Georges Simenon

Maigret macht Ferien


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andere Autofahrer in der Nähe?«

      »Ein Kleinlaster hundert Meter hinter dem Wagen … Der Fahrer ist vernommen worden. Er hat nichts Besonderes bemerkt. Der Wagen des Doktors sei an ihm vorbeigerast, wenige Augenblicke später hat er gesehen, wie die Wagentür aufflog und jemand auf die Straße geschleudert wurde.«

      Wenn der kleine Kommissar mit dem großen Kopf Maigret besser gekannt hätte, er hätte bemerkt, dass während der letzten Minuten etwas in ihm vorgegangen war. War er eben noch der schwerfällige, leicht schwankende Mann gewesen, der ohne rechte Überzeugung an seiner Pfeife zog und seinen Blick gelangweilt umherschweifen ließ, so schien sich jetzt etwas in ihm zusammenzubrauen. Sogar seine Schritte wurden fester, seine Gesten bestimmter.

      Inspektor Lucas zum Beispiel, der seinen Chef besser als jeder andere kannte, hätte sofort verstanden und sich gefreut.

      »Wir sehen uns morgen, ja?«, brummte Maigret und streckte Mansuy seine Pranke entgegen.

      Mansuy war verwirrt. Er hatte erwartet, mit Maigret gemeinsam fortzugehen, ihn ein Stück zu begleiten, vielleicht noch einen Aperitif zu nehmen. Aber Maigret ließ ihn einfach hier zurück, in seinem Büro, das er so gern vorgezeigt hatte, in dem ihn nun jedoch nichts mehr hielt. Linkisch hatte er seinen Hut vom Tisch genommen, zum Zeichen, dass auch er aufbrechen wollte.

      »Vergessen Sie nicht, den Unterpräfekten anzurufen«, sagte Maigret.

      Ganz ohne Ironie. Es steckte keine bestimmte Absicht dahinter. Er dachte an etwas anderes. Genauer gesagt: Er dachte nach. Und ganz genau: Er schob unscharfe Bilder in seinem Kopf hin und her.

      An der Türschwelle drehte er sich um.

      »Hat man die junge Frau noch befragen können?«

      »Nein. Bis zu ihrem Tod letzte Nacht hat sie im Koma gelegen. Sie hatte einen Schädelbruch.«

      »Wer hat sie behandelt?«

      »Doktor Bourgeois.«

      Selbst am Tag ihres Todes hatte ihr Schwager wie gewöhnlich in der Brasserie du Remblai Bridge gespielt.

      Es blieb unklar. Auch wenn sich Maigret schon schwer fühlte, so war er doch noch nicht in den Zustand der »Trance« eingetreten, wie man es am Quai des Orfèvres nannte. Er ging den Gehsteig entlang, bog nach links, betrat schließlich ein Bistro, in das er noch nie einen Fuß gesetzt hatte und das sein Repertoire täglicher Anlaufstellen nun vermutlich erweitern würde.

      »Einen Weißwein … Nein, etwas Herbes, bitte …«

      Aus Barmherzigkeit … stand auf dem Zettel, den man ihm zugesteckt hatte.

      Was wäre geschehen, wenn er den Zettel früher entdeckt hätte, wenn er auf der Stelle ins Krankenhaus zurückgekehrt wäre und verlangt hätte, die Patientin in Zimmer 15 aufsuchen zu dürfen? Aber hatte denn Lili Godreau nicht im Koma gelegen?

      Zurück im Hotel, setzte er sich an seinen Stammplatz. Bevor er hinaufging, musste er noch ein Glas mit Monsieur Léonard trinken.

      »Kennen Sie Doktor Bellamy?«

      »Ein außerordentlicher Mann … Er hat vor vier Jahren meine Frau behandelt und nicht einen Centime dafür verlangt. Ich habe größte Mühe gehabt, ihn dazu zu bringen, die Flasche Vieille Chartreuse anzunehmen, die ich für eine besondere Gelegenheit aufgehoben hatte.«

      Maigret schlief ein und wurde von den vertrauten Geräuschen geweckt: die Brandung, das kreischende Baby im Nachbarzimmer, der Chor der vier quengelnden Kinder im Widerstreit mit dem Sopran der Mutter und die Litanei der beiden Alten zu seiner Rechten.

      Noch hatte sich nichts aufgelöst, alles erschien ebenso undeutlich wie am Abend zuvor, nur das Gefühl der Schwere hatte zugenommen und der Nebel in seinem Kopf.

      Weißwein mit dem Wirt.

      »Wissen Sie, wann die Beerdigung stattfindet?«

      »Sie meinen die kleine Godreau? … Morgen … Wenigstens ist sie für morgen angekündigt … Unter uns und im Vertrauen, ich glaube, dass man die Leiche noch aufschneiden wird … Vorsichtshalber, verstehen Sie? Vor allem, um die bösen Zungen zum Schweigen zu bringen … Die Leute sagen sogar, Doktor Bellamy hätte es selbst vorgeschlagen …«

      Den ganzen Morgen, während er, seiner gewohnten Route folgend, von einem Bistro zum nächsten spazierte, ärgerte er sich, und zwar über die Schwestern.

      Wären sie keine Ordensschwestern, er wäre augenblicklich zur Klinik marschiert, hätte an der Tür geläutet und seine Fragen gestellt. Er hätte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, wer ihm den Zettel zugesteckt hatte.

      So aber musste er bis drei Uhr warten. Es hätte vermutlich zu nichts geführt, Schwester Aurélie zu stören. Und unter welchem Vorwand auch? Um seine Frau zu sehen? Man hatte ihm lediglich die Erlaubnis erteilt, um elf Uhr anzurufen. Und es war ein außerordentliches Zugeständnis, Madame Maigret jeden Nachmittag besuchen zu dürfen.

      Bald würde er wieder auf Zehenspitzen umhergehen und flüstern.

      »Wir werden ja sehen«, murmelte er grimmig nach seinem dritten Weißwein.

      Und doch wartete er um drei Uhr ein paar Sekunden, bis die Glocken das Zeichen gegeben hatten, bevor er am grünen Tor den Klingelknopf drückte.

      »Guten Tag, Monsieur 6… Unsere liebe Patientin erwartet Sie …«

      Er brachte es nicht über sich, Schwester Aurélie eine Grimasse zu schneiden, und lächelte widerwillig.

      »Einen Augenblick, bitte, ich melde Sie gleich an …«

      Und die andere, Schwester Marie des Anges, kam ihm oben an der Treppe entgegen. Es war unmöglich, auf dem Flur mit ihr zu sprechen, alle Türen standen offen.

      »Guten Tag, Monsieur 6 … Unsere liebe Patientin …«

      Es war wie ein Taschenspielertrick, bei dem man ihn verschwinden ließ. Er hatte nicht einmal die Zeit gefunden, den Mund aufzutun, schon stand er im Zimmer seiner Frau, wo ihn die grauslige Mademoiselle Rinquet aus ihren kleinen Vogelaugen anstarrte.

      »Was hast du denn, Maigret?«

      »Ich? Nichts …«

      »Du bist nicht gut aufgelegt …«

      »Doch, doch …«

      »Wird Zeit, dass ich hier rauskomme, findest du nicht? Gib zu, du langweilst dich …«

      »Wie geht es dir?«

      »Besser … Doktor Bertrand meint, er kann mir am Montag die Klammern entfernen … Und heute Mittag durfte ich etwas Huhn essen …«

      Er konnte nicht einmal mit ihr flüstern. Wie hätte das ausgesehen? Außerdem stellte die Giftspritze im anderen Bett ihre Ohren auf.

      »Übrigens, du hast vergessen, mir etwas Geld hierzulassen …«

      »Wozu denn?«

      »Eine kleine Patientin aus dem Saal war vorhin mit einer Liste hier …«

      Ein Blick zu Mademoiselle Rinquet, als sollte er die Andeutung begreifen. Aber was meinte sie? Sammelten sie etwa Geld für das alte Fräulein?

      »Was meinst du?«

      »Für den Kranz …«

      Und für einen Augenblick fragte er sich in seiner Naivität, was der Kranz mit dem kranken Fräulein zu tun haben mochte, das ganz offensichtlich noch am Leben war. Wie dumm von ihm. Allerdings verbrachte er auch nicht den ganzen Tag in dieser Atmosphäre des Flüsterns, der Geheimniskrämerei und bedeutungsvollen Blicke.

      »Zimmer 15 …«

      »Ach so!«

      So weit reichte Madame Maigrets Feingefühl! Weil ihre Zimmergenossin schwer krank war, weil sie Krebs hatte und also sterben musste, senkte sie verlegen die Stimme, wenn sie von einem Kranz sprach!

      »Gib der Kleinen zwanzig Franc, wenn