das Grab geöffnet worden war. Er freute sich aber nicht darüber, sondern wurde ängstlich: »Der Rittmeister muss es wohl schon heute Nachmittag wieder instand setzen lassen«, dachte er. »Es gibt viele, die es auf diesen Ring abgesehen haben.«
Dies war zwar etwas, was ihn gar nichts anging; aber woher es nun auch kommen mochte – der Gedanke, es könnte gefährlich sein, wenn das Grab über Nacht offen bliebe, beherrschte ihn immer mehr. Man stand im August, die Nächte waren dunkel, und wenn das Grab nicht schon heute Abend geschlossen würde, dann könnte sich ein Dieb hineinschleichen und sich den Schatz aneignen.
Bård Bårdsson wurde schließlich von so großer Angst erfasst, dass er sich schon überlegte, ob er nicht zu dem Rittmeister hingehen und ihn warnen sollte; aber er wusste ja, dass ihn die Leute für einfältig hielten, und so wollte er sich nicht zum Gespött machen. »Du hast freilich in dieser Sache ganz recht«, dachte er, »wenn du dich aber allzu geschäftig darin zeigst, wirst du nur ausgelacht. Der Rittmeister ist ein sehr kluger Mann und hat sicherlich schon dafür gesorgt, dass das Loch wieder zugemauert wird.«
Er war ganz in diese Gedanken versunken und merkte deshalb gar nicht, dass das Begräbnis zu Ende war, sondern blieb an dem Grab stehen und wäre wohl noch länger stehen geblieben, wenn nicht seine Frau herbeigekommen wäre und ihn am Ärmel gezupft hätte.
»Was hast du denn?«, fragte sie. «Du starrst ja immerzu auf einen einzigen Fleck wie die Katze vor dem Mauseloch.«
Der Bauer zuckte zusammen, schlug die Augen auf, und siehe, er und seine Frau ganz allein waren noch auf dem Kirchhof. »Ach, es ist nichts«, antwortete er. »Es ging mir nur ein Gedanke im Kopf herum, und ich fragte mich …«
Er hätte seiner Frau gern gesagt, was ihm durch den Kopf ging, aber er wusste ja, wie viel klüger sie war als er. Sie hätte seine Grübeleien für höchst überflüssig erklärt und gesagt: Ob das Grab zugemacht oder offen bleiben würde, sei einzig und allein Sache des Rittmeisters Löwensköld und gehe sonst niemand etwas an.
Sie machten sich nun auf den Heimweg, und als Bård Bårdsson dem Kirchhof den Rücken gekehrt hatte, hätte er ja auch den Gedanken an das Grab los sein müssen; aber es war nicht so. Seine Frau redete von dem Begräbnis: von dem Sarg und den Trägern, von dem Trauergeleit und von der Grabrede, und er fügte ab und zu ein anderes Wort ein, um sie nicht merken zu lassen, wie wenig er davon wusste und gehört hatte; doch klang ihm gar bald die Stimme seiner Frau nur noch wie aus weiter Ferne. Sein Gehirn arbeitete an seinen Gedanken von vorher unablässig weiter. »Siehst du, heut ist es Sonntag«, dachte er, »und vielleicht will der Maurer an einem Ruhetag nicht zumachen. Aber dann könnte der Rittmeister dem Totengräber ja einen Taler geben und ihn die Nacht über an dem Grabe wachen lassen. Ach, wenn er doch nur auf diesen Gedanken käme!«
Auf einmal fing er an, laut vor sich hinzureden: »Ich hätte jedenfalls zum Rittmeister gehen sollen. Es hätte mir einerlei sein sollen, ob die Leute über mich lachten.«
Er hatte ganz vergessen, dass seine Frau neben ihm ging; aber er kam wieder zu sich, als sie plötzlich stehen blieb und ihn anstarrte.
»Es ist nichts«, sagte er, »mir geht nur der Gedanke von vorhin immer noch im Kopf herum.«
Darauf gingen sie zusammen weiter, und bald erreichten sie ihre eigene Wohnung.
Hier hoffte er, die unruhigen Gedanken loszuwerden, und das wäre wohl auch so gewesen, wenn er sich an irgendeine Arbeit hätte machen können; aber nun war es ja Sonntag. Als die Leute auf dem Mellomhof zu Mittag gegessen hatten, ging jeder seine eignen Wege. Bård Bårdsson blieb allein in der Stube sitzen, und sofort überfielen ihn die Grübeleien aufs Neue. Nach einer Weile stand er von der Bank auf, ging hinaus und machte das Pferd bereit, in der Absicht, nach Hedeby zu reiten und mit dem Rittmeister zu reden. »Sonst wird der Ring doch noch heute Nacht gestohlen«, dachte er.
Er kam aber doch nicht dazu, seinen Vorsatz auszuführen; dazu war er zu schüchtern. Dafür machte er sich nach dem Nachbarhof auf den Weg, um mit dem Bauern dort von seiner Unruhe zu reden. Er traf ihn nicht allein an, und wieder war er zu schüchtern zu einer Aussprache, und so kehrte er unverrichteter Dinge wieder nach Hause zurück.
Sobald die Sonne untergegangen war, legte er sich zu Bett und nahm sich vor, bis zum nächsten Morgen zu schlafen. Aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Die Unruhe plagte ihn von Neuem. Er drehte und wälzte sich im Bett hin und her. Dadurch konnte seine Frau natürlich auch nicht schlafen, und nach einer guten Weile wollte sie wissen, warum er denn so unruhig sei.
»Es ist nichts«, antwortete er in seiner gewohnten Weise. »Es geht mir eben immer etwas im Kopf herum …«
»Ja, das hast du heute schon mehrere Male gesagt«, entgegnete seine Frau; »aber ich meine, du solltest mir nun doch sagen, was es ist, das dich so beunruhigt. Du hast doch wohl nicht so gefährliche Dinge im Kopf, dass du sie mir nicht sagen könntest.«
Als Bård seine Frau so sprechen hörte, bildete er sich ein, er würde vielleicht schlafen können, wenn er ihrer Aufforderung nachkäme.
»Ach, ich überlege mir nur, ob das Grab des Generals wieder zugemauert worden ist«, sagte er, »oder ob es die ganze Nacht offen steht.«
Seine Frau begann zu lachen und erwiderte: »Gerade daran habe ich auch gedacht, und ich glaube, jedem der Leute, die mit in der Kirche waren, wird es wohl ebenso ergangen sein. Aber von so etwas wirst du dich doch nicht um den Schlaf bringen lassen?«
Bård war froh, dass seine Frau die Sache so leicht nahm. Er fühlte sich nun ruhiger und glaubte, er werde jetzt schlafen können.
Aber kaum hatte er sich wieder zurechtgelegt, als die Unruhe ihn von Neuem überfiel. Von allen Seiten, von allen Häusern her sah er Schatten herangeschlichen kommen, die alle von derselben Absicht erfüllt waren: Alle lenkten sie ihre Schritte nach dem Kirchhof mit dem offenen Grab.
Bård versuchte still zu liegen, damit seine Frau schlafen könne; aber der Kopf schmerzte ihn, und der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er konnte es nicht lassen, sich unaufhörlich hin und her zu drehen.
Schließlich verlor die Frau die Geduld und sagte halb im Scherz: »Lieber Mann, ich glaube wirklich, es wäre klüger, du gingest auf den Kirchhof und sähest nach, wie es sich mit dem Grabe verhält, statt dass du dich hier im Bett von einer Seite auf die andere wirfst und keinen Schlaf finden kannst.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, als der Mann auch schon aus dem Bett sprang und sich anzuziehen begann. Jawohl, seine Frau hatte ganz recht. Von Olsby bis zur Kirche von Bro brauchte man nur eine halbe Stunde. In einer Stunde konnte er wieder zurück sein, und dann würde er gewiss die ganze Nacht schlafen können. Doch kaum war er zur Tür hinaus, als die Frau sich sagte, es müsste für ihren Mann doch recht unheimlich sein, wenn er mutterseelenallein auf den Kirchhof ginge, und so sprang auch sie rasch heraus und zog ihre Kleider an. Sie holte den Mann auf dem Hügel vor Olsby ein. Bård fing zu lachen an, als er sie kommen hörte.
»Kommst du mir nach, um zu sehen, ob ich nicht am Ende den Ring des Generals stehle?«, sagte er.
»Ach, du meine Güte!«, rief seine Frau. «An so etwas denkst du nicht, das weiß ich wohl. Ich habe mich nur aufgemacht, dir beizustehen, falls dir Kirchhofsgespenster zu schaffen machen sollten.«
Mit rüstigen Schritten wanderten sie dahin. Die Nacht war indessen hereingebrochen, und alles war bis auf einen schmalen Lichtstreifen am westlichen Himmel in tiefes Dunkel gehüllt; doch kannten die beiden den Weg ja genau. Sie unterhielten sich miteinander und waren guter Dinge; denn sie gingen ja nur auf den Kirchhof, um zu sehen, ob das Grab offen stände, damit Bård nicht mehr die ganze Nacht darüber nachgrübeln müsste.
»Mir kommt es ganz unglaublich vor, dass die drüben auf Hedeby den Ring nicht wieder eingemauert haben sollten – so tollkühn werden sie sicher nicht sein«, sagte Bård.
»Darüber werden wir ja nun bald Klarheit haben«, versetzte seine Frau. »Und wenn mich nicht alles täuscht, so ist das, was wir jetzt neben uns haben, die Kirchhofmauer.«
Der Mann blieb stehen. Er wunderte