Hans Ostwald

Das Zillebuch


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Schwingungen ins Berliner Weihnachtsfest. Und die vielen Filmstücke, die unter Berufung auf Heinrich Zille über die Flimmer-Leinwand gingen, haben seinen Ruf ebenso ausgenutzt wie gefördert. Bei einigen hat er mit geholfen durch Szenenentwürfe und Figurinen. So z.bsp; B. beim Film vom fünften Stand. Das reizte ihn sogar zu einer Zeichnung, auf der viele seiner Typen vor einem Kintopp erschienen und sagten:

      »Das sind wir ja alle!«

      Manchen Schauspielern gaben diese Zillefilme auch Gelegenheit, sich erst richtig zu entfalten, mehr auf der Leinwand als auf der offenen Bühne zu zeigen. Heinrich George bewies eine tragische Wucht in dem von Carl Boese ausgezeichnet gestellten Film: »Kinder der Straße«, die man ihm bisher nicht zugetraut – und die man auch den Gestalten Zilles, dem Berliner Volk nicht zugetraut hatte. Aber es hat ganz gewiss auch seine tragische Größe in sich ...

      So ist es auch zu verstehen, dass Zille in einem Bildchen (siehe Bild 3) einmal indirekt gegen die Filme sich äußerte – zugleich aber auch eine Anerkennung jenen Schauspielern aussprach, die seine Gestalten auf der Flimmerwand »geschoben« hatten.

      Der Erfolg dieser Filme – sie mussten meist viele Wochen lang gespielt werden und waren in allen Filmtheatern Berlins und von ganz Norddeutschland zu sehen – bewies, wie echt die Zillekinder und -mädchens gespielt wurden – und wie berühmt Zille ist ....

      *

      Hat nun die Berühmtheit auch Zille manches von dem gebracht, was eben jeder Berühmte über sich ergehen lassen muss: Belästigung durch die Organe der Öffentlichkeit, Hineinströmen aller möglichen und unmöglichen Menschen in sein eigenes Heim, neugieriges Hineinstarren in sein Leben, in sein alltägliches Gehaben, in sein Tun und Lassen, Hineindrängen in sein innerstes Wollen und Nichtwollen – und nicht zum wenigsten auch das Hereinzerren seiner Persönlichkeit in die Öffentlichkeit und in den Vergnügungsrummel von Groß-Berlin (siehe den Zilleball und die herben Worte, die er im Kapitel von den Zillefesten über ihn sagt) – er hat sich gewiß mit diesen Unannehmlichkeiten abgefunden und ist gewiß froh darüber, dass er auch dort berühmt geworden ist, wohin ihn seine menschlich stets mitempfindende Künstlerseele gezogen hat:

      Beim Volk, bei den Schichten, die in den dumpfen Winkeln und Mietskasernen wohnen. Von den Auswirkungen in diesen Kreisen mögen die Abschnitte »Zille in der Liebe des Volkes« und »Zille und seine Modelle« künden.

      Aber nicht nur bei ihnen, denen er durch seine ungeschminkten Schilderungen gedient und geholfen hat, ist er berühmt geworden. Er wird auch weiter berühmt bleiben als jener Meister, der das Volk unserer Tage mit der größten Liebe dargestellt hat.

      Der allgemeinen Beliebtheit, der Zille und seine Gestalten sich erfreuen konnten, verdankte er auch einige Anerkennungen, die nicht jedem Künstler dargebracht werden. Nicht nur in allen guten humoristischen Zeitschriften erschienen seine Blätter. Nicht nur wurden seine Bücher und Alben in vielen zehntausend Exemplaren verkauft – ja, manche Zillealben brachten es bis jetzt fast auf eine Auflage von nahezu einhunderttausend Stück. Die Popularität seiner Gestalten führte schließlich zur Einrichtung von Festen, die unter seinem Namen viele Tausende von Menschen in fröhlicher Ungebundenheit versammelten. Zuerst wurde Zille gebeten, sich an dem Karikaturistenball zu beteiligen. Groß war der Erfolg dieser Bälle, die bereits vor'm Kriege ihren Höhepunkt erreichten und die meistens in den Sälen des Admiralspalastes am Bahnhof Friedrichstraße ihren lustigen und bunten Balltrubel austoben ließen. Was Zille für diesen Ball bedeutete, möge ein Auszug aus der satirischen Festzeitung vom Karikaturistenball vom 17. Februar des Jahres 1912 erläutern:

      »Der Kaiser bei Zille. Das große Interesse des höchsten Schutzherrn deutscher Kunst an modernen Karikaturen veranlasste eine Anfrage des Hofmarschallamtes bei dem Präservator deutscher Zeichenkunst Moritz Furunkel, von der ›L'Illustration Berlinoise‹, der einen Besuch bei dem mit dem Menzel-Preis ausgezeichneten Illustrator H. Zille vorschlug. Diesen Besuch hat der Kaiser vor einigen Tagen ausgeführt und wir geben nachstehend eine Schilderung unseres Hofberichterstatters Alfred Holzkopp über das historische Ereignis:

      Punkt 5 Uhr rollte das Hofauto in der Mulackstraße vor das primitive Kelleratelier, in dem der Meister hauste. Der Kaiser wurde zunächst von zwölf weißgescheuerten Ehrenjungfrauen empfangen, die ihm ein Bukett überreichten. Nachdem er hierauf mit Taucherhelm und Sauerstoffapparat ausgerüstet worden war, betrat er die mit Zillescher Eleganz ausgestatteten Kellerräume und besichtigte eingehend die ausliegenden Zeichnungen. Der Kaiser bestellte nun noch einige Entwürfe zu Kadiner Kacheln, und nachdem er aus der Hand des Meister Zille noch eine echte Berliner ›Weiße mit Strippe‹ kredenzt erhalten hatte, fuhr er hochbefriedigt ins Schloß zurück.«

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      26. Venus im Pelz. Parodie nach dem gleichnamigen Bild von Rubens.

      Aus einer Einladung zum Karikaturistenball 1925.

      In der Wintertanzzeit 1924–1925 wurde dann im Großen Schauspielhaus der ›Hofball bei Zille‹ veranstaltet. Ein kleines Stück von Hans Brennert unter gleichem Namen brachte sehr hübsch und eindringlich einen Teil vom Zillemilljöh und von Zillegestalten auf die Bühne. Die Dekoration gab ein echtes Stück Alt-Berlin wieder. Die Szenenbeschreibung sei deshalb hier nach dem Entwurf von Brennert mitgeteilt:

      Hof im »Gelben Anton« in Berlin O.

       Rechts und links: Seitenflügel mit Eingängen zum Hintertreppenhaus.

       Hintergrund: Hofseite des Vorderhauses mit Hausflur zur Straße.

       Stallung. Müllkasten. Retirade.

       Fenster mit Wäsche und Blumenkasten.

       Über den rechten Seitenflügel sieht eine benachbarte Fabrik.

       Rohgezimmertes Podium für die Musikkapelle mit altem Klavier.

       Girlanden mit Lampions quer über den Hof von Flurfenster zu Flurfenster.

       Bierausschank in improvisierter Bude an der einen Hofseite. (Siehe Bild Nr. 24 und 25.)

      Um einen kleinen Überblick über die eigenartigen Personen des Stückes zu haben, möge auch das Personenverzeichnis folgen:

Matrosenkarl Rosenfrieda Pyjamajule Radieschen Pinselheinrich Schrammelfredy Bollenjuste Honiglene Mieter im »Gelben Anton«

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      27. »Milchflaschen! Ersatz für Muttermilch!« Studie vom Weihnachtsmarkt.

      Nach dem Original.

      Menke, Verwalter des »Gelben Anton«

       Frau Menke, seine Frau.

       Mieter, Mieterinnen, Kinder,

       Musikkapelle, Schutzleute.

      Das Stückchen schildert ein Volksfest auf einem Hof im Volksviertel, mit Musikkapelle, Männerquartett, Kinderreigen, Polonäse usw. Inhalt: Matrosenkarl ist aus Plötzensee gekommen, wo er zwei Jahre »gesessen« hat. Seine Freundin hat sich unterdessen einem andern Manne angeschlossen – Matrosenkarl ist niedergeschlagen – eine andere will ihn aufrichten – aber seine frühere Freundin verrät ihn und Matrosenkarl wird wieder abgeführt: nach Plötzensee.

      Diese einfache Handlung ist mit mehreren reizenden und auch einigen echten Gesängen durchzogen, von denen hier zuerst das Auftrittslied vom Matrosenkarl mitgeteilt sei:

      Zwee Jahre saß ick widder in de Plötze!

       Ach detse ickse nie jesehen hättse!

       Zwee Jahre Einzelhaft uf Flüjel C –

       Und täglich blauen Heinrich – na nu nee!

      Ihr werdet mein Jefiel ja leicht ermessen.

       Ihr habt ja alle ooch darin jesessen!

       O welch