Lilly Grünberg

Mein


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auf dieses Treffen.

      »Sie heißt Maureen. Ich schick dir gleich ihr Foto. Und Maik – danke!«

      »Mmmmh.«

      Maik legte auf und wischte sich über die Stirn. Wenige Sekunden später meldete sein Handy fiepend den Eingang einer neuen Nachricht.

      »Wow!« Sein Puls beschleunigte sich in Sekundenschnelle. Eins zu Null für die Frau. Leuchtend blaue Augen strahlten mit einem sympathischen, selbstbewussten Zahnpastalächeln um die Wette. Das dezent geschminkte Gesicht wurde von ellenlangen schwarzen Haaren umrahmt.

      »Maureen«, murmelte Maik, während er seinen Bildschirm sperrte, aufstand und in seine Jeansjacke schlüpfte. Plötzlich konnte er es kaum erwarten, bis der Aufzug ihn die sechs Stockwerke des Medienhauses hinabgebracht hatte. Wie lange hatte er kein Date mehr gehabt? Also ein eigenes. Egal.

      So schnell es seine Beine zuließen und ohne dabei zu sehr außer Atem zu geraten, nahm er den Weg Richtung Restaurant. Weit in der Ferne wurden eine Handvoll Wolken von der Sonne, die schon hinter den Dächern verschwand, in intensivem Rot angestrahlt. Ein letztes Zucken vor der nächtlichen Dunkelheit. Verdammt, war das kalt. Hatte er nicht heute Morgen einen Schal dabei gehabt? Egal, der würde bestimmt irgendwo im Büro liegen.

      Maik fuhr sich mit den Fingern durch seine Igelfrisur und über die Augen, prüfte den Sitz seines Gürtels und ob der Reißverschluss seiner Hose geschlossen war. Man konnte ja nie wissen.

      Er wich ein paar jungen Leuten aus, die ihm entgegen kamen, ausgelassen, fast hüpfend, ohne auf andere Passanten zu achten. Ein Mädchen streifte seinen Arm. »Entschuldigung«, murmelte es erschrocken, ehe es weiterging.

      Maik lächelte ihr hinterher. »Schöne Frauen sollte man eigentlich nicht warten lassen«, flüsterte er und kicherte in sich hinein. Ein aufgeregtes Kribbeln bemächtigte sich seines Körpers und versetzte ihn in eine erwartungsvolle Stimmung. Er würde Maureen nicht einfach nur Linus’ Bedauern aussprechen und die Situation erklären. Wenn er sich schon für einen solch’ ungewöhnlichen Freundschaftsdienst opferte, dann würde er diesen Abend auf jeden Fall genießen!

      Rund zehn Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt traf Maik am Assado ein. Das war fast noch besser als seine normale ›Pünktlichkeit‹, mit der er es nie besonders genau nahm. Er blieb stehen, zupfte an seiner Jacke. Zweimal tief durchatmen und die Luft bis zum Letzten ausstoßen. Dann zog er die gläserne Eingangstür auf und ging hinein.

      Es war schon eine Weile her, dass Maik hier gewesen war. Um alleine auszugehen war das Assado zu stilvoll. Hier ging man nicht nur hinein, um zu speisen, sondern um einen schönen Abend in geselligem Miteinander zu verbringen.

      Beige Halbsäulen durchbrachen die in Ockertönen marmorierten Wände. Vorgezogene Stuckleisten versteckten die Röhren der indirekten, sanften Deckenbeleuchtung. Schwarze Stehlampen und dazu passende Wandlampen mit tulpenartigen Schirmen aus Milchglas setzten stilvolle Akzente. Ein paar echte Aquarelle mit Städtemotiven vervollständigten das Ambiente. Große Blattpflanzen anstelle von Vorhängen verwehrten zu viel Einblick von draußen durch die bodennahen hohen Fenster.

      Die Aufteilung des Restaurants durch viele Raumteiler und weitere große Pflanzen in kleine Sitzgruppen erschwerte Maik die Suche. Die Plätze waren bereits gut besetzt, ohne Vorbestellung war es selbst unter der Woche beinahe aussichtslos, abends einen Tisch zu ergattern.

      Runde um Runde suchte Maik und wurde allmählich ein wenig nervös. Hatte er Linus nicht richtig zugehört oder war dies das verkehrte Restaurant? Dann, nur wenige Meter vor ihm, stand eine Frau auf, zog den knapp knielangen Rock ihres Kostüms straff und griff nach ihrer Handtasche.

      Maiks Sensoren vibrierten auf Hochtouren. Oha, die fackelte nicht lange, wenn die Verabredung zu spät kam. Die schimmernden schwarzen Haare lockten sich sanft den Rücken herab, fast bis zum Po. Das musste sie sein!

      »Maureen?«

      Langsam, wie in Zeitlupe, drehte sie sich auf ihren Stilettos um. Ein atemberaubender Anblick. Ein damenhaftes, aber nicht überstylt wirkendes Kostüm, darunter eine elegante Bluse. Ausdrucksvolle Augen und ein sinnlich geschwungener Mund. Und Mann, was für tolle lange Beine diese Frau hatte!

      Der Blick aus den strahlend blauen Augen allerdings erschütterte ihn bis ins Mark. Es war kaum zu ertragen, ihrer intensiven Musterung standzuhalten. Dabei verzog sie keine Miene. Ihr Ausdruck war weder freundlich noch spöttisch oder herablassend. Er hätte es nicht benennen können, denn auf diese Weise war er noch nie angeschaut worden. Auf jeden Fall aber war Maik davon in eine Art ehrfürchtiges Erstaunen versetzt, sodass sein Gehirn sich von einer Sekunde auf die andere wie leergefegt anfühlte und er sich entsetzlich willenlos vorkam.

      »Linus?«

      Ihre Stimme war fest und bestimmend, dabei von einer angenehmen Tonlage, nicht schrill oder durchdringend. Und gleichzeitig lag in diesem einen Wort so viel Strenge, dass Maik mit einem Male bewusst wurde, in was für einem Schlamassel er sich befand.

      Er war nicht der, den sie erwartete.

      Er hieß nicht Linus.

      Er war nicht pünktlich.

      Er hatte nicht einmal Blumen zur Begrüßung mitgebracht.

      Er war nicht passend gekleidet.

       Und warum zum Kuckuck war ihm dies auf einmal wichtig?

      Endlich fand er Worte. Er streckte ihr die Hand entgegen, wobei er ein klein wenig zu ihr aufschauen musste und war überrascht über den sicheren Händedruck, mit dem sie seinen erwiderte. Als er sich vorbeugte, um sie zusätzlich auf die Wange zu küssen, wich sie ihm aus.

      Wer so vorsichtig war, seine Mobilnummer nicht rauszugeben, ließ sich halt auch nicht beim ersten Kontakt gleich abschmusen. Eigentlich hatte sie recht, so zu reagieren.

      »Hallo Maureen, ich freue mich ja so, dich endlich persönlich kennenzulernen und …«

      Eine Handbewegung genügte und ihre gebieterische Geste ließ ihn innehalten.

      »Kommst du immer zu spät?«, schnaubte sie.

      7

      Bodennebel waberte über die an die Autobahn grenzenden Grünflächen und zeugte von Feuchtigkeit und fallenden Temperaturen. Der tagsüber zart keimende Frühling versank des Nachts unter einer herb frostigen Decke.

      Morgen muss ich zum Glück nicht fahren, dachte Lola erleichtert. Vor einigen Monaten war ihr das Arbeiten im Homeoffice genehmigt worden und seither durfte sie Dienstags und Freitags zuhause bleiben. Eine, wie sie fand, sehr viel effizientere Art zu arbeiten. Niemand kam herein, um sie abgesehen von einer einzigen wichtigen Frage darüber hinaus in einen längeren privaten Plausch zu verwickeln. Ab und zu war das ja ganz nett und natürlich wollte auch sie ein bisschen mehr von ihren Kollegen erfahren, aber manchmal nervte es sie auch, wenn sie gerade an einer kniffligen Sache saß. Irgendwelche Fragen ließen sich erfahrungsgemäß schneller per Email oder Telefon abklären.

      Seither kochte Lola sich an diesen Tagen gegen sechs oder halb sieben Uhr morgens eine Tasse Tee und setzte sich noch im Pyjama an den Rechner. So arbeitete sie am liebsten, im Hintergrund leise Musik aus dem Radio oder von einer ihrer Lieblings-CDs. Ein stressfreier Morgenbeginn, ohne den Krieg auf der Straße. Meistens schaffte sie bis zehn Uhr mehr als an den anderen Tagen und gönnte sich dann ein verspätetes, ausgiebiges Frühstück. Inzwischen freute sie sich schon auf der abendlichen Heimfahrt darauf.

      Die beiden Männer schwatzten erstmal eine Runde, ehe sie sich um ihr Auto kümmerten. Vielleicht kannten sie einander von anderen Fällen? Atemwölkchen stiegen vor ihren Gesichtern auf und verloren sich im Dunkeln. Dann endlich nahm der Abschleppwagen seinen kleineren Artgenossen Huckepack.

      Wehmut