Elisabeth Kubler-Ross

Lebe jetzt und über den Tod hinaus


Скачать книгу

der Angehörigen zu tun, sondern auch mit jener der niedergelassenen Mediziner. Sterben muss denjenigen, die angetreten waren, es zu verhindern, als Niederlage erscheinen. In dieser Hinsicht zu klassischen Verlierern erzogen, vermeiden sie es daher in der Regel lieber, Zeugen der eigenen Niederlage zu werden, und weisen die Patienten “rechtzeitig” in Kliniken ein, wo alles wenigstens hinter verschlossenen Türen stattfindet. Die dortigen Mediziner schützen sich in der Regel durch Abwesenheit im entscheidenden Moment vor der Erkenntnis der Niederlage und der Erinnerung an die eigene Sterblichkeit.

      Sterben ist in deutschen Krankenhäusern im Allgemeinen noch immer eine schreckliche Erfahrung. Was sich im Gefolge der Arbeit von Elisabeth Kübler-Ross und der Hospiz-Bewegung als Alternative zum Abgeschobenwerden auf den Gang oder in angrenzende Zimmer entwickelt hat, ist zwar wundervoll, aber doch nur ein Tropfen (hoffentlich der erste und nicht der letzte!) auf den berühmten heißen Stein. Die Mehrheit der Patienten landet in Klinik-Mehrbettzimmern, wo schon die anderen Patienten dafür sorgen, dass sie zum Sterben auf den Gang geschoben werden.

      Der Schlusspunkt unter dem beeindruckenden Leben der großen Sterbeforscherin zeigt, wie schwer diese ganze Thematik zu bewältigen ist. Elisabeth Kübler-Ross konnte ihre Erkenntnisse auf ihren eigenen Tod kaum anwenden und geriet zum Lebensende nach einem Schlaganfall in eine schreckliche Situation des Widerstandes, die ihren vielen Anhängern schwer zu schaffen machte und natürlich Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner war. Aber anstatt dieses persönliche Scheitern am eigenen Anspruch zu nutzen, um ihre Arbeit rückwirkend zu entwerten, könnten wir daran vielmehr sehen, wie schwer diese Thematik für westliche Menschen ist. Elisabeth Kübler-Ross’ Werk bleibt dennoch ein wundervoller Schritt in die richtige Richtung, das Sterben mit dem Leben zu versöhnen.

      (Dieses Vorwort entstammt mit der Genehmigung des Autors seinem Buch Von der großen Verwandlung – Wir sterben … und werden weiterleben. Crotona 2011)

image

      »Der Tod existiert nicht!«

       “Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen: Es gibt keinen Tod.”

      1982 besuchte ich meine amerikanische Freundin Judy in Birmingham im Staate Alabama. Als gelernte Krankengymnastin und nun auch als Ausbilderin in diesem Fach betreute sie gelegentlich den ehemaligen Gouverneur George Wallace, der nach einem Attentat nur noch im Rollstuhl gefahren werden konnte. Bei meinem Besuch fand ich in einem Stapel von Illustrierten in der Zeitschrift The CoEvolutionary Quarterly einen 1977 erschienenen Artikel über Elisabeth Kübler-Ross, den ich mit Spannung las und welcher in der Folge mein Leben verändern sollte. Ich hatte den Namen dieser Ärztin wohl gelegentlich vernommen, aber noch nichts von ihr oder über sie gelesen. Die Überschrift dieses Artikels lautete: Death Does Not Exist (“Der Tod existiert nicht”). Dieser wurde von der Herausgeberin Frau Ferguson mit folgenden Worten eingeleitet: “Charisma ist ein zu schwacher Ausdruck für die gefühlte Elektrizität, die die Zuschauer überkam, als Kübler-Ross mit ihrem Vortrag begann. Die meisten der 2300 Zuhörer wurden zu Tränen gerührt. Nach Beendigung ihrer Rede herrschte zuerst für einige Momente Schweigen. Doch dann erhoben sich alle gemeinsam und klatschten Beifall.”

      Ich will hier die für dieses Buch wesentlichen Teile des Vortrags wiedergeben, der anlässlich eines Symposiums an der Universität von Kalifornien in San Diego unter dem Motto “Das Heilzentrum der Zukunft” gehalten wurde. Elisabeth Kübler-Ross stellte das Thema Liebe in den Vordergrund, denn “richtig zu leben heißt eigentlich, lieben zu lernen.”

      Sie beginnt, über ihre Lebenslaufbahn zu sprechen, die als Drilling in der Schweiz 1926 begann. Als Medizinstudentin kam sie 1946 nach Polen, um dort beim Wiederaufbau zu helfen, und hier entdeckte sie in den Baracken des Konzentrationslagers “Majdanek”, wie Kinder vor ihrem Tod Schmetterlinge in die Bretterwände geritzt hatten, so als wüssten sie, dass sie nach dem Tod in etwas Höheres verwandelt werden. Somit wurde hinfort das Schmetterlingsmotiv für Elisabeth ein Symbol für die Verwandlung des Erdenmenschen in ein schöneres Wesen in der jenseitigen Welt.

      Durch ihre Heirat mit Manuel Ross kam sie nach Amerika, wo sie in verschiedenen Hospitälern als Ärztin arbeitete, besonders mit Kindern. Die Kinder wurden, wie sie sagte, ihre größten Lehrmeister, denn sie berichteten ihr kurz vor ihrem Tod, dass jemand da sei, um sie abzuholen. Meistens handelte es sich um eine bereits verstorbene Person aus der Verwandtschaft oder auch um einen Engel. So erzählte eine Zwölfjährige, die man schon für tot gehalten hatte, ihrem Vater nach ihrem Aufwachen über ihr schönes Erlebnis in der jenseitigen licht- und liebevollen Welt. Dort begegnete sie einem Jungen, der sich ihr gegenüber als ihr Bruder ausgab und sie zärtlich und liebevoll umarmte. Zu ihrem Vater sagte sie: “Das einzige Problem, das ich mit diesem Erlebnis habe, besteht darin, dass ich gar keinen Bruder habe.” Und der auf einmal weinende Vater erklärte ihr, dass sie ein Brüderchen gehabt habe, das aber vor ihrer Geburt schon verstorben sei. Die Eltern hatten ihr gegenüber nie darüber gesprochen.

      Zum Thema “klinischer Tod” sagte Elisabeth Kübler-Ross: “Nicht einer meiner Patienten, denen solch ein todesnahes Erlebnis widerfahren war, hatte danach noch irgendwelche Furcht vor dem Tod. Und ich möchte nochmals betonen: auch nicht ein Einziger! Viele dieser Patienten haben mir auch gesagt, dass sie außer dem Frieden, der sich bei ihnen einstellte, dem Gleichmut, dem Innesein sowie der Erfahrung, wohl wahrnehmen zu können, aber selbst nicht wahrgenommen zu werden, ein Gefühl des Ganzseins verspürten. Darunter ist zu verstehen, dass jemand, der bei einem Autounfall ein Bein verloren hat und dieses auf der Straße liegen sieht, nach dem Heraustreten aus seinem physischen Körper bemerkt, dass er wieder im Besitz seiner beiden Beine ist.

      Eine unserer Patientinnen erblindete bei einer Explosion im Labor. Unmittelbar danach befand sie sich außerhalb ihres Körpers und konnte wieder sehen. Sie sah die weiteren Folgen dieses Unfalls mit an und beschrieb später, was geschah, als Leute hinzueilten. Als es den Ärzten später gelang, sie wieder ins Leben zurückzuholen, war sie völlig erblindet. Verstehen Sie nun, warum sich viele von ihnen gegen unsere Versuche wehren, sie ins Leben zurückzuholen, wenn sie sich doch an einem weit wunderbareren, viel schöneren und vollkommeneren Ort befanden?

      Viele Leute werden nun sagen: ‘Dies ist eine aus dem Wunschdenken heraus erzeugte Gedankenprojektion. Denn jene, die sterben, sind einsam, fühlen sich verlassen und fürchten sich. Somit projizieren sie jemanden vor sich, den sie lieben.’ Wenn diese Behauptung wahr wäre, dann müssten neunundneunzig Prozent meiner Fünf-, Sechs- und Siebenjährigen ihre Mutter oder ihren Vater sehen. Aber nicht eines von all diesen Kindern, von denen wir über Jahre hinweg Fälle zusammengetragen haben, sagte, dass es bei seinem Scheintoderlebnis seine Mutter oder seinen Vater gesehen hätte, da diese ja noch lebten.

      Zwei Bedingungen haben sich als ein gemeinsamer Nenner bei der Frage herausgestellt, wen man beim Scheintod sieht. Erstens: Der oder die Gesehene muss schon vor einem selbst ‘hinübergegangen’ sein, und handele es sich dabei nur um eine Minute. Und zweitens: Es muss zwischen beiden ein echtes Band der Liebe bestanden haben.”

      Was, liebe Leser, hätten Sie beim Lesen eines solchen Artikels gedacht, gespürt, empfunden? Hier spricht eine Ärztin über ihren Werdegang, der sie auf wunderlichste Weise neues Territorium in der Medizin erforschen lässt und sie als die Sterben-und-Tod-Dame berühmt macht, die schließlich bei ihrer Arbeit auch Hilfe aus der Welt der Verstorbenen erhält, die in einer für uns unsichtbaren Welt leben, in welcher man einen neuen, gesunden Körper erhält, in einer Welt, die zugleich viel schöner als die unsere ist. Sollte es denn wahr sein, dass wir nach dem Tod weiterleben und auch die Möglichkeit haben, mit den Erdbewohnern zu kommunizieren oder uns ihnen gar zu zeigen? Wenn all das, was diese Ärztin sagt, der Wahrheit entspricht, wird sich bei jedem, der solch einen Vortrag hört oder liest, ein Umdenken einstellen. Man kann es fast als Paradigmenwechsel bezeichnen, denn die eigentliche Botschaft lautet: Wir müssen keine Angst vor dem Tod haben, denn es gibt ihn nicht. Nach unserem Tod leben wir in einer schöneren Welt weiter, und sollten wir als Erdenbürger alt, gebrechlich oder physisch versehrt gewesen sein, haben wir “auf der anderen Seite des Schleiers” wieder einen heilen, gesunden