Elisabeth Kubler-Ross

Lebe jetzt und über den Tod hinaus


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fühlte ich mich doch mit dem, worüber sie sprach, sehr verbunden. Nach einigen Schwierigkeiten wurde mir gestattet, in drei Tagen abends an Elisabeth Kübler-Ross’ Workshop mit dem Titel Life, Death und Transition (“Leben, Tod und Übergang”) teilzunehmen. Ich erhielt die genaue Anschrift des Seminarzentrums und flog zwei Tage später nach San Diego. Dieses Zentrum ist versteckt in einem Wald aus Fichten gelegen. Dort parkte ich meinen Wagen und ging auf das Gebäude zu, aus dessen geöffneter Tür nun die Seminarteilnehmer kamen. Ich fragte sie, wo Elisabeth sei. Doch keiner wusste genau, wo sie sich gerade aufhielt. Während ich noch weitere Erkundigungen einholte, brauste ein Pick-up an mir vorbei. Dieser war voll beladen mit einem Berg von Kiefernzapfen – und oben drauf saß Elisabeth Kübler-Ross. Als sie herabgestiegen war, stellte ich mich ihr vor und dankte ihr für die Einladung. Sie sagte, dass sie jetzt keine Zeit für mich habe, winkte aber einen jungen Deutschen herbei, der mir erklärte, worum es in dem Seminar ging. Die Seminare, die Elisabeth Kübler-Ross weltweit gebe, seien immer auf siebzig, maximal fünfundsiebzig Teilnehmer begrenzt, wobei ein Drittel aus Sterbenskranken oder Eltern sterbenskranker Kinder bestehe. Ein weiteres Drittel bestehe aus Ärzten, Geistlichen, Sozialarbeitern, Therapeuten und Krankenschwestern, und das letzte Drittel setze sich aus jenen zusammen, die ganz “normale” Leute seien und unbedingt einen solchen Workshop miterleben wollten. Am heutigen Donnerstagabend finde auch eine Kiefernzapfenzeremonie statt, weshalb Elisabeth vorhin mit einer Ladung Kiefernzapfen zurückgekehrt sei, die sie mit anderen aufgesammelt habe.

      Dann führte er mich zu dem Platz, wo diese Zeremonie nun stattfinden sollte. Vorne war eine Feuerstelle zu sehen, um die die Kiefernzapfen gelegt wurden, und allmählich strömten nun die Teilnehmer herbei und nahmen auf Bänken Patz. Ich suchte mir neben meinem neuen Freund einen Platz und wartete, was wohl geschehen möge. Schließlich wurde ein Haufen dieser Kiefernzapfen auf der Feuerstelle angezündet, und dann erschien in der vom Feuergeflacker gespenstisch erhellten Nacht Elisabeth. Hier sprach keiner mehr von Frau Dr. Ross. Denn sie war allen eine enge Vertraute geworden, die sich trotz ihres Doktortitels in nichts von anderen unterscheiden wollte. Sie stellte sich nun vor dieser Feuerstelle auf und erklärte, was jetzt stattfinden würde. Ein jeder habe sich in den ersten Tagen indirekt, aber vor allem direkt von alten mitgeschleppten und oft verdrängten Programmierungen, die mit Ängsten und vor allem Kindheitstraumata zusammenhingen, gelöst. Jeder nehme nun einer nach dem anderen einen der Kiefernzapfen und stopfe alles in ihn hinein. Dabei sage er laut und vernehmlich, von was er sich nun in diesem Workshop gelöst habe. Ein Rollstuhlfahrer beispielsweise nahm einen Zapfen in die Hand und sagte: “Ich vergebe Gott, dass er mich als Krüppel auf die Welt kommen ließ.” Ein anderer: “Ich hadere nicht mehr mit meinem Schicksal. Ich nehme es jetzt als wichtige Lernaufgabe an und befreie mich von meinen Depressionen.” Und daraufhin warf ein jeder seinen Zapfen in das Feuer. Einige Frauen waren als Kind missbraucht oder als junge Frau vergewaltigt worden. Nun vergaben sie ihren Übeltätern, da Elisabeth sie gelehrt hatte, dass es keine Zufälle gibt und dass aus höherer Sicht alles gerecht ist. Eine Frau, die sagte, dass sie sich nie getraut habe, vor anderen zu singen, stopfte diese Angst in den Zapfen, warf ihn in das Feuer, drehte sich wieder zu uns und sang eine wunderschöne Arie. Wir waren alle ganz bewegt.

      Nach der Zeremonie fragte ich Elisabeth, ob ich mich mit ihr über unsere spirituellen Erfahrungen austauschen könne. Sie schlug vor, dass wir bei Mondschein einen Spaziergang durch den Fichtenwald unternehmen könnten, und ein Schweizer Gast schloss sich uns an. Ich berichtete ihr von einem Erlebnis in Ephrata, und sie erzählte uns, dass sie ebenfalls Materialisationen in San Diego und in Escondido erlebt hatte. Denn dort gab eine spiritistische Gruppe, die in einem verdunkelten Raum Séancen abhielt, wobei sich Geistwesen materialisierten und sich auch durch die sogenannten Trompeten vernehmen ließen. Unser Schweizer hörte nur schweigend zu, über was wir uns unterhielten. Ihr Geistführer habe sich ihr mit Namen vorgestellt, sagte Elisabeth, wie sie auch von ihren jenseitigen Freunden begleitet würde, die ihr die Kraft geben, ihr ungeheures Pensum auf Erden zu bewältigen. Doch an eine dieser besonderen Begebenheiten, die sie uns beiden offenbarte, erinnere ich mich noch ganz genau.

      Sie war vor einigen Monaten in Australien gewesen, um dort wieder Vorträge und Workshops abzuhalten. Und eines Abends in ihrem Hotelzimmer brach sie förmlich zusammen. Sie musste hemmungslos schluchzen. Ein Psychiater würde von einem massiven Burnout-Syndrom gesprochen haben. Sie fragte sich: Warum reise ich von einem Land ins andere, gebe überall auf der Welt Workshops oder halte Vorträge? Ich bin fast nie zu Hause. Mein Mann hat nichts von mir, und meine beiden Kinder schon gar nicht. Was bin ich nur für eine schlechte Ehefrau und Mutter. Warum habe ich diese schwere Aufgabe übernommen, so vielen Menschen wie möglich darüber zu berichten, dass es den Tod in Wahrheit ja gar nicht gibt und man keine Angst vor dem Tod zu haben braucht? Ich gebe auf. Dies alles ist zu viel für mich. Ich will nach Hause.

      In diesem Augenblick materialisierte sich ihr Geistführer vor ihr, den sie schon aus den Séancen in Südkalifornien bestens kannte. Er war, wie sie uns beschrieb, nur bis zu den Hüften zu sehen. Er schaute sie mit einem ganz liebevollen Blick an, streckte seine Hand aus und berührte sie mit dieser im Nacken. Und auf einmal durchströmte sie eine wohltuende Energie, die sie wieder voll zu Kräften kommen ließ. Nachdem sie einige Minuten diese Kraft in sich hineinfließen lassen konnte, lächelte sie dankbar und sagte ihrem ansonsten unsichtbaren Begleiter: “Ja, ich mache weiter.”

      Am letzten Tag nach dem Frühstück versammelten sich alle im Seminarraum. Während einige auf Stühlen Platz nahmen, hatten sich andere vor Elisabeth auf dem Boden niedergelassen, und sie berichtete im Einzelnen über den Sterbeprozess und das Leben nach dem Tod. Sie beantwortete viele Fragen, und ihre Art im Gespräch mit Teilnehmern umzugehen, brachte uns hin und wieder zum Lachen. Sie strahlte in ihrer Natürlichkeit und Direktheit ein ganz besonderes Charisma aus, sodass eine Begegnung mir ihr immer ein bleibendes Erlebnis war. Und als wir beide uns voneinander verabschiedeten, wussten wir, dass wir uns gewiss irgendwann wiedersehen würden.

      In jenem Seminarhaus erstand ich eine von Elisabeths Kassetten mit dem Titel Life, Death and Life After Death (“Leben, Tod und das Leben nach dem Tod”). Noch wusste ich nicht, dass ich den größten Teil dieser von ihr besprochenen Kassette einmal selbst als Buch herausgeben würde. Dort schildert sie eine ihrer wichtigsten Erfahrungen, und diese möchte ich hier wiedergeben.

      “Eine meiner ersten Erfahrungen wurde mir während einer wissenschaftlichen Untersuchung zuteil, bei der es mir erlaubt war, meinen Körper zu verlassen. Dieses Experiment wurde mithilfe iatrogener Mittel in einem Laboratorium in Virginia durchgeführt und zugleich von einigen skeptischen Wissenschaftlern überwacht. Während einer meiner außerkörperlichen Erfahrungen wurde ich von dem Versuchsleiter zurückgeholt, da er meinte, ich sei zu zeitig und zu schnell aus meinem Körper ausgetreten. Sehr zu meiner Bestürzung hatte er damit gewissermaßen in meine eigenen Belange und in meine eigene Personalität eingegriffen. Ich nahm mir bei einem wiederholten Versuch eines außerkörperlichen Erlebnisses fest vor, dieses Problem eines fremden Eingreifens dadurch zu umgehen, indem ich mich selbst programmierte, schneller als Lichtgeschwindigkeit und weiter, als je ein Mensch zuvor bei solch einem Experiment zu schweben versuchte, zu fliegen.

      Und in dem Augenblick, als der Versuch eingeleitet worden war, verließ ich meinen Körper und bewegte mich mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Das Einzige aber, woran ich mich bei meiner Rückkehr in meinen physischen Körper noch erinnern konnte, war das Wort SHANTI NILAYA. Ich hatte keinerlei Idee von der Herkunft oder Bedeutung dieses Wortes. Ich wusste also nicht, wo ich gewesen sein mochte. Doch ich war mir noch vor meiner Rückkehr bewusst, dass ich von einer nahezu völligen Darmverstopfung wie auch von einem sehr schmerzhaften Rückenproblem, das mich daran gehindert hatte, auch nur ein Buch hochzuheben, geheilt war. Und tatsächlich! Als ich dieses außerkörperliche Experiment beendet hatte, stellte ich fest, dass mein Darm von seiner Verstopfung befreit war. Ja, ich vermochte sogar, einen hundert Pfund schweren Zuckersack ohne Anstrengung und Schmerzen hochzuheben. Die Dabeistehenden sagten mir, dass ich zwanzig Jahre jünger aussehe. Jeder von ihnen drang in mich, um noch weitere Informationen über mein Erlebnis aus mir herauszuholen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich bei meinem außerkörperlichen Ausflug gewesen war, bis ich in der folgenden Nacht mehr darüber erfuhr.

      Jene Nacht verbrachte ich in einer verlassen stehenden Pension inmitten eines Waldes, der zu den Blue