Lilly Grünberg

Mein


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nachzudenken geholfen hatte. Waren best-friends-Beziehungen nicht dafür da, sich gerade in kritischen Momenten zur Seite zu stehen?

      Einen tiefen Seufzer von sich gebend streckte Linus sich hinter seinem Lenkrad. Eigentlich müsste er stinksauer auf Maik sein, innerlich toben, wie stur sich dieser stellte. Aber nein, der stille Frust überwog. Zum einen lag es einfach nicht in seiner Mentalität, jemandem böse zu sein. Und zum anderen war ja er selbst derjenige, der die Sache falsch angepackt hatte. Und vielleicht war das Ganze überhaupt eine Schnapsidee gewesen.

      Wäre nicht dieses Gesicht, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Er musste sie sehen, eher würde er keine Ruhe finden! Aber wie sollte er das anstellen?

      Ein lauter Fluch schallte durch den Wagen und er hieb einige Male wütend auf das Lenkrad ein, ehe er sich zusammenriss und sanft das Gaspedal durchdrückte, um in der wieder anrollenden Kolonne mitzuschwimmen.

      Ein paar Autolängen vor ihm stand ein weiß-roter Mini mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf der Standspur, eine junge Frau in einer dicken Winterjacke wartend dahinter, die Kapuze mit dem flauschigen Pelzkragen tief ins Gesicht gezogen. Der Grund ihrer Panne war aus Linus’ Warte nicht erkennbar, nach einem Unfall sah es eigentlich nicht aus. Aber dass er ihr helfen musste, war glasklar. Nicht nur weil er im Augenblick sowieso nichts Besseres vorhatte und Ablenkung benötigte. Sein Helfersyndrom musste genetisch bedingt sein (sein Vater war Notarzt und seine Mutter Psychotherapeutin) und leitete ihn schon sein ganzes Leben lang.

      Sobald Linus sich der Position des liegengebliebenen Wagens genähert hatte, setzte er den Blinker und wechselte auf die rechte Spur, als ihm der nachfolgende Fahrer Platz machte. Vorbei am Mini, reihte er sich vor diesem ein, schnappte sich Schal und Handschuhe, und stieg aus.

      Die Fahrerin wirkte sichtlich erleichtert, als sie ihn auf sich zukommen sah. »Sie schickt mir der Himmel«, erklärte sie.

      »Das ist bei Engeln so üblich«, erwiderte er augenzwinkernd und sie schenkte ihm ein zustimmendes Lachen. Wie wohl sich diese kleine Geste gerade jetzt anfühlte!

      »Ich habe erst vor fünf Minuten angerufen und mich auf eine längere Wartezeit eingestellt. Das ist jetzt purer Zufall, dass Sie der Stau hierher gespült hat, oder?«

      »Ja, das kann man so sagen«, entgegnete er und reichte ihr die Hand. »Linus Gruber.«

      »Lola Gehrke«, erwiderte sie mit angenehm klingender Stimme und festem Händedruck.

      Zweimal LG schoss es Linus kurz durch den Kopf und für einen kurzen Augenblick verspürte er so etwas wie ein schüchternes Kribbeln auf seiner Haut.

      »Ich geb’ nur schnell den Kollegen Bescheid, dass ich übernehme, wenn es Ihnen recht ist.«

      Sie nickte.

      »Wo haben Sie angerufen, Frau Gehrke. Bei den Orangen Engeln?«

      »Natürlich«, hauchte sie. »Wo sonst? Wer vertraut denn nicht auf Engel?«

      Das Kribbeln wurde wärmer und breitete sich in seinem Körper aus. Seine Augen hingen an dem sinnlichen Lächeln ihres Mundes, der von einem zartrosa Lipgloss glänzte. Die letzten Strahlen der Abendsonne zauberten Reflexe in ihre grünen Katzenaugen und feurige Strähnchen in ihre weinroten, zu einer pfiffigen Hochsteckfrisur gebändigten Locken, als sie nun die Kapuze nach hinten streifte. Ihr Augenaufschlag brachte Linus für einen Augenblick völlig aus dem Konzept. Hatte sie ihm gerade vertraulich zugezwinkert? Du meine Güte, flirtete sie etwa mit ihm?

      Blödsinn! Das lag bestimmt daran, dass er so sehr auf dieses Date fixiert war, dass seine Sinne völlig verrückt spielten.

      So verlegen hatte Linus sich schon lange nicht mehr gefühlt. Nur mit Mühe gab er sich einen Ruck, schaute auf das Display seines Handys, drückte die Kurzwahl und gab die Information an die Zentrale weiter. Als er es wieder in die Brusttasche stecken wollte, ertönte Maiks spezifische Erkennungsmelodie.

      »Sekunde, ich hab’s gleich«, erklärte Linus der jungen Frau und ergänzte geistesgegenwärtig: »Ein Kollege.«

      Zu seiner Erleichterung zeigte ihre Miene keine Zeichen von Ungeduld. Im Gegensatz zu ihm hatte sie heute vermutlich nichts mehr vor.

      »Also Alter, nochmal zu deinem Anliegen: du willst wirklich, dass ich dahin gehe und dich vertrete?« Statt Spott meinte Linus jetzt pure Neugierde aus Maiks Stimme herauszuhören.

      »Ja, sicher«, erwiderte Linus und kehrte zwei Schritte zu seinem Wagen zurück, um ungestörter sprechen zu können. »Du würdest mir wirklich einen Riesengefallen tun. Erklär’ ihr die Situation. Irgendwie. Bitte. Sag ihr, wie leid es mir tut. Das ist zumindest persönlicher als zu schreiben.«

      »Na gut, du verrückter Idiot. Ich mach’s. Allerdings musst du mir noch erklären, warum du mein Foto verwendet hast.«

      Er macht’s, dachte Linus mit einem Anflug von Euphorie und befürchtete, augenblicklich in Ohnmacht zu fallen. Er sah schon die Schlagzeilen vor seinem geistigen Auge: Oranger Engel fällt auf Standstreifen um … Jetzt reiß dich mal zusammen! Mann oder Memme?

      Ein kurzer Blick auf das Display genügte. »Maik, es ist keine Zeit für Erklärungen. Du hast noch genau fünf Minuten.«

      Ein gequältes Lachen war zu hören. »Also im Prinzip gar keine Zeit, Umziehen ist da nicht mehr drin.«

      Daran hatte Linus überhaupt nicht gedacht. Hoffentlich jagt er ihr keinen Schock ein und trägt nicht ausgerechnet heute eine von seinen schmuddeligen Jeans mit abgetretenem Saum, dazu ein löchriges Shirt mit einem scheußlichen ausgewaschenen Aufdruck.

      Die Frage nach Maiks Outfit wagte er nicht zu formulieren. Es war ohnedies schon fast zu spät, um die Situation zu retten.

      »Aber dass dir eins klar ist, die Sache mit dem Foto hat noch ein Nachspiel. Von wegen Datenschutz und so. Da bist du mir was schuldig!«, knurrte Maik. »Also, sie erkennt mich, und was ist mit mir? Wie sieht SIE aus? Und wie heißt sie überhaupt?«

      Linus’ Mund war so trocken, dass er kaum in der Lage war zu antworten. Maik würde es tun! Der Jubel in seinem Inneren wollte kein Ende nehmen. Er wird es tatsächlich für mich machen! Allen Ungläubigen zum Trotz, sein Horoskop würde sich heute erfüllen!

      »Maureen. Sie heißt Maureen. Ich schick dir gleich ihr Foto. Und Maik – danke!«

      Die Antwort war ein undefinierbarer Ton zwischen freundlichem Knurren und einer nicht in Worte gefassten Drohung. Dann hatte sein Kumpel aufgelegt.

      Linus scrollte schnell durch seine Liste, um die Nachricht mit dem Foto weiterzuleiten. Stunden hatte er damit verbracht, auf dieses Gesicht zu schauen, während sie miteinander gechattet hatten. Wie sich wohl ihre Stimme anhörte? Für heute Abend hatte er sich einen Kuss erhofft, von diesen schön geschwungenen Lippen, oder auch mehr. Noch einmal atmete Linus tief durch, ehe er sich wieder der Autofahrerin zuwandte.

      »Tut mir leid, dass Sie warten mussten.« Sein Blick schweifte über den Mini. Nicht ganz neu, aber gut gepflegt, das sah er trotz der wetterbedingten Schmutzpartikel. »Jetzt erzählen Sie mal, Frau …«

      »Gehrke, Lola Gehrke«, half sie ihm.

      »Okay, Frau Gehrke, was für Probleme macht denn Ihre Knutschkugel?«

      Du meine Güte, das hatte er überhaupt nicht sagen wollen! Seine Hormone schienen völlig mit ihm durchzugehen.

      Ihr glucksendes Lachen nahm der Situation ein wenig die Peinlichkeit. »Knutschkugel – das hab’ ich ja noch nie gehört! Nun, jedenfalls rollt sie nicht mehr. Plötzlich war der Schwung weg. Der Motor lief, aber – Gaspedal durchtreten half nichts, dann hab’ ich’s gerade noch auf die Standspur geschafft, ehe mein Schätzchen ausgegangen ist.«

      Das klang nicht gut. Linus fielen sofort mehrere Möglichkeiten ein, woran es liegen könnte, von denen sich einige leicht, andere hier vor Ort gar nicht beheben ließen. Für einen Mini allerdings eher ungewöhnlich.

      »Steigen Sie bitte