. Quinion blieb die Nacht über bei uns. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen wollte ich eben das Zimmer verlassen, als mich Mr. Murdstone zurückrief. Er ging dann feierlich an den Schreibtisch seiner Schwester; Mr. Quinion schaute, die Hände in den Taschen, zum Fenster hinaus, und ich stand da und sah von einem zum anderen.
»David«, begann Mr. Murdstone, »für die Jugend ist dies eine Welt der Tat, aber keine zum Brüten und Faulenzen.«
»Wie du es machst«, fügte seine Schwester hinzu.
»Jane Murdstone, überlasse das gefälligst mir! – Also ich sage dir, David, für die Jugend ist dies eine Welt der Tat und nicht ein Feld zum Brüten und Faulenzen, ganz besonders nicht für einen Jungen von deinem Charakter, der der Zucht bedarf und dem man den größten Dienst leistet, wenn man ihn zwingt, die Wege der arbeitenden Welt zu betreten, um ihn zu ducken und zu brechen.«
»Mit Trotz ist hier nichts auszurichten«, warf seine Schwester dazwischen, »dein Trotz muss gebrochen werden. Er soll und muss gebrochen werden.« Mr. Murdstone warf ihr einen halb abweisenden, halb billigenden Blick zu und fuhr fort:
»Ich glaube, du weißt, David, dass ich nicht reich bin. Jedenfalls weißt dus jetzt. Du hast eine beachtenswerte Erziehung genossen. Erziehung kostet Geld. Aber selbst, wenn das nicht der Fall wäre, würde ich es doch für vorteilhaft halten, dich nicht mehr in die Schule zu schicken. Was vor dir liegt, ist der Kampf mit der Welt, und je eher du damit anfängst, umso besser!«
Ich glaube, dass ich ihn in meiner eignen armseligen Art wohl schon lange begonnen hatte.
»Du hast wohl schon von dem Comptoir gehört?« fuhr Mr. Murdstone fort.
»Vom Comptoir, Sir?«
»Von Murdstone & Grinbys Weinhandlung.«
Ich muss vermutlich ein verwirrtes Gesicht gemacht haben, denn er sagte ungeduldig: »Das Comptoir, das Geschäft, der Keller, das Lager, kurz und gut.«
»Ich glaube, ich habe davon gehört, Sir, aber ich weiß nicht mehr wann.«
»Das ist schließlich gleichgültig«, antwortete er. »Mr. Quinion führt das Geschäft.«
Ich blickte den Gentleman, der immer noch aus dem Fenster schaute, ehrerbietig an.
»Mr. Quinion meint, dass er noch ein paar Jungen beschäftigen kann und keinen Grund sieht, warum er dich nicht auch unter denselben Bedingungen anstellen sollte.«
»Wenn Brooks schon sonst keine anderen Aussichten hat, Murdstone«, ließ Mr. Quinion halblaut fallen und sah sich nach uns um.
Ohne zu beachten, was er sagte, fuhr Mr. Murdstone ungeduldig, fast ärgerlich fort:
»Die Bedingungen sind, dass du so viel verdienst, dass du Essen, Trinken und Taschengeld hast. Deine Wohnung, die ich dir aussuchen werde, bezahle ich, ebenso deine Wäsche.«
»Die ich aussuchen werde«, sagte Miss Murdstone.
»Für deine Kleider wird auch gesorgt werden, da du für die erste Zeit sie dir nicht selbst wirst beschaffen können. Du gehst also jetzt mit Mr. Quinion nach London, David, um ein Leben auf eigne Rechnung zu beginnen.«
»Kurz, du bist versorgt«, bemerkte Miss Murdstone »und wirst gefälligst deine Pflicht tun.«
Ich verstand ganz gut, dass man mich nur loswerden wollte, weiß aber nicht mehr recht, ob ich mich darüber freute oder traurig war. Ich glaube, ich fühlte mich so verwirrt, dass ich zwischen beiden Empfindungen hin und her schwankte. Es blieb auch nicht viel Zeit, mir darüber klarzuwerden, da Mr. Quinion am nächsten Morgen abreisen sollte.
Ich sehe mich an jenem Morgen in einem alten abgetragnen weißen Hut mit einem schwarzen Trauerflor, in einer schwarzen Jacke und ein paar harten steifen Manchesterhosen, die Miss Murdstone vermutlich als die beste Rüstung im Kampfe mit der Welt, den ich jetzt beginnen sollte, ausgesucht hatte. In diesem Aufzug, alle meine Habseligkeiten in einem kleinen Koffer, ganz allein, »einsam und verlassen«, wie Mrs. Gummidge gesagt hätte, saß ich auf dem Wagen, der Mr. Quinion zur Londoner Post nach Yarmouth brachte.
Kleiner und kleiner wurden das Haus und die Kirche in der Ferne, das Grab unter dem Baum verschwand hinter den Häusern. Dann sehe ich den Kirchturm nicht über meinem alten Spielplatz mehr ragen, und der Himmel ist öde und leer.
11. Kapitel – Ich beginne ein Leben auf eigne Faust und finde keinen Gefallen daran
Ich kenne die Welt jetzt gut genug, um mich fast über nichts mehr zu wundern, aber dennoch muss ich selbst heute noch staunen, wie man mich damals in einem solchen Alter derartig