Ich packte zwei kurze Lauftights, zwei ärmellose, zwei kurzärmelige, zwei Langarmshirts, einen Pullover, eine Regenjacke, Shorts-Badehose, lange Freizeithose, Socken und Unterwäsche ein – das meiste von thonimara. Ich könnte mich also zwei mal umziehen, das ist schon fast Luxus.
Ganz großes Thema für mich: Navigation. Die neue Fenix 5 von Garmin war seinerzeit kurz vor dem Markteintritt, die erste Uhr mit Navigation am Handgelenk. Aber sie kam einfach zu spät. Und außerdem zeigte sie zwar die geplante Route, nicht aber eine Karte an. Wie die Navigation auf dieser neuartigen Uhr funktioniert, war auch schwierig heraus zu finden, weil es sie erst ab Frühjahr 2017 geben sollte. Da ging ich lieber auf Nummer sicher und kaufte mir das Garmin GPSmap 64. Dazu kaufte ich die Karte ‚Topo active Europe‘. Das Gerät ist ein ziemlich schwerer Knochen. Es erinnerte mich an mein erstes Handy. Aber es ist geschützt gegen Staub + Sturz und ist wasserdicht. Es hält lange, lässt sich bei jedem Wetter sehr gut ablesen und bedienen usw. Ich hatte es später hinten in meiner Laufhose und so ging es ganz gut. Auf eine Laufuhr verzichtete ich weiterhin bis vor kurzem. Nachdem ich mir nun doch eine SUUNTO Spartan zugelegt habe, kann ich damit auch navigieren, aber es passen nicht genug Routen auf die Uhr, um die gesamte Tour abzudecken. In dem GPS-Gerät sind hochaufllösende Karten mit jedem Weg und jedem Steg in ganz Europa drin. Es erklärt sich leider nicht selbst und ich haderte gelegentlich damit. Aber letztendlich war es super. Ich klickte mir im Computer die geplanten Routen zusammen und übertrug sie dann auf das GPS. Später habe ich mich oft nicht daran gehalten und sah die Routen eher als Empfehlung. Manches, was man am „grünen Tisch“ plant, sieht in der Realität ganz anders aus. Das Vorplanen der Karten ist aber auch eine gute Übung, um mir die Länge der gesamten Tour klar zu machen und mir die Orte immer wieder zu merken. So konnte ich auch überlegen, an welchen Orten sich vielleicht ein Pausentag lohnt und überhaupt wollte ich damit durchzählen, wann ich wo eintreffe. Das war auch für das Russlandvisum wichtig.
Ich ließ mich impfen und vom Arzt durchchecken, kaufte verschiedene Medikamente und Verbandszeug für den Notfall. Dabei waren auch Antibiotika, Aspirin und Ibuprofen. Ich mag keine Pillen, aber so ganz ohne wäre vielleicht auch blöd, wenn’s ernst wird.
Zur Ausrüstung gehören auch ein Gaskocher samt Kartusche, ein leichter Topf, Besteck, Becher und Wasserflaschen. Für die Nächte draußen beschaffte ich ein superleichtes Bergnotzelt, Schlafsack, Isomatte, Kopfkissen und eine Plane zum drunterlegen. Jedes Teil wiegt nur 300 bis 400g – unglaublich, denn meine bisherige Campingausrüstung passte etwa in einen Umzugswagen. Das Zelt war spannend, denn das gab es nur noch in einem Schweizer Bergshop: Ein Ortik Tupek – von einem pleite gegangenen portugiesischen Hersteller. Extrem hohe Wasserdichtigkeit und kein Gestänge. Wie geht das? Zwei Kletterer streifen sich das gemeinsam über und lehnen sich dann drinnen jeder an eine Seite, so entsteht ein gewisser Luftraum dazwischen. Bei mir war das anders geplant und ich war ja auch allein. Im Globetrotterkaufhaus in Hamburg- Barmbek kaufte ich zwei einzelne Hightech-Zeltstangen, die sich stark im Bogen biegen lassen und die funktionieren, um meinen persönlichen Luftraum herzustellen. Ursprünglich wollte ich den Wagen mit ins Zelt nehmen und die Füße unten durch ausstrecken. Dafür habe ich mir zwei Aluminiumspriegel schweißen lassen, mit denen ich den Wagen aufbocken kann. Das hat funktioniert, aber es war keine gute Idee. Den Wagen klaut niemand und die Aludinger waren mir auf der Reise eigentlich nur lästig.
Ich stopfte alles probehalber in den Benpacker. Der Wagen samt Zelt stand einige Zeit im Wohnzimmer und ich probierte verschiedenes aus. Jeden Tag blickte ich auf meine Ausrüstung und mir fielen immer noch Kleinigkeiten ein.
Es war eine spannende Zeit, denn ich las auch weiterhin Blogs und Artikel von anderen. Das gesamte Equipment kostete am Ende immerhin 4.000 €. Viel zu schade eigentlich, um damit nur eine einzige Tour zu machen!
Keiner hatte je diesen Lauf gemacht, Radtouren – ja. Dabei erschien er mir inzwischen als absolut naheliegend. Es gibt Fragen, auf die findet man bis zum Start keine Antwort. Ich fragte polnische Geschäftspartner, die oft an der Ostsee sind: „Kann man auf dem harten Sand am Ufer gut laufen, oder ist er zu weich dafür?“ Das wäre für mich entscheidend, aber ich bekam es vorher nicht heraus. (Wer nicht lange suchen möchte: Ja, man kann, ich habe später immer wieder Fahrradspuren gesehen, der Sand ist sehr schön fest.)
Ich brauche ein Visum für den Oblast Kaliningrad, denn das ist Russland. Ein wunderbarer Aspekt an Europa ist die Freizügigkeit im Reiseverkehr. Das klingt jetzt irgendwie technisch, aber wie toll ist es denn, einfach immer weiter zu laufen, ohne sich ständig ausweisen zu müssen und vor allem verschiedene Visa zu beantragen. Ich bin in Europa zu Hause und überall Einheimischer – zumindest auf dem Papier. Nur wer Europa ausprobiert, hat auch was davon! Das Visum für Russland beantragte ich bei einem Konsulat in Bonn. So weit so gut. Weil ich aber nicht mit einem beim russischen Außenministerium gemeldeten Reisebüro kooperierte, wurde mir auch alles abverlangt: Antrag mit drei Passbildern natürlich, Auslandskrankenversicherung, Gehaltsbescheinigung, Rückkehrwilligkeitserklärung, Hotelbuchungsunterlagen. Ich nehme an, dass Deutschland das ebenfalls von den einreisenden Russen verlangt und nun haben wir also den Salat. Wie heißt es so schön auf der Webseite des russischen Außenministeriums? „Im Prinzip der Gegenseitigkeit verlangen wir von den Deutschen folgende Unterlagen…“ Wie du mir, so ich dir. Ich buchte mir ein Zimmer im ibis Hotel in Kaliningrad und bekam tatsächlich nur für die vier Nächte auch das Visum. Das ist eigentlich zu knapp für den russischen Teil meiner Reise.
Ich hatte die Idee, so weit zu laufen, weil ich wirklich gern laufe. Aber ist es das dann, was ich wirklich wollte, macht es denn Spaß, jeden Tag statt zur Arbeit zu gehen, sein nächstes Ziel in Laufschuhen anzusteuern, hinter sich 30 Kilo als Gepäck?
Das finde ich heraus. Und jetzt geht es los!
Auf ins Baltikum!
„Heraus in den Mai!“ heißt es so schön. Ich hoffe, das ist jetzt nicht nur so eine Parole, die auf meine Kindheit als Jungpionier im Osten Deutschlands hinweist, sondern eher so auf den Frühling gemünzt ist. Na, jedenfalls startete ich am 1. Mai 2017 um 6:05 Uhr ins Baltikum, und zwar mit der Eisenbahn nach Stralsund. Ich wollte mit genau diesem Zug fahren, weil ich damit unzählige Male ins Hauptquartier meines Arbeitgebers nach Hamburg gefahren bin. Und stets dachte ich: „Wie schön wäre es, im Zug sitzen zu bleiben bis zur Endstation: Binz auf Rügen!“
Stralsund ist eine Station vor Rügen und liegt direkt am Meer. Der Tag war nicht kalt und nicht warm und es gab sehr viele Polizisten am Bahnhof. Ich war aufgeregt und bestens gelauntund fragte übermütig: „Sind Sie so viele wegen mir?“ Ein Polizist meinte dann etwas irritiert, das sei wegen der Demonstranten. Worauf ich dann meinte: „Die sind doch in Kreuzberg oder im Schanzenviertel in Hamburg.“ Darauf sagte er: „Ja, aber hier sind es die Rechten, die den Terror machen“ und, ob ich nicht lieber die Peaceflagge auf meinem Wagen einrollen wolle, bevor ich noch vermöbelt würde. Da konnte ich nur sagen: „Hätte ich das gewusst, ich hätte zwei Flaggen mitgebracht für diese Leute. Ich lauf jetzt mal raus aus der Stadt Richtung Estland!“
Es war die erste von unzählig vielen kleinen Begegnungen und Geschichten, die mir passierten. Es sind hunderte, an die ich mich erinnern kann. Die habe ich oft auch in meinen täglichen Einträgen in meinem Blog erwähnt. Wo es passt, füge ich den Link zu der Geschichte im Blog ein, und so kann man sie im Original nachlesen auf https://abenteuerbaltikum.com
Die erste Geschichte beginnt hier: https://abenteuerbaltikum.com/2017/05/01/stralsund-stahlbrode/
Und so mache ich die ersten Schritte am Bahnhof in Stralsund. Ich will das nicht überhöhen, aber es ist für mich ein riesiger Schritt, den ersten von 2.000 Kilometern anzugehen. Ich spüre das, was ich mir unter „mit weitem Herzen und frohem Mute“ vorstelle. Diese Weite, diese Unabhängigkeit – herrlich! Die Entfernung ist dabei nicht so entscheidend. Zwanzig, dreißig Kilometer sind keine Besonderheit für mich, das mache ich öfter schon mal. Aber jeden Tag? Nun, warum soll es nicht funktionieren, wenn man es nicht übertreibt? Bis jetzt ist das eine Theorie (und die Erfahrung anderer Abenteurer), nun werde ich sehen, ob ich das kann – das tägliche lange Laufen und das Nicht-übertreiben.