Frank Goyke

Der Geselle des Knochenhauers


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Peter.« Alfeld nahm den Schürhaken und stocherte in der Glut. »Im Sommer soll die Hochzeit sein. Und nun kannst du gehen. Gute Nacht!«

      Die Brüder sangen. Sie lobpreisten den Herrn, was bei Predigerbrüdern nicht weiter verwunderlich war. Eusebius konnte zwar den Text nicht verstehen, aber er erkannte die Melodie. Eigentlich hatte er vorgehabt, am Stundengebet teilzunehmen. Durch das kleine, mit Sackleinen verhängte Fenster drang nicht viel Licht in die Zelle, aber Eusebius war klar, dass es längst tagte.

      Er konnte nicht aufstehen. Mors est quies viatoris – finis est omnis laboris, dachte er: Der Tod ist die Ruhe des Wanderers – er ist das Ende aller Mühsal. Nicht, dass er sich prinzipiell den Tod wünschte; trotz seiner apokalyptischen Visionen lebte er gern. An diesem Morgen allerdings hätte er lieber die Ruhe des Wanderers genossen. Tote mussten nicht aufstehen. Sie konnten einfach liegen bleiben, und das für immer. Genauer gesagt, bis zum Jüngsten Gericht.

      Eusebius hatte nicht nur Kopfschmerzen, vor allem peinigte ihn ein flaues Gefühl im Magen. Natürlich würde ihm der Bruder Arzt helfen können: ein Kräutertrank, und alles Übel war beseitigt. Die Frage war nur, wie es ihm gelingen sollte, zum Bruder Arzt zu kommen.

      Unmöglich, dachte Eusebius und schloss die Augen, heute tue ich keinen Schritt.

      »Ehrwürdiger Vater?«, fragte jemand. Es musste ein Mensch sein, denn nur Menschen waren der Sprache mächtig. Dieser Mensch war in Eusebius’ Zelle eingedrungen, ohne dass er es bemerkt hatte. Der Dominikanerpater öffnete die Augen und linste zur Tür. Dort stand ein blutjunger Novize.

      »Nein«, sagte Eusebius.

      »Nein, Ehrwürdiger Vater?«

      »Nein, nein und nochmals nein.«

      »Der ehrwürdige Prior meinte, ich solle mich um Euch kümmern.«

      »So, meinte er das?« Eusebius ließ den Kopf auf das dünne Kissen sinken. Vermutlich hatte sich im Konvent längst herumgesprochen, dass er am vergangenen Abend mit dem Hildesheimer Weihbischof gesoffen hatte. Seiner Reputation war das offenbar nicht abträglich, denn immerhin hatte ihm der Prior einen hübschen Novizen geschickt.

      »Ich habe hier einen Kräutertrank vom Bruder Arzt«, sagte der Knabe. »Trinkt ihn, und alle Eure Leiden sind … Der Bruder Arzt hat so ein komisches französisches Wort benutzt, als er mir den Trank gab. Ich bin doch nur ein Bauernsohn, Ehrwürdiger Vater!«

      »Perdu?«

      »Ja, so sagte er. Per dü!« Der Novize setzte sich zu Eusebius aufs Bett und lächelte. Aus dem Becher in seiner Hand dampfte es, und es roch nach Minze und Kamille.

      Pater noster qui es in coelis, betete Eusebius still vor sich hin. Et ne nos inducas in tentationem – und führe uns nicht in Versuchung. »Wie heißt du?«, fragte er.

      »Johannes, Ehrwürdiger Vater«, sagte der Novize stolz. Das war ein schöner Name. Der Täufer hieß so und der Lieblingsjünger Jesu ebenfalls. Aber andererseits ist es nichts Besonderes, dachte Eusebius, die Welt ist voll von Johannessen, und sie wird dennoch bald untergehen.

      »Und du bist der Sohn eines Bauern?«, fragte Eusebius. »Warum hat dich dein Vater in den Konvent geschickt?«

      »Ihr wart in Rom, Vater?«, erkundigte sich der Novize rasch. Eusebius horchte auf; die Frage nach seiner Herkunft war dem Jungen offenbar unangenehm.

      »Ja, ja«, Eusebius machte eine abwehrende Handbewegung, »aber es ist sehr unhöflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. Also noch einmal: Warum hat dich dein Vater in den Konvent geschickt?«

      »Ich weiß nicht, Herr. Es hat etwas mit der Stiftsfehde zu tun. Habt Ihr von der Stiftsfehde gehört? Ich verstehe das ja alles nicht. Ich bin viel zu jung. Und ich kann noch nicht mal richtig lesen. Aber das Land meines Vaters … also, das hat alles irgendwie mit dem Bischof zu tun. Und mit dem Herrn von Calenberg. Aber das müsst Ihr den Prior fragen, Heiliger Vater. Der weiß Bescheid.«

      »Johannes!«, sagte Eusebius streng. Allmählich fühlte er sich ein wenig besser, obwohl er den Tee noch nicht angerührt hatte. »Ich bin kein Heiliger Vater. So nennt man nur den Papst.«

      »Habt Ihr den Heiligen Vater gesehen?«, fragte der Knabe. Er stellte den Becher mit dem Heiltrank auf den Fußboden und schaute Eusebius in einer Weise an, die den Mönch sofort den Blick abwenden ließ. Es war nicht nur kindliche Wissbegier und ein ebenso kindlicher Eifer, die Eusebius in den Augen des Novizen gesehen zu haben glaubte. Eusebius galt als weit gereister Mann, und bei einem Knaben, den man in einen Konvent eingesperrt hatte, erregte ein solcher Mann natürlich ein gewaltiges Interesse. Aber Johannes schien noch etwas anderes von Eusebius zu erwarten, etwas, was er bei den anderen Männern im Konvent nicht fand – und was Eusebius beunruhigte. »Wie ist er?«, fuhr der Junge fort. »Was hat er gesagt? Vater, bitte erzählt mir vom Papst.«

      »Ich habe nicht mit ihm gesprochen«, Eusebius schmunzelte. »Aber er mit mir.«

      »Und?«, fragte der Knabe atemlos. »Was hat er gesagt?« »Benedicamus Patrem et Filium cum Sancto Spiritu«, sagte Eusebius.

      »Vater, Latein kann ich auch nicht.« Johannes rang die Hände. »Ich will ja … Ich will lernen! Könnt Ihr mir nicht alles beibringen? Ihr kennt doch die Welt.«

      Kenne ich sie?, fragte sich Eusebius. Ja, ich kenne sie. Und sie ist schmutzig. Habgier und Laster beherrschen sie, mordende und plündernde Landsknechte machen sie unsicher, Päpste, Könige, Kaiser streiten bis aufs Blut noch um das kleinste Stück Land. Sie sprechen vom Glauben und meinen doch immer nur Macht und Besitz.

      »Lasset uns preisen den Vater und den Sohn samt dem Heiligen Geist«, murmelte er.

      »Ja, das ist das Tedeum«, sagte Johannes eifrig. »Das kenne ich. Aber der Heilige Vater muss doch … Hat er denn nichts anderes zu Euch gesagt?«

      »Nein.«

      »Was? Ihr habt Euch mit dem Stellvertreter Gottes auf Erden getroffen, und er hat nur das Tedeum gesprochen?« Johannes schaute den Frater verständnislos an.

      »Ja, mein Junge. Ecco, wie die Italiener sagen: So ist es! Es war während einer Generalaudienz. Paul III. nahm mich in der Menge nicht einmal wahr. Und die Audienz fand außerdem in der neuen Peterskirche statt, die ja noch eine Baustelle ist. Um nicht zu sagen ein Trümmerfeld. Ob sie wohl jemals fertig wird?«

      »Dafür erhebt der Heilige Vater ja den Peterspfennig«, sagte der Novize.

      Eusebius schmunzelte angesichts des Eifers, mit dem der Junge sein Wissen unter Beweis stellen wollte. »Ecco.« Er richtete sich mühsam auf. Es war möglich, ohne dass ihn Übelkeit überkam. »Wie alt bist du, Junge?«

      »Fünfzehn.«

      »Und wie lange im Konvent?«

      »Seit sechs Jahren, Ehrwürdiger Vater.«

      »Dann kennst du dich aus in der Stadt?«

      »Ich verlasse das Kloster nur selten, Vater.« Johannes ging auf die Knie und zog Eusebius die Sandalen an. »Es gibt so viel zu tun. Ich muss vor jedem Stundengebet neue Kerzen aufstecken, ich muss die Kirche kehren und den Kreuzgang und den Klosterhof, ich muss dem Bruder Arzt im Kräutergarten zur Hand gehen und auch dem Bruder Koch. Na ja, und ich muss noch sehr viel lernen. Die vielen gelehrten Bücher im Armarium, die will ich irgendwann alle lesen. Wenn ich richtig lesen kann. Und Latein beherrsche. Aber der Bruder Kantor bringt es mir bei. Ich kann meinen Namen schreiben, und wenn ich mir sehr viel Mühe gebe, schaffe ich die erste Seite der Summa theologica.« Johannes schnürte die Sandalen zu und schaute Eusebius von unten traurig an. »Ich verstehe sie aber nicht«, gab er zu.

      »Nicht mal die erste Seite?«

      Der Novize schüttelte den Kopf.

      »Ich werde dir alles erklären.« Eusebius entsann sich wieder des Auftrags, den Weihbischof Fannemann ihm erteilt hatte – bevor der Wein so reichlich geflossen war. »Aber du musst mir auch helfen, Johannes.«

      »Gern, Vater.«

      »Von