Christina Unger

LEICHENSCHMAUS


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Unterlagen zu bearbeiten. Übrigens, gibt es heute noch etwas zu essen?«

      Carla, die wusste, wenn ihr Mann einmal in seinem Arbeitszimmer verschwand, war er blind und taub für alles andere, was im Haus geschah, wollte sich in Gertruds Gegenwart nicht mit ihm streiten.

      »Warte doch wenigstens, bis Steffi wiederkommt«, bat sie.

      Herr Burkhardt stellte den Aktenkoffer ab. »Steffi übertreibt«, sagte er. »Natürlich ist Black Sabbaths Tod für sie persönlich eine Tragödie, aber sie kann doch jetzt nicht herumlaufen und den Nächstbesten beschuldigen.«

      »Ich finde halt«, warf Gertrud ein, »dass man der Sache wenigstens auf den Grund gehen sollte. Wenn es eins dieser verbotenen Fangeisen war, können wir die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Es könnten sich auch andere Tiere darin verfangen, im schlimmsten Fall sogar kleine Kinder. Finden Sie das wirklich so harmlos, Herr Burkhardt?«

      Martin Burkhardts Blick wanderte zu der kleinen fremden Frau, die ihn mit vorwurfsvollen Rosinenaugen taxierte.

      »Natürlich nicht«, erwiderte er und fühlte sich von der neuen Hilfskraft schon jetzt bevormundet. »Ich bin heute nur etwas überarbeitet und habe Hunger.«

      »Ich dachte, du hättest unterwegs eine Kleinigkeit gegessen«, sprach ihn seine Frau mit einem leichten Unterton in der Stimme an. »Ich meine nur – weil es heute so spät geworden ist.«

      »Ich kam nicht zum Essen.«

      »Ich kann für uns alle eine Pizza machen«, bot Carla an.

      Gertrud war dem Gespräch der beiden mit Neugierde gefolgt. Herr Burkhardt sah zwar etwas müde aus, aber ihn schien weder das Schicksal der Katze und schon gar nicht Herr Wallner besonders zu interessieren. Solange sein Umfeld reibungslos funktionierte, dachte sie, war er zufrieden. Sobald aber ein Ereignis eintrat, das diese Harmonie störte, geriet sein Alltag ins Wanken. Typisch Mann! Da konnte auch die zivilisierte Fassade nicht darüber hinwegtäuschen. Und dann auch noch Fertigpizza! Wenn Frau Carla ihr den Kühlschrank, oder besser noch die ganze Küche überlassen würde, könnte sie in Null-Komma-nix ein richtiges Abendessen zaubern.

      Stefanie trampelte ins Zimmer herein. »Dieses Stinktier macht die Tür nicht auf!«, schrie sie. »Ich weiß aber, dass er zu Hause ist!«

      »Darf ich mich einmischen?«, wollte Gertrud wissen. »Ich persönlich finde halt, dass man die Polizei verständigen sollte. Wenn es ein Fangeisen war und es dem alten Wallner gehört, muss er dafür zur Rechenschaft gezogen werden, denn die sind illegal.«

      »Da gebe ich Gertrud recht«, sagte Stefanie unter Tränen. »Mein Blacky ist mitten auf der Straße verreckt, bei diesem Gewitter … ich möchte mir das gar nicht vorstellen!«

      Gertrud fuhr dem Mädchen einmal scheu und unbeholfen über die Wange, darauf achtend, sich nicht in ihrem silbernen Nasenring zu verfangen. Trotz ihrer aufsässigen Art hatte sie es nicht verdient, schon in so jungen Jahren Bekanntschaft mit dem Tod machen zu müssen.

      »Die ganze Welt ist voller Arschlöcher!«, brachte Stefanie es auf den Punkt, und Gertrud nickte heftig ihre Zustimmung.

      In dieser Hinsicht hatte sie mit dem Mädchen eine Gemeinsamkeit gefunden.

      Der alte Wallner

      Auf Drängen von Gertrud und Stefanie wurde zwei Tage später doch die Polizei eingeschaltet. Sie erschien in Gestalt eines jungen Inspektors namens Paul Junghans und einer Polizistin in Uniform namens Maja Fröschl.

      Und tatsächlich, hinter einer verdorrten Hibiskushecke auf dem leeren Grundstück neben ihrem Haus, wurden die Reste von Blackys Körper gefunden – zwei schlanke schwarze Hinterbeinchen. Ob durch eine Falle oder ein Werkzeug vorsätzlich abgetrennt, stand noch nicht fest.

      Vor Stefanie hielt man den grausigen Fund fern, aber für Stefanie war der Fall ohnehin klar: Der Mörder war der bösartige Wallner! Gertrud hatte ihn ja eindeutig identifiziert. Noch ehe die Polizei sich dazu bequemte, Herrn Wallner ins Verhör zu nehmen, nahm sie die Sache selbst in die Hand. Gleich nach der Schule stellte sie ihr Fahrrad vor dem Haus Nummer 32 ab. Argwöhnisch beobachtete sie das nahe Umfeld und hoffte, durch die offenen Vorhänge die Visage des Katzenmörders zu erblicken. Durch die schmutzigen Fenster blickte sie aber nur in eine altmodische Küche und ein leeres Wohnzimmer. Vielleicht aber schlief er ja, der alte Bösewicht, hielt ein Nickerchen und träumte schon vom nächsten Mord an einem unschuldigen Tier.

      Resolut betätigte sie die Glocke am Gartentor. Sie läutete Sturm, aber nichts rührte sich. Kurz entschlossen drückte sie die Klinke herunter und fand sich in einem vernachlässigten Vorgarten. Sie hämmerte an die Haustür, aber niemand öffnete. Schließlich kämpfte sie sich durch das Unkraut zur Hinterseite des Hauses, stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte durch eines der Fenster. Gleich darauf prallte sie zurück und wäre beinahe über einen verdorrten Brennnesselstrauch gestolpert.

      Um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht bloß etwas eingebildet hatte, stellte sie sich erneut auf die Zehenspitzen und drückte sich die Nase an der halbblinden Fensterscheibe platt. Und dort, auf dem verdreckten Linoleumfußboden, lag der alte Wallner in seinem Blut! Rund um seinen Kopf hatte sich ein kleiner roter See gebildet, der schon ein wenig eingetrocknet zu sein schien.

      Im ersten Moment wurde Stefanie beinahe schlecht, aber es dauerte nicht lange, bis der kurzfristige Schock von hämischer Schadenfreude abgelöst wurde. Irgendjemand hatte dem Mörder den Garaus gemacht. Im Stillen sprach sie, wem auch immer, ihren Dank dafür aus.

      Es war fünfzehn Uhr und sie schob ihr Fahrrad über die Straße zu ihrem Haus. Dort gab ihre Mutter der neuen Putze gerade Anweisungen.

      »Stell dir vor, Mami!«, rief Stefanie aufgeregt. »Der alte Wallner ist tot!«

      »Steffi!«, rief ihre Mutter entsetzt. »Was redest du denn da?«

      Nur Gertrud schien sich ehrlich mit ihr zu freuen.

      Carla Burkhardt hielt diese Nachricht für bloßes Wunschdenken ihrer Tochter. Entsetzt war sie nicht so sehr über den wahrscheinlich ohnehin nur eingebildeten Tod des Nachbarn, sondern über die offene Freude darüber. Sie umklammerte den Griff eines Staubsaugers, denn sie war gerade dabei gewesen, Gertrud zu erklären, wie das Gerät funktionierte. Nach Gertruds apathischem Gesicht zu schließen, schien dieser die Handhabung eines gewöhnlichen Staubsaugers jedoch sonnenklar zu sein.

      »Dann geh doch selbst rüber«, forderte Stefanie ihre Mutter auf. »In seinem Schlafzimmer liegt er – mausetot.«

      »Entschuldigen Sie mich, Gertrud«, wollte Carla dem Spuk ein Ende setzen und fasste ihre Tochter am Arm. »Du gehst jetzt mit mir zu Herrn Wallner und klärst die Sache auf.«

      Stefanie schnitt eine Grimasse in Vorfreude auf das, was ihre Mutter erwartete, und fragte: »Wollen Sie mitkommen, Gertrud?«

      Gertrud wischte sich erst einmal gründlich an ihrer Kleiderschürze die Hände ab und grinste gut gelaunt: »Da komm ich doch glatt mit! So was lass ich mir doch nicht entgehen! Wenn der alte Wallner wirklich tot ist, weine ich ihm keine einzige Träne nach.«

      Es war zwar ziemlich dunkel, da der Himmel wolkenverhangen war, aber Gertrud und ihre Mutter würden noch genug sehen, wie es um den alten Wallner stand. Stefanie freute sich bereits über das Gesicht ihrer Mutter.

      Carla läutete einige Male vergeblich am Gartentor und Stefanie stand mit verschränkten Armen und rollenden Augen daneben. Ihre Mutter konnte hier bis zum Nimmerleinstag warten, davon wurde der Katzenmörder auch nicht wieder lebendig.

      Mit ihrer Geduld am Ende drückte Stefanie die Klinke herunter und schritt durch das Tor.

      »Du kannst doch nicht …«, fiel Carla ihrer Tochter in den Arm.

      »Willst du nun die Wahrheit sehen oder nicht?«

      Als von ihrer Mutter nur ein Seufzen kam, schritt sie energisch voran, durch den vorderen Garten bis zur Hinterseite des Hauses. Dort zeigte sie stumm mit dem Finger auf das Fenster.