Manfred Bomm

Die Gentlemen-Gangster


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zusammen, »dürfte sich das Gerüchtekarussell in Göppingen noch rasanter drehen.«

      Zeller nickte: »Deshalb wäre es vielleicht nun doch angebracht, du würdest dich in den nächsten Tagen als Einheimischer dort umhören. Findest du nicht auch?«

      38

      Blaubart hatte in den vergangenen Tagen kein Bedürfnis gespürt, Kirstin zu treffen. Sie hatten einige Male miteinander telefoniert, dabei auch über den Amerikaner gesprochen, der sich Joe Lukas nannte. Doch trotz ihrer inständigen Bitte, ihr zu sagen, welcher Art die Schwierigkeiten mit ihm waren, wich er immer wieder aus und erklärte allgemein: »Die Amis haben seltsame Vorstellungen, was Oldtimer kosten.« Noch hatte sich der Kerl nicht bei ihm gemeldet, dafür aber, so berichtete ihm Kirstin, tauchte er fast jeden Abend im Luna auf, warf geradezu mit Geld um sich und suchte eindeutig die Nähe zu der jungen Frau, deren Job es natürlich war, die männliche Kundschaft zum teuren Sektkonsum zu animieren.

      Jetzt, an diesem frühlingshaften Aprilabend, sank er nach unzähligen Telefonaten, die er teils in Englisch, teils in Französisch geführt hatte, auf seinem Bürosessel zusammen und besah, wie immer, wenn die Nacht schon hereingebrochen war, sein eigenes Spiegelbild in der großen dunklen Fensterscheibe. Vielleicht, so dachte er, war es sinnvoll, dort endlich eine Jalousie anzubringen, um nicht von draußen beobachtet werden zu können. Zwar gab es hier am Stadtrand unweit der Cooke Barracks nur selten Passanten, allenfalls ein paar entfernte Nachbarn, die ihre Hunde ausführten. Aber diese Einsamkeit kam ihm seit einigen Wochen nicht mehr ganz so friedlich vor. Schließlich gab es unter seiner gewiss zahlungskräftigen Kundschaft auch einige Typen, die bisweilen etwas dubios erschienen. Außerdem konnte man in den derzeit politisch turbulenten Zeiten niemals so genau wissen, wie lange das internationale Geschäft noch boomte. Die Friedensinitiativen gewannen nahezu täglich mehr an Boden, sodass militärisches Eingreifen, in welcher Form und wo auch immer, das Wirtschaftsgefüge sehr schnell durcheinanderbringen konnte. Außerdem hatte der US-Präsident Ronald Reagan erst dieser Tage die Sowjetunion als »Reich des Bösen« bezeichnet. Das waren wirklich keine guten Zeichen.

      Blaubart sah auf den Wecker, der auf seinem Schreibtisch stand: 22.47 Uhr. Das war so ungefähr die Zeit, zu der Kirstin auf die Bühne musste, um die Hüllen von ihrem wohlgeformten Körper fallen zu lassen.

      Nein, er entschied, auch heute nicht ins Luna zu gehen, vor allem nicht, weil dort möglicherweise der Amerikaner Lukas sein Unwesen trieb.

      Während er sich gerade mit diesem Gedanken beschäftigte, dröhnte etwas an sein Ohr. Aus der Ferne. Ein dumpfer Schlag. Aber von ungewohntem Klang, sodass er regungslos sitzen blieb und in die Nacht lauschte, die nur vom gleichmäßigen Rauschen der Klimaanlage erfüllt war. Seine Augen waren auf die nachtschwarze Fensterscheibe gerichtet, durch die er von außen wie auf einem beleuchteten Präsentierteller wirken musste.

      Instinktiv griff er zum Lichtschalter, der sich links an der Wand in Reichweite befand, knipste die Leuchtstoffröhren aus und saß augenblicklich in undurchdringlicher Finsternis, während gleichzeitig wieder ein dumpfes metallisches Geräusch an seine Ohren drang. So, als sei nebenan in der Garagen- und Werkstatthalle eine Verbindungstür zugefallen. Dort gab es einige, die nie zugeschlossen wurden. Aber das große Rolltor, zuckte es ihm durch den Kopf, das hatte er bereits in der Abenddämmerung heruntergefahren. Ganz sicher.

      Er spürte, wie sein Herzschlag an Tempo zulegte. Wieder diese Stille und nur das Rauschen der Klimaanlage. Inzwischen hoben sich vor ihm in der Finsternis die Fenster als tief schwarzgraue Flächen ab, denn seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Draußen gab es Streulicht von der nahen Stadt und einigen Straßenlampen. Er drehte den Kopf nach links zu der Tür, die ins Freie führte. Er hatte sie abgeschlossen und den Schlüssel innen steckenlassen. Hingegen befielen ihn Zweifel, ob er auf der gegenüberliegenden Seite die Tür in den Garagenbereich auch schon verschlossen hatte. Manches tat er unbewusst, ohne dass es sich in sein Gedächtnis einprägte, das von der angespannten Situation ohnehin gelähmt zu sein schien. Doch er durfte jetzt nicht panisch werden. Er musste einen klaren Gedanken fassen, versuchte dies auch krampfhaft, doch alles mündete in diese verdammte dumpfe Angst.

      Wenn da draußen jemand war, dann konnte dies zweierlei bedeuten: Entweder war’s ein Autodieb oder jemand, der es nur auf ihn persönlich abgesehen hatte. Natürlich, hämmerte es in seinem Gehirn, da lauerte jemand auf ihn. Denn ein Autodieb wäre durch das Licht, das bis vor wenigen Minuten im Büro gebrannt hatte, abgeschreckt worden. Dann hätte der gewiss gewartet, bis die Luft rein gewesen und das Auto vor dem Gebäude weggefahren wäre. Wenn der Unbekannte trotzdem eingedrungen war, dann bedeutete dies allergrößte Gefahr.

      Blaubart überlegte für einen Moment, ob er die Polizei rufen sollte. Eine schwerwiegende Entscheidung zwischen Leben und Tod – oder zwischen Regen und Traufe?

      Er konnte jedoch unmöglich einfach in der Dunkelheit sitzen bleiben. Wenn er allerdings diese verdammte Tür zur Garage tatsächlich nicht verschlossen hatte, würde sie sich jeden Augenblick öffnen. Und wenn sie doch verriegelt war, bot sie auch keinen Schutz. Der Unbekannte brauchte doch nur die Fensterscheibe einzuschlagen. Okay, beruhigte er sich, das war zwar sogenanntes Sicherheitsglas, das man nur mit einem Vorschlaghammer zertrümmern konnte. Aber was, wenn der Eindringling einige Schüsse abfeuerte?

      Blaubart griff reflexartig zur linken unteren Schublade seines Schreibtisches und fingerte zwischen Papieren nach jenem Gegenstand, den er dort seit einigen Monaten aufbewahrte. Sofort spürte er das kühle Metall, den Griff und die Form des Revolvers, den er im geladenen Zustand hier versteckt hatte. Für den äußersten Notfall. Nie hatte er damit geschossen. Und auch jetzt wollte er es nicht. Aber wenn er sich zur Wehr setzen musste, wenn es wirklich um Leben und Tod ging, was blieb ihm dann anderes übrig? Er nahm die schwere Waffe in die rechte Hand und zielte in Richtung jener Tür, von der er nicht wusste, ob er sie im abendlichen Arbeitseifer schon verriegelt hatte. Ihre Konturen konnte er in der Dunkelheit, die ihn umgab, schemenhaft erahnen.

      Wenn sie jetzt aufging, wenn dort plötzlich die Silhouette einer Person erschien, die er in diesem fahlen Lichtschimmer natürlich nicht würde erkennen können, sollte er dann rigoros abdrücken? Ohne zu wissen, wen er da niederschoss? Würde man ihm Notwehr zugestehen?

      Aber er konnte doch nicht regungslos sitzen bleiben und mit dem Täter eine Konversation beginnen. Noch ehe er dazu in der Lage wäre, würde womöglich der andere schießen. Wilde Gedanken jagten gleichzeitig durch seinen Kopf.

      Blaubart spürte, dass seine rechte Hand mit der schweren Waffe zitterte. Er konzentrierte sich darauf, sie zu entsichern. Jetzt bedurfte es nur noch einer kleinen Fingerbewegung, und ein Schuss würde sich lösen.

      Noch aber blieb es still. Kein neuerliches Geräusch mehr. Oder waren da irgendwo Schritte? Feste Schuhe auf dem Betonboden der Garage? Blaubart hielt den Revolver krampfhaft umklammert. Vorsicht, riet ihm die innere Stimme. Eine falsche Berührung, und die Waffe könnte losgehen.

      Das monotone Rauschen der Klimaanlage schien sich immer tiefer in seine Ohren zu fressen und gaukelte ihm Geräusche vor, die es gar nicht gab.

      Die Taschenlampe, durchzuckte es Blaubart. Natürlich. In der obersten Schublade hatte er sich doch eine dieser starken Halogenlampen bereitgelegt. Für den Fall eines Stromausfalls. Er konnte mit ihr die Klinke der gegenüberliegenden Tür anstrahlen und sofort sehen, ob sich etwas bewegte. Und er könnte eine Person blenden, die in den Raum käme. Blaubart hielt mit der rechten Hand den Revolver auf die Tür gerichtet und zog mit der linken die obere Schreibtischschublade heraus, in der griffbereit die Stablampe lag. Sie mit links einzuschalten, erforderte als Rechtshänder einiges Geschick. Für einen Augenblick zögerte er noch, denn ein Licht im Büro würde ihn durch das Fenster wieder verraten.

      Er entschied, dieses Risiko einzugehen, und zielte mit dem schmalen Lichtstrahl auf die Klinke der gegenüberliegenden Tür, die in den Garagenbereich führte. Wieder quälte ihn die bange Frage, ob sie verriegelt war oder nicht.

      Dann geschah es. Oder war es nur Einbildung? Die Klinke bewegte sich nach unten. Ja, eindeutig. Blaubarts Blutdruck schoss in die Höhe. Gleich würde sich die Tür öffnen, sofern er sie nicht verschlossen hatte. Gleich würde es geschehen. In der nächsten