freilich die Ordnung der Herbst’schen Angelegenheiten, mit denen ich betraut bin … Die Witwe Herbst ist wirklich nicht zu beneiden … Schließlich hat keiner damit gerechnet, und es ist ein Glück, dass überhaupt Verfügungen von Otto Herbst vorhanden sind. Es gibt gar deren zwei … doch die zweite ist noch so frisch, dass man sich fragt, ob das Schicksal nur darauf gewartet hat, bis das Testament unterzeichnet war …«
»Ach!«, entfuhr es allen. »Erzählt!«
Keller tat entrüstet: »Meine Freunde – das geht doch nicht! Schließlich vertrete ich Euch ja auch alle, und erzähle auch nicht in aller Öffentlichkeit davon, wie Ihr es in Euren Erbschaftsverfügungen haltet!«
»Nun ja, aber ein bisschen andeuten … Ihr wisst, dass es bei uns so sicher ist wie in Abrahams Schoß … das Geheimnis …«, sagte Baader.
Jobst nahm zu drastischen Mitteln Zuflucht: »Na gut, wenn Ihr kein Bier mit uns trinken wollt, dann … hat mich sehr gefreut … Einen schönen Abend noch, Herr Syndikus!«
»Es gibt auch noch andere Syndici!«, kam es hoch und hell aus Bartholdis Mund, während er Volpi zuzwinkerte.
»Ihr Bestien!«, fluchte Keller leise, aber dann lächelte er. »Na ja, im Grunde ist es ja wurscht … Wer Haus und Hof und Schatulle erbt, seht ihr ja ohnehin bald: Sibylle Herbst. Der Garten indes kommt an seinen Bruder!«
»Ach, sag bloß!«, kam es aus der Runde. »Wer hätte das gedacht!«
»Aber …«, hob Volpi an: »Nach Eurer Einleitung vermute ich, dass der Inhalt der alten Verfügung anders gelautet hat.«
»In der Tat, sie wurde auch erst vor rund eineinhalb Jahren getroffen, und die Haupterben waren nach dieser alten Verfügung …«
Man hätte eine Haarnadel fallen oder auch einen gefallenen Engel durchs Kaminzimmer hinken hören, während sie auf den Namen warteten …
»Vera Stobeken und Erben!«
»Uff!«
»Ach nee … ?«
»Da schlägt’s dreizehn!«
Keller, sich im Brennpunkt des Interesses nicht unwohl fühlend, schob Bedenken beiseite, Dinge auszuplaudern, die er eigentlich hätte bei sich behalten müssen, wenn man’s genau nahm. Aber wer, außer dem Kämmerer, nahm es schon genau …
»Dem Bruder hatte Herbst wohl auch ein Legat zugedacht. Der ihm so wichtige Garten war als gepflegter öffentlicher Ort den Bergleuten überschrieben, damit sie sich darin ergehen könnten. Diese Gebeutelten sollten die Lungen an der frischen Luft wiedererstarken lassen und die Seelen am Anblick der Blumen und der Schönheit der Beete weiden können. Ein regelmäßiges Almosen schließlich wäre den beiden heiligen Kreuzen für die Armen und Kranken zugeflossen.«
»Das wäre nobel gewesen, das mit den Bergleuten und den Spitälern!«, sagte Bartholdi. »Das andere … Oh Gott! Die arme Sibylle … Dieses Monstrum … Die eigene Frau übergehen.«
Der Großarchivar knirschte mit den Zähnen vor Abscheu. Die Übrigen grinsten, denn jeder wusste von seiner heimlichen Neigung. Bartholdi betete Sibylle Herbst an wie eine private Gottheit … Dabei wusste doch jeder, wie es um die Ehe der Herbsts bestellt gewesen war. Einige munkelten sogar, dass Sibylle Herbst etwas mit dem Bergrichter Brandt gehabt hatte oder noch immer hätte.
»Nun, Otto Herbst scheint zur Vernunft gekommen zu sein«, sagte Jobst, scheinbar bestrebt, das Thema zu beenden. »Gerade noch rechtzeitig. Sozusagen kurz bevor der Winter kam …«
»Auf die Witwe Herbst!«, sagte Bartholdi und hob sein Glas, um das Gelächter über Jobsts Jahreszeiten-Sottise abzuschneiden.
Sie tranken.
Dann wurde von vielem gesprochen, von den drei Sonnen und fünf Regenbögen, die der Türmer Groenewold am Vortag, einen Schlag nach Mittag am Himmel im Westen gesehen haben wollte, von dem heftigen Wind, der am Berghang von Clausthal eine Schneise geschlagen hatte … Sehr lange auch ging es um die vermeintlichen gewaltigen Truppenverstärkungen des Herzogs.
»Heinrich hat keine 1200 Reiter! Und keine 3000 Landsknechte!«, empörte sich Baader. »Bloße Gerüchte, vom herzoglichen Adlatus Stechow in die Welt gesetzt, um uns Angst einzujagen!«
Bartholdi verzog den Mund, als er den Namen Stechow hörte. Er erklärte Keller, der zu jener Zeit noch in Marburg studierte, was sich 1530 und in den beiden Folgejahren abgespielt hatte: »Der Syndikus Dellinghausen war als Unterhändler in Augsburg, beim Reichstag, wo es um die Türkenfrage und das Bekenntnisproblem ging – Melanchthon hat damals … aber das wisst Ihr ja alles … Dellinghausen wurde auf dem Heimweg bei Homburg vor der Höhe, einem Ort, der den Goslarern seitdem verhasst ist bis in alle Ewigkeit, von Balthasar Stechow und Konsorten gefangengenommen und entführt. Er starb nach zwei Jahren Kerkerfolter im Verlies des Schlosses Schöningen.«
Über die jüngsten Brände in Langelsheim und Astfeld kam man zuletzt wieder auf den Schwalbenbrand zurück.
»Im Rat ist man gar nicht begeistert von der Pfeilgeschichte«, sagte Jobst. »Die Bürgermeister vom Alten, Heldt und Wiesbaum, sind ebenso wie die des Neuen, Immhoff und Richter, der Ansicht, dass der Pfeil von draußen gekommen sein muss. Jetzt macht es in der Stadt die Runde, und alle sind überzeugt, dass es der Herzog war, der den Schützen angestiftet und bezahlt hat.«
»Das hat ja auch einiges für sich«, sagte Bartholdi. »Gestern ist ein Pulk von vermutlich herzoglichen Landsknechten vor der Mauer entlanggezogen. Die Wachen vom Zwinger haben es Immhoff gemeldet, als ich ihm einen Band mit Regesten brachte. Sie ritten den Reiseckenweg entlang, also auch am unteren Wasserloch vorbei, wo der Weg der Stadt am nächsten kommt. Kurz zuvor waren übrigens auch Fahrende unterwegs … eine Gruppe Feuerkünstler …«
Ein Raunen ging durch die Runde, als wenn damit alles klar wäre. Vaganten, Landstörzer, Künstler – alle gleich! Gesindel!
»Wasserloch?«, fragte Volpi, und er dachte an eine Viehschwemme oder Pferdetränke.
»Das ist der mit Gittern und einer kleinen Zwingburg geschützte Austritt der Abzucht aus der Stadt, gleich hier drüben, durch die Mauer …«, erläuterte Bartholdi dem Gast.
Er deutete in Richtung der schmalen hohen Fenster, die wie alle im Haus mit echtem Glas verschlossen waren – aus farbigen Gläsern zusammengesetzte Tafeln, die das Familienwappen zeigten, einige auch biblische Szenen.
Auf die Frage, wann die Heerscharen diese Stelle passiert hätten, entgegnete der Großarchivar: »Schätzungsweise kurz vor beziehungsweise kurz nach elf!«
»Pfeilschuss, Treffer, Feuer auf dem Dach …«, dachte Volpi laut nach: »Man müsste es ausprobieren … Wie lange so etwas dauert, bis ein Dach aus Holzschindeln brennt, wenn ein Feuerpfeil es trifft. Nur zur Sicherheit, bevor man eine ins Lager des hochfürstlichen Feindes zielende Vermutung äußert. Auch wäre die Entfernung genauer zu bestimmen und zu verifizieren, ob mit einem Feuerpfeil diese Distanz überhaupt so einfach zu überbrücken ist …«
»Da hätte ich keinen Zweifel bei einem Kriegsbogen von vielleicht fünfzig Pfund Zuggewicht«, sagte Jobst, was Baader und Bartholdi mit einem wissenden Lächeln quittierten. »Und bei den Feuerkünstlern sowieso nicht … Wenn es die Truppe ist, die auch im Vorjahr beim Jahrmarkt hier war, dann ist ein Ass mit dem Bogen dabei. Ich lud ihn und die Seinen bereits damals zum Wettstreit im Weitschießen, und er schlug mich um fast zwanzig Lachter …«
Jobst stand dieser Wettstreit sichtlich plastisch vor Augen, und er schien über den Krug hinweg in der Ferne die weiß befiederten Pfeile zischend in die Braune Haide fahren zu sehen …
»In diesem Punkt dürft Ihr ganz beruhigt sein!«, sagte der Medikus mit jovialer Biertrinkergeste zu Volpi. »Wenn unser Meisterschütze sich so eindeutig äußert, dann kann am Faktum kein Zweifel bestehen. Falls der Brand somit die Folge eines ziellosen herzoglichen Feuerpfeilschusses gewesen sein sollte – der möglicherweise zum Ziel hatte, ganz Goslar in Schutt und Asche zu verwandeln –, müssen wir uns über das Gift im Wein keine großen Sorgen