Georges Simenon

Maigret macht Ferien


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Theater. Sie redeten ununterbrochen, mit gedämpften Stimmen und so monoton, dass man die des Mannes von der der Frau nicht unterscheiden und bald meinen konnte, sie beteten Psalmen herunter.

      Wollte man in das Etagenbad, musste man den Geräuschen des Abflusses und der Wasserspülung lauschen, um den richtigen Moment abzupassen. Maigrets Zimmer hatte einen kleinen Balkon, und er trat im Morgenmantel hinaus. Die Aussicht war herrlich: der breite, blendende Strand und auf dem Meer blaue und weiße Segel. Er sah zu, wie man die gestreiften Sonnenschirme aufstellte und die ersten Knirpse in ihren roten Badeanzügen auftauchten.

      Wenn er hinunterging, frisch rasiert, einen Rest Seifenschaum an den Ohren, war er schon bei der dritten Pfeife.

      Was trieb ihn dazu, den Weg durch die Hinterräume zu nehmen? Er hätte, wie alle anderen, durch den hellen Speisesaal hinausgehen können, den Germaine, das dickliche Zimmermädchen mit dem unerhörten Busen, gerade bohnerte.

      Aber nein. Er stieß die Tür zum Esszimmer der Wirtsleute auf und dann die zur Küche. Um diese Zeit trug Madame Léonard die Brille auf der Nase und besprach mit dem Koch die Speisekarte. Wie auf Knopfdruck tauchte Monsieur Léonard aus dem Keller auf. Man sah ihn immer aus dem Keller kommen, ganz gleich zu welcher Tageszeit, dabei machte er einen eher nüchternen Eindruck.

      »Schöner Tag heute, Herr Kommissar …«

      Monsieur Léonard trug Pantoffeln und hatte seine Hemdsärmel aufgekrempelt. Schüsseln voller grüner Erbsen, frisch geschälter Karotten, Porree, Kartoffeln standen bereit. Auf der weißen Tischplatte lagen blutige Fleischstücke; Seezungen und Steinbutte warteten darauf, geschuppt zu werden.

      »Wie wäre es mit einem Schluck Weißen, Herr Kommissar?«

      Das war der erste am Tag. Der Schluck Weißwein vom Wirt. Übrigens ein ausgezeichneter leichter Wein, der ins Grünliche hinüberspielte.

      Maigret konnte sich doch nicht zwischen all die Mütter an den Strand setzen. Er spazierte über die Uferpromenade, den Remblai. Hin und wieder blieb er stehen und betrachtete das Meer, die zunehmende Anzahl bunter Gestalten in der seichten Brandung. Beim Stadtzentrum bog er rechts ab und gelangte über einen schmalen Weg zur Markthalle.

      Andächtig schlenderte er von Stand zu Stand, ganz so, als hätte er vierzig Personen zu versorgen. Besonders aufmerksam betrachtete er die zappelnden Fische, die Schalentiere, hielt einem Hummer ein Streichholz hin, der sogleich mit seinen Scheren danach griff …

      Der zweite Weißwein. Denn gleich gegenüber gab es ein kleines Bistro, zu dem es eine Stufe hinunterging. Es bildete sozusagen die Verlängerung des Marktplatzes, der seine angenehmen Gerüche bis dorthin verströmte.

      Anschließend ging er an der Kirche Notre-Dame vorbei, um eine Zeitung zu kaufen. Sollte er die etwa auf seinem Zimmer lesen?

      Er kehrte auf den Remblai zurück und setzte sich vor ein Café, immer an denselben Tisch. Und immer zögerte er, wenn der Kellner seine Bestellung aufnehmen wollte. Als müsste er darüber nachdenken!

      »Ein Glas Weißwein, bitte …«

      Es hatte sich eben so ergeben. Zu Hause trank er bisweilen monatelang keinen Weißwein.

      Um elf Uhr ging er ins Café hinein, um die Klinik anzurufen und Schwester Aurélie mit ihrer butterweichen Stimme sagen zu hören:

      »Unsere liebe Patientin hatte eine ausgezeichnete Nacht …«

      So hatte er es eingerichtet, sich tagaus, tagein zu einer gewissen Stunde an einem gewissen Ort einzufinden. Auch im Speisesaal des Hotels hatte er sein Plätzchen gefunden, am Fenster, gegenüber dem Tisch seiner beiden alten Zimmernachbarn.

      Am ersten Tag hatte er nach dem Kaffee einen Calvados bestellt. Seither fragte ihn Germaine zwangsläufig:

      »Einen Calvados, Herr Kommissar?«

      Er traute sich nicht, Nein zu sagen, und fühlte sich bald wie benommen.

      Die Sonne brannte manchmal so stark, dass der Asphalt der Promenade unter den Sohlen schmolz und sich das Profil der Autoreifen darin eindrückte.

      Maigret ging in sein Zimmer hinauf, um Mittagsschlaf zu halten, allerdings nicht in seinem Bett, sondern im Sessel, den er auf den Balkon zog, und mit einer Zeitung, die er über sein Gesicht breitete.

       Suchen Sie aus Barmherzigkeit die Patientin in Zimmer 15 auf …

      Wie er nun von Stunde zu Stunde von einem Stammplatz zum nächsten wanderte, hätte man meinen können, er gehöre ebenso zum Stadtbild wie die Kartenspieler am Nachmittag. Dabei waren seine Frau und er erst vor neun Tagen angereist. Am ersten Abend hatten sie Muscheln gegessen. Darauf hatten sie sich schon in Paris gefreut: eine große Schüssel fangfrischer Muscheln.

      Prompt wurde beiden schlecht, und die Nachtruhe ihrer Zimmernachbarn war dahin. Am nächsten Tag ging es ihm besser, aber Madame Maigret beklagte sich am Strand über Bauchschmerzen. In der zweiten Nacht bekam sie Fieber. Noch immer glaubten sie, es sei nichts Schlimmes.

      »Ich hätte es besser wissen müssen. Muscheln sind mir noch nie bekommen …«

      Am übernächsten Tag litt sie solche Schmerzen, dass man Doktor Bertrand rufen musste, der sie als Notfall in die Klinik einwies. Das waren schwere Stunden gewesen, Stunden der Ungewissheit, ein Kommen und Gehen, neue Gesichter, Röntgenaufnahmen, Untersuchungen.

      »Ich versichere Ihnen, Herr Doktor, es waren die Muscheln«, sagte Madame Maigret immer wieder und lächelte schwach.

      Aber die Ärzte lächelten nicht, als sie Maigret beiseitenahmen.

      Eine akute Blinddarmentzündung, die sofort operiert werden müsse, sonst drohe ein Durchbruch.

      Während des Eingriffs ging er mit langen Schritten den Gang auf und ab, zusammen mit einem jungen Mann, der auf die Entbindung seiner Frau wartete und sich die Fingernägel blutig biss.

      So war er zu Monsieur 6 geworden.

      Sechs Tage reichen aus, um neue Gewohnheiten anzunehmen. Man lernt, geräuschlos zu gehen, Schwester Aurélie ein zuckersüßes Lächeln zu schenken, und auch Schwester Marie des Anges. Man ringt sich sogar ein Lächeln für die unausstehliche Mademoiselle Rinquet ab.

      Woraufhin jemand die Gelegenheit nutzt, um einem einen albernen Zettel zuzustecken.

      Wer lag überhaupt auf Nummer 15? Madame Maigret wusste es bestimmt. Sie alle kannten einander, ohne sich je zu Gesicht zu bekommen, wussten über fremde Angelegenheiten Bescheid. Manchmal erzählte sie ihrem Mann davon, diskret und mit gedämpfter Stimme wie in der Kirche.

      »Die Dame auf Nummer 11 ist sehr nett und so lieb … Und dabei … Die Ärmste … Komm ein wenig näher …«

      Und rasch murmelte sie:

      »Brustkrebs …«

      Dann warf sie einen Blick auf Mademoiselle Rinquet und senkte die Lider, um anzudeuten, dass auch sie Krebs hatte.

      »Wenn du die hübsche junge Frau gesehen hättest, die man in den Saal gebracht hat …«

      Der Saal war das große Mehrbettzimmer. Auch in der Klinik gab es drei Klassen, wie in den Zügen: Der Saal entsprach der dritten Klasse, die Zimmer mit zwei Betten der zweiten, und an der Spitze waren die Einzelzimmer.

      Wozu sich den Kopf zerbrechen? Das alles war doch lächerlich. In der Klinik ging es schon etwas albern zu. Verhielten sich die Schwestern nicht geradezu kindisch?

      Und die Patienten erst, mit ihren Eifersüchteleien und ihrer Geheimniskrämerei und der grenzenlosen Gier nach Süßigkeiten, immer die Ohren gespitzt, ob nicht jemand durch den Gang kam.

      Aus Barmherzigkeit …

      Durch diese beiden Wörter hatte sich die Frau verraten. Warum sollte die Patientin auf Nummer 15 ihn brauchen? Das konnte er doch nicht ernst nehmen, er würde sich keinesfalls an Schwester Aurélie wenden und sie um die Erlaubnis bitten, jemanden zu besuchen, dessen Namen er nicht einmal kannte.

      Die