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Vorwort
Die COVID-19-Pandemie trifft uns unvorbereitet. Damit meine ich weniger, dass das Gesundheitssystem oder Behörden auf Pandemien nicht eingestellt gewesen seien, sondern dass wir Menschen auf ein solches Szenario nicht vorbereitet waren. Ja, dass wir uns das höchstens als Rahmengeschichte eines Drehbuches hätten vorstellen können. Die Maßnahmen, mit denen wir versuchen, die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen, sind unbeschrieben und einmalig. Sie greifen in unsere Grundrechte ein. Wahrscheinlich werden wir uns noch lange an diese Zeit zurückerinnern und davon erzählen.
In solchen außergewöhnlichen Zeiten sind wir meist auf unser ganz eigenes Krisenmanagement zurückgeworfen. So ginge es auch mir. Als die ersten Infektionen auch bei uns berichtet wurden und wir uns endgültig damit abfinden mussten, dass auch wir die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu spüren bekommen würden, war ich erst einmal in meinem ganz persönlichen Krisenmodus gefangen. Erste Maßnahmen wurden in der Öffentlichkeit diskutiert, und ich versuchte, mich zu orientieren. Ich war mit den Fragen beschäftigt, was COVID-19 denn für mich, meine Arbeit, unser Stationsmanagement, unsere Patientinnen und Patienten, meine Familie usw. bedeuten würde. Als dann die Diskussion über verschärfte politische Maßnahmen im Sinne einer Ausgangssperre lauter wurde, erreichte mich in meiner Funktion als leitender Psychologe einer stationären Abteilung für Angst- und Zwangsstörungen eine kurzfristige Presseanfrage. Die Journalisten gingen der Frage nach, wie sich solche potentiellen Maßnahmen auf die Psyche auswirken könnten und wie weitreichend und bereichsübergreifend die Effekte zu erwarten wären. Einen Schritt aus meinem ganz persönlichen Krisenmanagement zurücktretend und den Blick ausweitend, wurde mir erst dann bewusst, wie sehr dies auf die Psyche jedes Einzelnen, auf die unserer Gesellschaft sowie die der Weltgemeinschaft, und nicht nur unserer Patientinnen und Patienten, wirken würde. Bis zu dem Moment war auch meine Aufmerksamkeit von den virologischen und epidemiologischen Diskussionen absorbiert. Die Überlegungen über die psychologischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ließen mich jedoch ab diesem Zeitpunkt nicht mehr los. Ich begann, nach Studien über die psychologischen Effekte aus vorherigen Epidemien oder Lockdowns zu suchen und mich erneut in bestehende sozialpsychologische Lehrbücher zu vertiefen. Es wurde mir zunehmend bewusst, wie einschneidend die Effekte sein würden und dass es eben nicht nur unseren Bereich der klinischen Psychologie und Psychiatrie, sondern viele Bereiche der Psychologie (Sozialpsychologie, Arbeitspsychologie, Entwicklungspsychologie u. a.) umfassen würde.
Die virologische und epidemiologische Diskussion über die Eindämmung der Pandemie ist zweifellos von immenser Bedeutung. Mir erschien jedoch nach vertiefter Auseinandersetzung, dass die Debatte um die weitreichenden psychologischen Folgen im gesellschaftlichen Diskurs zu kurz kommt oder nicht mit der notwendigen Tiefe stattfindet. Ich entschied mich dann sehr spontan, dieser Debatte mit dem vorliegenden Sammelwerk etwas nachhelfen zu wollen.
Und so freue ich mich nun außerordentlich, dass so viele Kolleginnen und Kollegen meinen Einladungen gefolgt sind und aus ihren ganz spezifischen Bereichen über die psychologischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie berichten. Sie alle sind ausgewiesene Experten auf ihren Gebieten. Und sie alle waren bereit, sich in Zeiten des persönlichen Krisenmanagements dieser Zusatzaufgabe anzunehmen und ihre Expertise innert kürzester Zeit niederzuschreiben. Ich danke ihnen dafür herzlichst. Auch danke ich meinen geschätzten Kollegen, die diesem Buch mit ihren philosophischen Umrahmungen im Geleit- und Nachwort eine besondere Einordnung ermöglichen. Ich möchte auch den Ministern der Länder Deutschland, Schweiz und Luxemburg danken, die mit den beigetragenen Grußworten allen Autoren viel Wertschätzung für deren wichtige Arbeit entgegenbringen. Schlussendlich danke ich dem Kohlhammer-Verlag für die äußerst angenehme Zusammenarbeit und seine Bereitschaft, dieses Werk aufgrund seiner Aktualität in allen verlegerischen Prozessen vorzuziehen, um eine möglichst rasche Veröffentlichung zu ermöglichen.
Alle Autorenbeiträge wurden bis zum 10. Mai 2020 eingereicht und berücksichtigen daher nur jene Entwicklungen bis zum besagten Datum.
Nun wünsche ich allen Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre und hoffe, zusätzlich zu Kolleginnen und Kollegen aus den vielfältigen Bereichen der psychologischen Beratung und Behandlung auch möglichst viele andere interessierte Leserinnen und Leser aus Psychologie-fremden Bereichen zu erreichen.
Basel, im Mai 2020
Charles Benoy
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